Jessica Jurassica: Überall komplett gestörte Fuckboys

Nr. 19 –

«Das Ideal des Kaputten» heisst der erste Roman von Jessica Jurassica. Darin gibt sich die Kunstfigur wieder angriffslustig, aber vor allem desillusioniert.

Zwischen Drogen- und Backpackertrips: Jessica Jurassica in Buenos Aires. Foto: Jeremias Heppeler

Es beginnt in einer Hängematte, einer zwar gemütlichen, aber nicht besonders stabilen Liegegelegenheit. Es ist ein heisser Sommer in der nahen Vergangenheit, alles riecht «seltsam», und die 25-jährige Ich-Erzählerin denkt über ihr bisheriges Leben nach: über Backpacker- und Drogentrips, über Fuckboys und über die Anerkennung als Schreiberin, die ihr vom patriarchalen Mediensystem verwehrt wird. Auch mit ihrer ersten grossen Liebe liegt sie wieder in einer Hängematte, weil der Typ gar kein Bett hat, und in einer solchen liegt sie dann auch während eines Horrortrips auf Ayahuasca in Kolumbien, der gegen Ende geschildert wird. Nein, die Protagonistin von «Das Ideal des Kaputten», dem ersten Roman von Jessica Jurassica, steht wahrlich nicht mit beiden Beinen im Leben.

Jessica Jurassica ist ursprünglich eine Social-Media-Figur, die in kurzen, in Internetlingo verfassten Kommentaren ihr betont schäbiges und verdrogtes Partyleben feiert und dabei satirisch ihre Rolle als junge Frau reflektiert. Unter JournalistInnen bekannt wurde sie im Sommer 2018, als sie für kurze Zeit beim Blog «KulturStattBern» angestellt war, der damals zu Tamedia gehörte. Ihr erster Beitrag war ein satirischer Brief an Verleger Pietro Supino, in dem sie fantasierte, sie würde einen seiner Söhne heiraten und sein Businessimperium übernehmen, inklusive Koks und Sexplattformen. Jurassica wurde kurz darauf entlassen, ihre Rolle als Outlaw im Medienzirkus war gefestigt.

Alphamännchen aufs Glatteis führen

Die Figur Jessica Jurassica ist also längst Teil des Mediensystems – allerdings von Anfang an, indem sie einen Konflikt zu diesem behauptet. Schon im ersten Kapitel von «Das Ideal des Kaputten», das sich wie ein autobiografischer Text liest, heisst es: «Ich hasste die Journalisten und Journalistinnen, sie hatten mir den Sommer versaut.» Diese würden nicht nur ständig Leute hypen oder über sie herfallen und sie dann liegen lassen «wie ein komplett gestörter Fuckboy», sondern die Erzählerin auch ständig zum Kaffee einladen und ihr leere Karriereversprechen machen. Das Misstrauen ist also gross – aber wieso eigentlich?

Bei allem Hass ist Jessica Jurassica natürlich perfekt zugeschnitten auf das enthüllende Begehren der Medien. Sie berichtet zwar von den intimen Erfahrungen und Gedanken einer jungen Frau – ein journalistischer Fetisch –, doch die junge Frau dazu gibt sie nicht preis. Nicht nur, dass diese sich hinter einem Pseudonym versteckt, auch ihr Gesicht verbirgt sie stets hinter einer Sturmmaske. Doch die Person rückt dadurch nicht etwa in den Hintergrund; als Leerstelle und Projektionsfläche wird sie vielmehr zur zentralen Verheissung. Jurassica ist sich dieser Attraktivität sehr wohl bewusst; zuoberst auf ihrem Twitter-Feed liest man: «Wer ist die junge Frau warum provoziert sie».

Vor allem für Alphamännchen scheint Jurassica eine Herausforderung zu sein. Vielleicht hatte der Ostschweizer Schriftsteller Peter Stamm den Roman gar nicht gelesen, in dem er als Verkörperung des patriarchalen Literaturbetriebs verhöhnt wird. Jedenfalls reagierte er dann mit einem verteidigenden Kommentar unter einer Rezension von Jurassicas Debütroman im Kulturmagazin «Saiten»: «im gegensatz zu jj habe ich mich, bis ich 35 war, ohne einen franken kulturförderung selbst durchgeschlagen».

Andere reagieren mit Vereinnahmung. Es wirkte zuweilen unfreiwillig komisch, wie der Journalist Constantin Seibt Jurassicas 2020 publizierte erotische Kurzgeschichte «Die verbotenste Frucht im Bundeshaus» in der «Republik» in den Himmel lobte. Diese erzählt von Sex zwischen Alain Berset, einer Journalistin und Daniel Koch auf der Bundeshauskuppel. Den Machtstau des Bundesrats in einem Sexspiel zu entladen, bei dem dieser erniedrigt wird, ist ziemlich schlau. Doch bei Seibt wurde der 25 Seiten lange Text zu einem Manifest liberaler Tugenden, den am besten alle angehenden StaatsbürgerInnen lesen sollten.

Warum so fatalistisch?

Im Vergleich dazu wirkt «Das Ideal des Kaputten», dessen mäandernde und schlecht gelaunte Erlebnisberichte und Gedankengänge sich süffig weglesen, geradezu harmlos. Der Roman ist das introspektive Gegenstück zu Jurassicas Rumgepöbel auf Twitter; das dominierende Thema ist die Verunsicherung und das tiefe Misstrauen der Protagonistin, etwa gegenüber Männern, von denen sie emotional abhängig zu werden droht, oder solchen, die ihr das Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum nehmen.

Man liest das gern, wegen des Einblicks und der bissigen Gesellschaftskritik. Allerdings nervt zuweilen die fatalistische Haltung, die Jurassica trotzig betont. Diese drückt sich nicht nur in gedanklicher Nachlässigkeit aus – Sätze enden oft auf «was weiss ich» oder «keine Ahnung» –, sondern auch mit der Betonung von Perspektivlosigkeit. Über die Absage von Veranstaltungen während des ersten Lockdowns, bis zu dem sich die Erzählung zeitlich erstreckt, heisst es: «Es waren Ausfälle von Möglichkeiten, die ich sowieso nie gehabt hatte.» Die mediale Aufmerksamkeit, die Jurassica gerade erfährt, zeigt zumindest, dass sich ihr auch als Outlaw ein paar Möglichkeiten im System auftun.

Jessica Jurassica: Das Ideal des Kaputten. Lector Books Verlag. Zürich 2021. 122 Seiten. 29 Franken