Auf allen Kanälen: Es tut uns so leid

Nr. 48 –

Die gefeierte SRF-Serie «Frieden» erzählt auch eine brisante Firmengeschichte. Doch warum reden fast alle nur über die überlebenden Jugendlichen aus Buchenwald?

Matthias Lier als Chemiker in «Frieden»

Ein Firmenretter im bündnerischen Domat-Ems, der seine Korrespondenz unlängst noch mit «Heil Hitler» unterzeichnet hatte. Ein deutscher Spitzenchemiker, Werkleiter der IG-Farben-Filiale, in der Tausende KZ-Insassen aus Auschwitz in den Tod geschunden wurden – in der Schweiz hofiert von hohen Kreisen, bis hinauf zum SP-Nationalrat* Robert Grimm. Ein Nazi, der die existenziell bedrohte Firma Hovag, die im Krieg den Treibstoff Methanol für die Schweizer Armee hergestellt hatte, mit Kunstfaser-Know-how in eine neue Prosperität führte. Man würde meinen, dass diese brisante historische Episode, als Dokfilm wie auch fiktional aufbereitet, eine Debatte auslösen müsste. Doch bis jetzt blieb das Schweizer Interesse an der Geschichte des Chemikers Johann Giesen, der die heute von Magdalena Martullo-Blocher geleitete Ems-Chemie nach 1945 in lukrative neue Bahnen brachte, gering.

Alles kein Problem

Zwar gab es viel Lob für Petra Volpes SRF-Serie «Frieden». Doch blieb dieses Lob weitgehend auf den einen Strang der Geschichte fokussiert: die Buben und jungen Männer, die das KZ Buchenwald überlebt hatten und in einem Lager des Roten Kreuzes untergebracht wurden. Das kaum fassbare Schicksal dieser Jugendlichen, die nur knapp der Vernichtung entkommen waren, aber auch die antisemitischen Ressentiments der SchweizerInnen hat die RezensentInnen erschüttert. Mag sein, dass manche von ihnen nur die ersten beiden Folgen geschaut hatten, in denen die Buchenwaldgeschichte klar dominiert.

Doch eigentlich hat das Schweizer Fernsehen die Fährte zu beiden Hauptsträngen von «Frieden» auch mit zwei Dokfilmen von Hansjürg Zumstein gelegt: einem über «Die Buchenwald-Kinder» – und einer historischen Aufarbeitung über die «dunklen Helfer» der Ems-Chemie. Darin wird nachgezeichnet, wie Christoph Blochers Vorgänger mit Johann Giesen und weiteren Chemikern aus dem nazifizierten IG-Farben-Betrieb die innovative Grundlage für den Relaunch des heute grössten Arbeitgebers im Kanton Graubünden legte. Dieser Plot ist auch Teil der Serie «Frieden», einfach auf eine Innerschweizer Textilfirma übertragen.

Blocher, der 1969 in die Ems-Chemie eintrat,** kann im phasenweise unnötig raunenden Dokfilm nicht erklären, warum diese Schlüsselepisode in der Firmengeschichte «Erfolg als Auftrag» von 2011 nur mit einem dürren Satz erwähnt wird. Eine Auslassung, die umso auffallender ist, da er gleichzeitig versichert, dass das alles ja kein Problem sei: Man arbeite bis heute auch mit «Sündern» zusammen, Hauptsache, diese seien «tüchtige Leute».

Nebst einer präzisen Besprechung des Dokfilms auf tages-anzeiger.ch thematisierten der abgewählte SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli in der «Weltwoche» und der Ex-«Weltwoche»-Mann Rico Bandle in der «SonntagsZeitung» den Ems-Bezug von «Frieden». Medizinhistoriker Mörgeli moniert, die Serie erinnere teils an einen «verfilmten Bergier-Bericht» – als ob historische Genauigkeit etwas Anrüchiges wäre. Auch die tatsachenbasierte «Industriegeschichte» findet er «etwas plump».

Bandle schafft gar eine atemberaubende Schuldverdrehung: Die KZ-Überlebenden stellt er als potenzielle Gefährder dar – womit die Feindseligkeit gegen sie als verständliche Vorsichtsmassnahme erscheint. Die freundliche Einladung an die Nazichemiker wiederum bagatellisiert er als schlichte Notwendigkeit. Immerhin gewährt er so unverstellt Einblick in eine schweizerische Güterabwägung, die über Leichen ging.

Ferne KZ-Gräuel

Bloss: Warum interessiert die «Industriegeschichte» abseits der SVP kaum? Eine Antwort findet sich in der Serie «Frieden» selbst. Auffallend oft fällt dort der Satz «Es tut mir leid», wenn es um die Überlebenden aus Buchenwald geht. Eine menschlich verständliche, hilflose, letztlich wohlfeile Reaktion auf die fernen KZ-Gräuel. Angesichts der viel näheren Kollaboration mit Nazis sagt niemand «Es tut mir leid». Diese Verstrickung ist für die Schweiz komplexer, unangenehmer, nachhaltiger. «Frieden» kann man auch dahingehend interpretieren: Lassen wir die moralschwere Schambekundung hinter uns und durchleuchten vielmehr neugierig und rigoros den Sockel des Schweizer Wohlstands. Während und nach dem Krieg und bis heute.

«Frieden» und die beiden Dokfilme sind auf srf.ch und auf der neuen Plattform playsuisse.ch weiterhin verfügbar.

* Korrigendum vom 28. November 2020: In der Printversion sowie in der ursprünglichen Onlineversion steht, dass Robert Grimm SP-Bundesrat gewesen sei. Richtig ist: Robert Grimm war SP-Nationalrat.

** Korrigendum vom 30. November 2020: In der Printversion sowie in der ursprünglichen Onlineversion steht, dass Christoph Blocher die Ems-Chemie 1969 übernahm. Richtig ist: Blocher trat 1969 in die Ems-Chemie ein, ab 1972 war er Direktionsvorsitzender, 1983 kaufte er sie.