Rechter Antiimperialismus: Im Widerstand

Nr. 18 –

Daniele Ganser zu Gast auf dem Podium: Bei einem Apéro der Zeitschrift «Zeitpunkt» gaben sich Massnahmengegnerinnen und Putinversteher die Hand.

Es ist wieder einer dieser Momente, die der Historiker und selbsternannte Friedensforscher Daniele Ganser so liebt: Eine Regierung handelt scheinbar aus dem Nichts, und kurz lässt sich das dunkle Spiel erahnen, das sonst im Verborgenen abläuft. Diesmal ist es die angebliche Abkehr des Bundesrats von der Neutralität, weil dieser die westlichen Sanktionen gegen Russland mitträgt. «Wie konnte das so schnell passieren?», fragt Ganser und wiederholt es noch zwei Mal: «So schnell!» Er spricht von Aufklärung, aber die genauen Umstände würden dem suggestiven Schillern seiner Aussagen nur in die Quere kommen. Was hängen bleibt: «Es war alles bereit!»

Nach dem deklarierten Ende der Pandemie ist Ganser wieder zurück auf der Bühne, vor Publikum. Vor allem aber ist die Geopolitik zurück, und der prominente Nato-Kritiker ist in seinem Element. An diesem Abend in einem Saal in Solothurn hat ihn das Magazin «Zeitpunkt» zu einem Podiumsgespräch geladen. Das Thema ist die Schweizer Neutralität, aber man hat nie das Gefühl, es gebe etwas zu diskutieren oder nur schon zu verstehen. Dafür lässt sich gut beobachten, in welcher geistigen Zone sich die Protestbewegung gegen die Coronamassnahmen gerade neu positioniert.

Vernünftiger Putin

Dieser Bewegung ist es nämlich zu verdanken, dass der «Zeitpunkt», der bis zur Pandemie in einer Nische obskurer Gesellschaftskritik dümpelte, eine gewisse Bekanntheit erlangte. Herausgeber und Hauptautor Christoph Pfluger nutzte die Gunst der Stunde und brachte das Magazin während der Pandemie als Plattform für Protest und Verschwörungsgeraune in Stellung. Wohl nicht zuletzt wegen Ganser ist der Saal mit 450 Menschen voll besetzt. Die Stimmung ist erwartungsvoll und aufgeladen; markige Aussagen («Grippewelle») werden mit zackigem Applaus oder Gelächter quittiert. Auf der Bühne beschwört Pfluger das Gemeinschaftsgefühl der Bewegung. Man müsse nun die Zeit nutzen, um sich für die Fortsetzung im Herbst bereit zu machen. Als Erstes sollen alle aufstehen und den Sitznachbar:innen die Hand schütteln – zwei kommen sich bekannt vor, «wohl aus dem Widerstand».

Im Gegensatz zur eintönigen Gesprächsrunde mit Ganser bietet der erste Teil des Abends Abwechslung und Unterhaltung. Pfluger holt der Reihe nach verschiedene Figuren aus dem «Zeitpunkt»-Umfeld auf die Bühne. Der Künstler Erwin Schatzmann, eine Art Jack Sparrow in Schweizer Tracht, stellt ein Bilderbuch über ein widerständiges Schwein vor. Die Liedermacherin Yoki besingt den Schrecken der Coronamassnahmen.

Istvan Hunter, strenger Tonfall und Haarschnitt, sagt beim Apéro ein paar Sätze zu seinem Verständnis von politischer Anthroposophie; schon Rudolf Steiner habe gesehen, dass der Faschismus drohe, wenn sich der Staat in die Wirtschaft und das «Geistesleben» einmische.

Doch erschreckend ist vor allem, was im zweiten Teil des Abends auf dieser Bühne unwidersprochen gesagt wird. Im Stil eines routinierten Disclaimers verurteilen Ganser und Pfluger zunächst den völkerrechtswidrigen Angriff der russischen Armee auf die Ukraine. Doch von da an ist kein kritisches Wort mehr über das Putin-Regime oder dessen Kriegsverbrechen zu hören. Um Putin zu verstehen, muss hier gar keine Zeit verschwendet werden: Die Vernünftigkeit seiner Entscheidungen wird vorausgesetzt. «Die Russen sagen, die Ukraine müsse entnazifiziert und der Osten des Landes gesichert werden, das ist plausibel», sagt Pfluger. Die Frage sei eher, was der Westen beabsichtige.

Der Westen als Aggressor

Die dazu geäusserten Positionen sind nicht deckungsgleich. Während Ganser im Suggestiv-Ungefähren bleibt und von einer «vorsätzlich eskalierenden Absicht» der Nato spricht, vermutet der Autor Mathias Bröckers, wie Ganser mit wilden Theorien zum 11. September 2001 bekannt geworden, eine schrittweise Annäherung der USA an den «regime change» in Moskau und Peking. Die Mediatorin und Friedensaktivistin Verena Tobler legt den Fokus eher auf die Unterwerfung der Welt durch das westliche Kapital. Eine Diskussion entsteht nicht. Vielmehr geht es darum, sich hinter der geteilten Argumentationslinie wieder zu einen: Der eigentliche Aggressor in diesem Krieg sei der Westen, der Russland mit der Nato-Osterweiterung, dem angeblich gelenkten Putsch in Kyjiw 2014 und der Aufrüstung der Ukraine wiederholt Gewalt angedroht und damit als Erster gegen die Uno-Charta verstossen habe. Der Angriff auf die Ukraine wirkt so wie eine Ultima Ratio der Selbstverteidigung.

Putin wiederum wird hier nicht bloss verstanden, sondern als Widerstandskämpfer gegen die unipolare Weltordnung der USA geradezu gefeiert. Bei Pfluger klingt das etwa so: In den neunziger Jahren habe der Westen gemeinsam mit der Regierung Jelzin das sowjetische Volksvermögen an die Oligarchen verscherbelt. «Putin hat dem ein Ende gesetzt, und das hat den Westen verärgert.» Geradezu grotesk wird es, als Ralph Bosshard, ehemaliger Oberstleutnant im Generalstab der Schweizer Armee, Putin zum Antifaschisten stilisiert: Die Ukraine habe Mühe, sich vom Nationalsozialismus zu distanzieren.

Hier also ist Daniele Ganser, der für seine Dissertation über die Geheimarmeen der Nato einst auch von Linken gefeiert wurde, gelandet. Auf dem Podium distanziert er sich beiläufig von den ganz steilen Thesen, etwa dass Russland ein Selbstverteidigungsrecht geltend machen könne. Aber er fügt sich auch problemlos ein in diesen raunenden rechten Antiimperialismus.