Essay: Eine morsche Urszene der Demokratie

Nr. 10 –

War das tapfere Volk von Brüdern ein Haufen abergläubischer Verzagter? «Die schwarze Spinne» ist ein höchst aufschlussreicher Mythos zur Schweizer Geistesverfassung. Und auch ein Kommentar zur Pandemie.

Wenn die Spinne ausbricht, wird sie schliesslich mit einem Zapfenschlag wieder zurück in ihr Loch gesperrt: Zapfen drauf, den Pfosten ja nicht mehr anrühren, und alles ist gut, also? Mitnichten. Foto: David Crooks, Getty

Es ist so hell hier, dass es blendet. Auf den ersten Seiten von Jeremias Gotthelfs Novelle «Die schwarze Spinne» steht die Sonne grell und heiss am Himmel. Kein dunkler Winkel ist auszumachen im Strahlenmeer. Eine Taufgesellschaft rüstet sich zum Fest. Auf den Wiesen wächst fett das Gras, im Emmentaler Bauernhaus wird Frühstück aufgetischt, Kaffee und «Nidle» und Weinwarm, die Berner Suppe aus «Wein, geröstetem Brot, Eiern, Zucker, Zimmet und Safran». Nach der Taufe gibt es gleich mehrere Fleischgänge, auch hier dürfen die kostbaren Safranfäden nicht fehlen. Dazu fliesst der Wein krugweise.

Sinnbildlich vermittelt durch den wiederholt erwähnten Sonnenschein ist die Botschaft klar: Hier herrscht Aufklärung – und Wohlstand, wie es die säuberlich aufgelistete Bewirtung verrät, mit dem stattlichen Bauernhaus als Bühne dieser Prosperitätsinszenierung. Beinahe entsteht der Eindruck, das viele Essen sei das entscheidende Ritual, nicht die Taufzeremonie in der Kirche. Vielleicht ein moralischer Seitenhieb gegen allzu viel weltliche Lustbarkeiten, vielleicht aber auch einfach literarisch gefeierte Schwelgerei.

Und die Spinne? Eigentlich «bloss» eine Schauergeschichte, die der Grossvater der Taufgesellschaft zur Unterhaltung erzählt, bis der festlichen Runde darob beinahe der Appetit vergeht. Den Anstoss zu dieser Märchenstunde gibt ein angejahrter dunkler Fensterpfosten in der Bauernstube. Da haben wir ihn also plötzlich doch noch, den dunklen Winkel, die Blackbox, ohne die es diese Novelle gar nicht geben würde. Dieser Winkel und die Spinne, die darin gemäss der Legende auf der Lauer liegen soll, sind physisch eingefasst von altem Holz und versiegelt mit einem Holzzapfen. Literarisch eingefasst sind sie von der Rahmenhandlung mit der verschwenderischen Tauffeier.

Schock- und Schauerstück

Hinter der Taufe lauert der Teufel. Oder sollen wir sagen: Ohne Taufe kein Teufel? Gut möglich, dass die meisten, die Gotthelfs Text in der Schule lesen mussten, die Rahmenhandlung ganz vergessen haben und nur noch die Sage mit Spinne, Tod und Beelzebub im Kopf haben. Vielleicht erinnern sie sich auch noch, dass sie das ganze christlich geprägte Schock- und Schauerstück mühsam und vorgestrig fanden.

Der ein Jahr vor der Französischen Revolution geborene reformierte Berner Pfarrer Albert Bitzius schrieb die Novelle unter seinem Pseudonym Jeremias Gotthelf. Erschienen ist sie 1842, am Vorabend des Sonderbundskriegs und des Jahres 1848, an der Schwelle zur Gründung der modernen Schweiz also.

Doch Grossvaters Sage katapultiert uns erst einmal aus der strahlenden Neuzeit zurück ins Mittelalter, zu den leibeigenen Bauern von Sumiswald, die für den Kreuzritter Hans von Stoffeln in Fronarbeit eine Burg bauen müssen. Und denen dann, als sie völlig ermattet endlich wieder die eigenen Höfe bestellen wollen, in einem Akt von brutaler Willkür befohlen wird, innert Monatsfrist auch noch einen schattigen Laubengang aus hundert ausgewachsenen Buchen zu pflanzen. Diese müssten sie von weit her mit blossen Händen und ausgelaugten Pferden auf den Schlosshügel  schaffen. Ein aussichtsloses Unterfangen. Zu «Hilfe» kommt den ratlosen Männern Christine, eine Frau aus dem Dorf, die einen Pakt mit dem Teufel schliesst. Die Abmachung: Er stellt die Buchen bereit, die Dorfgemeinschaft überlässt ihm als Lohn dafür ein ungetauftes Kind.

Besiegelt wird dieser Horrordeal mit einem spitzen Teufelskuss auf Christines Wange. Der Teufel hält sein Versprechen, das Dorf nicht. Der «Ruchlose» tobt – und auf Christines Wange wächst langsam ein schwarzes Geschwür, aus dem schliesslich Heerscharen von Spinnen purzeln und alle anfallen: das ganze Dorf, die Ritter und Knechte auf dem Schloss, das Vieh. Alle Befallenen sterben, die unselige Christine verwandelt sich irgendwann selber in eine Riesenspinne. Das Sterben geht so lange weiter, bis eine Mutter, die ihr Neugeborenes retten will, die grosse Mutterspinne in die Falle lockt und mit einem Holzzapfen im Hausbalken versiegelt. Dafür muss sie ihr Leben lassen. Für den Literaturnobelpreisträger Thomas Mann war Gotthelfs Geschichte ein rares «Stück Weltliteratur». Der Oscar-prämierte Fantasyregisseur Guillermo del Toro nennt sie «schaurig» und «urwüchsig», «ein echtes, dunkles, dunkles Vergnügen».

Die verdrucksten Bauern

Doch was hat uns dieser dunkle archaische Teufelspakt heute noch zu sagen? Der Schlüssel dazu liegt in der Rahmenhandlung, die in Gotthelfs aufgeklärter Jetztzeit spielt – und ausgerechnet diese Rahmenhandlung hat man in der neuen Verfilmung einfach weggelassen. So verspielt der Film von Regisseur Markus Fischer weitgehend die Chance, hinter die Fassade des fantastischen Horrors zu blicken und dort ein brisantes Psychogramm der Schweiz zu erkennen.

Liest man «Die schwarze Spinne» nämlich gegen den christlichen Strich und räumt auch die teuflischen Spezialeffekte zur Seite, kann man einen hochaktuellen Schlüsseltext entdecken – einen dunklen Spiegel für die eidgenössische Geistesverfassung, der uns mit der ungemütlichen Wahrheit über die einschlägig bekannten Nationalmythen konfrontiert. Diese Wahrheit hat, wie so oft in diesem Land, mit dem «Fremden» und mit den Bauern zu tun – und mit dem Verdrängten, dem nur notdürftig Weggesperrten, das immer wieder zurückkehrt.

Die Bauern geben dabei eine auffallend schlechte Figur ab. Friedrich Schillers «einig Volk von Brüdern» aus dem Stück «Wilhelm Tell», das beinahe zur selben Zeit spielt, hängt bei Gotthelf ermattet und mutlos in den Seilen. Der fremde Vogt, einst Kreuzritter «im Heidenland», wie es heisst, plagt und plündert sie nach Belieben. Doch anstatt gegen die immer absurder werdenden Forderungen aus dem Schloss heroisch aufzubegehren, wie es die eidgenössischen Mythen und allen voran «Wilhelm Tell» ja stets vormachen, wird hier still gejammert, gemault, gekuscht und kapituliert. Die legendären freien Schweizer:innen, die sich wacker und bauernschlau gegen jede Übermacht zu wehren wissen, die, verkörpert im Nationalhelden Tell, Tyrannen gar per Präzisionsschuss erledigen, sind hier ein trauriger Haufen aus lauter Tatenlosigkeit und Furcht. Schöner Wunschtraum bei Schiller – alltägliche Wirklichkeit bei Gotthelf?

Zur Tat schreiten muss das «grausam handlich Weib» Christine, «eine Lindauerin», die weiss, dass der Bodensee «grösser ist als der Schlossteich», wie es heisst. Sie ist nicht nur eine Grenzgängerin zwischen Deutschland und der Schweiz, interessant ist auch ihre Sonderrolle im Dorf und insbesondere im Geschlechtergefüge. Sie ist keine «von den Weibern, die froh sind, daheim zu sein», schreibt Gotthelf. Nach den Gesetzen der traditionellen Gemeinschaft ist diese Christine gefährlich ungebunden, rastlos, und in der neuen Verfilmung wird diese Ungebundenheit noch akzentuiert. Sie will mitreden und massregelt die Männer offen für ihre Feigheit – im Umgang mit der bösen Willkür des Ritters, aber auch angesichts des interessanten Angebots des Teufels. Warum nicht mit ihm verhandeln?

Die hasenfüssigen Bauern lassen sich von Christine gern die Drecksarbeit abnehmen. Und das, ohne explizit zugestimmt zu haben – und ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Weil sie selber zu schwach oder schlicht zu verzagt sind, um sich gegen die Tyrannei der deutschen Kreuzritter zu wehren, von Stoffelns exaltierte Wünsche aber auch nicht zu erfüllen vermögen, haben sie sich in eine ausweglose Lage manövriert. Christines Teufelspakt kommt ihnen da gerade recht.

Gotthelf beschreibt die verdruckste Beschlussfassung so: Christine erzählt von ihrem Handel mit dem Teufel, und «die Herzen der Männer bebten. […] Nach und nach kamen aus den angstgepressten Kehlen abgebrochene Laute hervor, und wenn man sie zusammensetzte, so meinten sie gerade, was Christine meinte, aber kein einzelner hatte seine Einwilligung gegeben in ihren Rat.» Keiner sagt also einen ganzen Satz der Zustimmung, «sondern jeder nur etwas, das wenig bedeuten sollte». Gleichwohl «kam man überein, das nächste Kind zu opfern, aber keiner wollte seine Hand bieten dazu».

Der Gotthelf-Kenner Peter von Matt beschreibt in «Das Kalb vor der Gotthardpost» diese herausragend gestaltete Szene als Moment einer politischen Willensbildung, bei dem die Einzelnen am Ende nicht zu behaften sind. Darin ortet er auch den entscheidenden Unterschied zwischen «Wilhelm Tell» und der «Schwarzen Spinne»: Bei Schiller sieht er eine «idealistische Verklärung der Demokratie», bei Gotthelf deren «psychologisch abgründige Analyse».

Vereintes Unvermögen

Der Teufel ist in diesem Arrangement eine erstaunlich uninteressante Figur. Brauchts ihn überhaupt? Man kann ihn als Manifestation des vereinten Unvermögens lesen, das als Dämon zurückkehrt und die Gemeinschaft mit einer Plage und grausamen Gewitterstürmen heimsucht. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Gotthelf hier auf die alte Darstellung des Teufels als «Grüner», als Jägersmann, zurückgreift, der diese Gescheiterten wie Tiere vor sich hertreibt.

Und die Spinne? Auch sie erinnert die Dorfbewohner:innen an die eigene Mutlosigkeit, an ihren Opportunismus – an eine morsche Urszene der Demokratie. Zugleich ist sie ganz konkret das Sinnbild für eine ansteckende Seuche, für den «schwarzen Tod», wie es einmal explizit heisst, der über diese Dorfgemeinschaft hereinbricht. Damit ist wohl auch ganz konkret die Beulenpest gemeint, die im Kanton Bern während des 14. und des 15. Jahrhunderts  wiederholt wütete. Gegen eine solche Seuche hatte man damals kaum etwas in der Hand. Deshalb regierte die gefährliche abergläubische Vorstellung, die Pest sei eine Strafe des Himmels. Gotthelfs Adaption der alten, ursprünglich mündlich überlieferten Sage von der schwarzen Spinne ist nicht zuletzt der Versuch, die abergläubische Sinnstiftung der Seuchensage in eine sinnvolle Erzählung für die Neuzeit zu übersetzen. Doch was wäre das für ein Sinn?

Gotthelfs Seuchenspinne glotzt und glotzt. Entweder gab es im 19. Jahrhundert noch kein Lektorat, oder die ermüdende sprachliche Wiederholung geschieht mit voller Absicht. Überall, wo sie auftaucht, glotzt die Spinne blöd. Und die Menschen schauen genauso blöd und schreckensstarr zurück auf die glotzende Spinne, bevor sie tot umfallen. Mit fühlbarer Abscheu lässt uns Aufklärer Gotthelf in den Abgrund dieser in Aberglauben und glotzendem Unverständnis verstrickte Welt schauen, die sich schlicht nicht zu helfen weiss. Auch der Dorfpriester und seine «heiligen Geräte und Zeichen» erweisen sich in der Erzählung von Pfarrer Bitzius als erstaunlich machtlos.

«Impfluenzer» Gotthelf

Auf «Die schwarze Spinne» kam im Zuge der Coronapandemie kaum jemand zu sprechen, obwohl es sich ja eindeutig um eine Seuchennovelle handelt. Gut möglich, dass Gotthelf bei seinen Schilderungen der mittelalterlichen Pest bereits unter dem emotionalen Eindruck der Recherchen zu seinem nachfolgenden Roman stand, der nur ein Jahr nach der «Schwarzen Spinne» erscheinen sollte. Die Sanitätskommission des Kantons Bern hatte den angesehenen Sozialreformer und Volksschriftsteller damals beauftragt, die Leute literarisch davon zu überzeugen, sich gegen die Pocken impfen zu lassen. Dazu erfand er eine imposante, aber auch kleinmütige und vor allem halsstarrige Impfgegnerin: Annebäbi Jowäger. Als ihr einziger, ungeimpfter Sohn schwer an den Pocken erkrankt, vertraut sie Quacksalbern und Kurpfuschern, die den bereits halb toten Jakobli mit ihren grausligen Tränken und Laxativen beinahe endgültig umbringen. Er überlebt knapp, ist für den Rest seines Lebens aber verunstaltet und halb blind.

Als man Jowäger mit der Tatsache konfrontiert, dass die sichere, unterdessen breit angewandte und erfolgreiche Impfung ihr und Jakobli all das erspart hätte, bleibt sie gemeinsam mit ihrem Mann unbelehrbar, denunziert das Impfen in landläufiger Manier als «neumodisches Zeug». Sie und ihr Mann hätten davon nichts gewusst und lebten gleichwohl noch; man müsse doch nicht «alles Neue zuerst machen». Gotthelf lässt den im Dorf misstrauisch beäugten Arzt, aber auch den Pfarrer mit vereinten Kräften und Argumenten gegen solche Unvernunft antreten – mit durchzogenem Erfolg. In einem zweiten Band muss auch noch Jakoblis Sohn an der Diphtherie sterben, weil man es wiederum versäumt hat, ihn dagegen zu immunisieren.

Gotthelfs «Impfluenzer»-Roman «Annebäbi Jowäger» ist reichhaltig ausgeschmückte Überzeugungsliteratur im Namen der Aufklärung – unterhaltsam und ohne grobe Verteufelung seiner Protagonistin, die sich ganz am Ende geläutert geben darf. Idealer Stoff für die Freiheitstrychler:innen und Konsorten also. Das hat Nationalrätin Jacqueline Badran genau erkannt, als sie Trychlersympathisant und Bundesrat Ueli Maurer im Parlament und vor laufender Kamera eine DVD mit Franz Schnyders «Annebäbi Jowäger»-Verfilmung in die Hand drückte. Sie hätte ihm allerdings gut auch «Die schwarze Spinne» überreichen können. Denn wo in alten Sagen gewöhnlich Rabenschwarz gegen Schneeweiss zum Endkampf antreten, schafft Gotthelf in seiner literarischen Adaption auch Schattierungen zwischen diesen Extremen: Wuchtig prangert er zwar das Irrationale an, zugleich aber erfasst er genau und mit vielen Schaueffekten dessen dunkle Faszination und Kraft. Eine unerwartet komplexe Dialektik der Aufklärung – aus dem Emmental.

In der Rahmenhandlung im 19. Jahrhundert existieren Spinne, Tod und Teufel dann nur noch als Schauererzählung des Grossvaters. Bevor er auf die Spinne kommt, berichtet der Grossvater, wie bei seiner eigenen Taufe einst ein schreckliches Wetter gewütet habe, sodass hinterher «die Leute ihm allerlei geweissaget» hätten. Doch sei sein Leben glücklich und ruhig verlaufen, und er sei nun ja auch sehr alt geworden. Der Grossvater, hinter dem man Gotthelf selbst zu erkennen glaubt, empfiehlt sich in dieser Szene als leibhaftige Vertretung einer rationalen Sichtweise. Als Aufforderung, sich nicht in einer hermetisch verzauberten Welt zu verlieren und hinter jedem Blitz und Hagelsturm geheimnisvolle Zeichen und prophetische Fingerzeige zu sehen und fatalistisch daran zu verdummen.

Unheimelig in der Brust

Als Zugabe erzählt der Grossvater, dass die Spinne ein weiteres Mal ausgebrochen sei, knapp 200 Jahre nach dem ersten Fall. Schuld gewesen seien ein frivoler Lebenswandel und am Ende die schiere Gedankenlosigkeit einer betrunkenen Partyrunde mit einem diabolischen Anführer. Die darin verpackte christliche Moral ist allerdings gar simpel.

Wenn die Spinne ausbricht, wird sie schliesslich mit einem Zapfenschlag wieder zurück in ihr Loch gesperrt: Zapfen drauf, den Pfosten ja nicht mehr anrühren, und alles ist gut, also? Mitnichten. Anstatt moralisch kann man diesen Mechanismus auch psychoanalytisch als Wiederkehr des Verdrängten lesen: als hartnäckige Erinnerung an all die unangenehmen Wahrheiten, auf die die Spinne verweist. Ihre quasi zyklische Wiederkehr lässt sich so ganz konkret auf den verantwortungslosen Umgang mit alter Schuld und «heimlifeisser» Wegduckerei münzen wie dem Profit mit Geld und Gold der ermordeten Jüd:innen, der Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg, der bereitwilligen Verwaltung von Potentatengeldern auf dem Schweizer Bankenplatz, der Herkunft von Emil Georg Bührles Vermögen und Kunstsammlung – die Liste liesse sich verlängern. Ein übers andere Mal werden diese dunklen, unschönen Wahrheiten und Verstrickungen verdrängt, «verlochet» und kehren Jahre und Jahrzehnte später mit verschärfter Wucht auf die öffentliche Bühne zurück, glotzen uns unerbittlich an – und alle reagieren ganz erstaunt.

«Sie sassen da so heimelig und jedem klopfte es unheimlich unterm Brusttuch», heisst es auf der letzten Seite der Novelle. Gotthelf nimmt hier Sigmund Freuds Aufsatz zum «Unheimlichen» vorweg. Das Unheimliche sei das ehemals Heimische und Vertraute, schreibt der Begründer der Psychoanalyse knapp achtzig Jahre später. Die Vorsilbe «un-» sei dabei «die Marke der Verdrängung». Der traut zusammensitzenden Taufrunde wird es nach den Erzählungen des Grossvaters sehr unheimlich. Aber nicht, wie vordergründig zu vermuten wäre, wegen einer alten Spinne, sondern vielmehr wegen all des Verstockten und Verdrängten, an das sie sie erinnert und das heimlich mitten unter ihnen hockt, in ihrer Brust, in ihrem Haus.

Markus Fischers neue Verfilmung von «Die schwarze Spinne» ist jetzt in den Schweizer Kinos zu sehen. Die Reclam-Ausgabe von Jeremias Gotthelfs Novelle inklusive Rahmenhandlung gibt es in jeder Buchhandlung für knapp fünf Franken zu kaufen.