Transplantationsgesetz: Alles eine Frage der Umsetzung

Nr. 18 –

Die Vorlage zur Organspende, über die am 15. Mai abgestimmt wird, sieht eine Umkehrung der Grundannahmen vor. Eigentlich soll sich in der Praxis nicht viel ändern – aber wie garantiert der Bund, dass das Versprechen der Selbstbestimmung für alle gilt?

Die Änderung im Transplantationsgesetz, über die am 15. Mai abgestimmt wird, betrifft eine Situation, die eigentlich selten eintritt. Denn damit die Entnahme von Organen bei Verstorbenen überhaupt infrage kommt, müssen viele Voraussetzungen gegeben sein: Die spendende Person muss sich im Spital befinden, ihr Tod eindeutig festgestellt sein, die Organe aber noch mit Sauerstoff versorgt werden.

Oft entsteht diese Situation dann, wenn Menschen mit schweren Kopfverletzungen oder etwa Hirnblutungen eingeliefert werden. Bei jährlich etwa 70 000 Todesfällen treffe dies bei bloss 1 bis 1,5 Prozent zu, erklärt Susanne Nyfeler, Koleiterin der Sektion Transplantation des Bundesamts für Gesundheit (BAG): «Damit ergibt sich die Möglichkeit einer Organspende prinzipiell in ungefähr 700 bis 1000 Fällen pro Jahr.» Weil für eine Transplantation auch gewisse medizinische Voraussetzungen erfüllt sein müssen, sinkt diese Zahl noch weiter – und dennoch ist klar, dass mit den 166 Transplantationen, die im letzten Jahr in der Schweiz vollzogen wurden, das Spendepotenzial nicht ausgeschöpft ist.

Auf der anderen Seite sind die Empfänger:innen: Über 1400 Menschen befanden sich in der Schweiz Ende 2021 auf der Warteliste für Organspenden. Der Grossteil von ihnen ist auf eine neue Niere angewiesen, die auch lebende Personen spenden können; mehrere Hundert warten aber auf Organe, die sie nur von Verstorbenen erhalten können. Die Gesetzesänderung zielt nun darauf ab, ihre Chancen zu erhöhen: Umfragen aus den letzten Jahren lassen nämlich darauf schliessen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung der Organspende eigentlich positiv gegenübersteht.

Eine paradigmatische Umkehr

Dass wirklich achtzig Prozent ihre Organe im Todesfall spenden möchten, wie im Abstimmungskampf mancherorts argumentiert wird, mag zu hoch gegriffen sein. Doch selbst wenn es nur etwas mehr als die Hälfte sind, wie etwa die letzte Umfrage des Bundesamts für Statistik von 2017 suggeriert: Auch das übersteigt deutlich die sechzehn Prozent Einwohner:innen mit Spendeausweis wie auch die 100 000 Erfassungen im Onlineregister der Stiftung Swisstransplant.

Um die Lücke zwischen den Spendebereiten und den tatsächlichen Spender:innen zu verkleinern, sieht der Bundesrat eine paradigmatische Umkehr vor. Die heute geltende Regelung nennt sich «erweiterte Zustimmungslösung»: Sie wurde 2004 mit dem ersten nationalen Transplantationsgesetz verabschiedet, als Antwort auf eine schweizweit uneinheitliche, kantonal geregelte Praxis. Angehörige oder Vertrauenspersonen müssen demnach in jedem Fall gefragt werden, ob eine Person zu Lebzeiten einen Spendewillen geäussert hat.

Umgekehrt funktioniert die «erweiterte Widerspruchslösung»: Künftig soll die Grundannahme gelten, dass einer Organentnahme nach dem Tod zustimmt, wer sich zu Lebzeiten nicht ausdrücklich dagegen ausgesprochen hat. Hat eine Person nicht verbrieft, dass sie keine Organe spenden will, werden aber weiterhin Angehörige oder Vertrauenspersonen gefragt, ob ihnen ein entsprechender Wunsch bekannt ist.

Das letzte Wort werden also weiterhin die Angehörigen haben. Dagegen soll die Frage anders lauten, die das medizinische Personal stellen muss, erklärt Veronika Moser von der Rechtsabteilung des BAG: nicht mehr «Wie hätte die Person entschieden?», sondern «Hätte die Person zu Lebzeiten eine Organentnahme abgelehnt?». Sind keine nahestehenden Personen erreichbar, ist eine Organentnahme unzulässig.

Von den grossen Parteien hat einzig die SVP die Nein-Parole ausgegeben. Erwartbar schrill bekämpft sie die Vorlage nun als «Zwangs-Organspende». Ansonsten argumentiert die Gegner:innenschaft durchaus sachlich: Eine Steigerung der Organspenderate sei durch die Widerspruchslösung keinesfalls garantiert, und eine hohe Akzeptanz von Organtransplantationen in der Bevölkerung legitimiere noch keinen Systemwechsel. Der Wissensstand der meisten Menschen sei zu niedrig, und weil «Schweigen nicht gleich Zustimmung» sei, drohe künftig standardmässig ein «unethischer Eingriff in die körperliche Unversehrtheit».

«Psychologische Unterschiede»

«Die Freiwilligkeit bleibt», argumentieren demgegenüber die Befürworter:innen – denn grundsätzlich kann weiterhin Widerspruch geltend gemacht werden: etwa in einem vom Bund neu zu schaffenden Register, mittels Patient:innenverfügung oder im privaten und familiären Umfeld.

In einer Stellungnahme schrieb im Sommer 2019 auch die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK), dass zwischen der erweiterten Zustimmungs- und der Widerspruchslösung «kein Unterschied ersichtlich» sei, was «die Sicherheit, den Willen der verstorbenen Person zu achten», betreffe. Die NEK hielt aber auch fest, dass «psychologische Unterschiede» zu erwarten seien: «Im Falle der Widerspruchsregelung könnte eine Person Bedenken haben, ihren Willen zu äussern, weil man ihren Widerspruch für unmoralisch und unsolidarisch halten könnte.»

Davon ausgehend, wird auch kontrovers diskutiert, ob Angehörige – oft in einem Zustand tiefer Trauer oder des Schocks – von der Zustimmungs- oder von der Widerspruchslösung in eine schwierigere Situation gebracht werden: Können sie einer Organspende nun guten Gewissens zustimmen, weil die verstorbene Person zu Lebzeiten ihren Widerspruch hätte einlegen können? Oder wird es für sie problematischer, weil der Gesetzgeber mit seiner Erwartungshaltung Druck aufbaut?

Reicht das Bewusstsein für Diversität?

Diese Frage hat auch eine sozialpolitische Dimension. Die Vorlage verspricht, das Selbstbestimmungsrecht der Menschen in der Schweiz nicht zu verletzen – was aber voraussetzt, dass die gesamte Bevölkerung über ihr Widerspruchsrecht Bescheid weiss. Wie wird der Bund sicherstellen, dass er mit den entsprechenden Informationen alle hier ansässigen Menschen – ungeachtet von sozialer Schicht, Muttersprache oder Aufenthaltsstatus – gleichermassen erreicht und fundiert informiert? Gerade während der Coronapandemie hat das BAG kein grosses Bewusstsein für die Diversität der Gesamtbevölkerung bewiesen – etwa mit seiner zögerlichen und, so machte es den Anschein, vor allem an einen gut gebildeten Mittelstand gerichteten Impfkampagne.

Darauf angesprochen, verweist Susanne Nyfeler darauf, dass bereits Unterlagen zur Organspende in den häufigsten Migrationssprachen vorlägen. Das BAG habe zudem «Subgruppen-Analysen» erstellt, um zu eruieren, wo die Informationen tatsächlich ankämen. «Wir müssen etwa grösseres Gewicht auf einfache Sprache legen», so eine Erkenntnis. Ein weiteres Ziel sei, insbesondere die Migrationsbevölkerung besser zu erreichen. «Und zwar nicht nur schriftlich», so Nyfeler. «Zum Beispiel haben wir Animationsfilme erstellen lassen, und künftig können wir uns auch eine Zusammenarbeit mit Influencern vorstellen.»

Beim BAG geht man davon aus, dass die Gesetzesänderung voraussichtlich im Frühjahr 2024 in Kraft treten würde. Vorgesehen sei eine breite Informationskampagne, sagt Veronika Moser vom BAG-Rechtsdienst. «Und man muss sagen: Bezüglich der Information der Bevölkerung haben wir insgesamt viel aus der Pandemie gelernt.» Den Beweis wird der Bundesrat antreten müssen, wenn er im Fall einer Annahme die Ausgestaltung des neuen Gesetzes auf Verordnungsebene in Angriff nimmt.