Literatur: Fabulierende Vampirin

Nr. 21 –

Die gesellschaftlichen Verwerfungen in ihrem Geburtsland Rumänien in Geschichte und Gegenwart – dies sind die Themen der seit rund fünfzehn Jahren in der Schweiz lebenden Journalistin und Schriftstellerin Dana Grigorcea. In ihrem neuen Roman «Die nicht sterben» verknüpft sie ihre Kritik an Korruption und Revanchismus im heutigen Rumänien in einer tragikomischen Sommergeschichte mit Bram Stokers fiktivem Grafen Dracula und dessen historischem Vorbild, Fürst Vlad Tepes. «Vlad, der Pfähler» schlachtete im 15. Jahrhundert seine Gegner durch Pfählung ab – wird jedoch bis heute in Rumänien verehrt und für nationalistische Zwecke missbraucht.

Die Erzählerin verbringt die Sommerferien bei ihrer wohlhabenden Grosstante im kleinen Städtchen B. am Fuss der Karpaten. Hier soll Vlad begraben sein. Als in der Familiengruft der Erzählerin nicht nur dessen Grab entdeckt wird, sondern auch eine jüngst gepfählte Leiche, erlebt die Erzählerin Ungeheuerliches. Der kriminalistische Plot verflicht sich mit den Bemühungen der im Korruptionssumpf dahindümpelnden alten Führungsschicht – die auch die neue ist –, aus der Popularität des fürchterlichen Vlad/Dracula touristisch Kapital zu schlagen.

Grigorcea versteht sich auf üppiges Fabulieren, sie inszeniert Glanz und Elend der neuen postkommunistischen «Basse-Classerie» ebenso boshaft und sarkastisch wie treffend, schildert aber ebenso schonungslos die aus der Zeit gefallenen Verwandten und deren FreundInnen. Grigorceas Erzählerin scheut sich nicht, «alles Unmögliche zusammenzufantasieren», auch dass sie selbst irgendwann zur Vampirin wird, die – im Traum oder real – über das Land fliegt. Die Autorin verliert nie die ätzende Kritik an der unterentwickelten Zivilgesellschaft aus den Augen, jedoch zuweilen die Proportionen ihrer ausufernden Episoden. Das Buch liest sich locker, wenngleich manche Figuren mehr Funktionsträger als Charaktere sind und die Erzählerin selbst etwas blass bleibt. «Die nicht sterben» ist ein undogmatisches Plädoyer gegen die nostalgische Sehnsucht nach der «harten Hand» eines «gerechten» Despoten und für aufgeklärte Eigenverantwortung.  

Dana Grigorcea: Die nicht sterben. Roman. Penguin Verlag. München 2021. 260 Seiten. 34 Franken