Ai Weiweis Coronafilm: Zur Supermacht gekrönt

Nr. 38 –

Der chinesische Künstler Ai Weiwei hat mit «Coronation» den ersten Dokumentarfilm zum Lockdown in Wuhan gedreht. Er wirkt wie ein Schaufenster in eine dystopische Zukunft, die plötzlich allgegenwärtig war.

Plötzlich war die Millionenstadt wie leergefegt: Der Bahnhof von Wuhan während des Lockdowns im Dokumentarfilm «Coronation». Still: Ai Weiwei Studio

Ende August veröffentlichte Ai Weiwei ohne Vorwarnung «Coronation», einen zweistündigen Film über den Lockdown in Wuhan, wo die Coronapandemie im Dezember ihren Anfang nahm. Der chinesische Künstler hat Erfahrung darin, Chinas Umgang mit Krankheiten zu dokumentieren. 2003 drehte er «Eat, Drink, and Be Merry» über die Sars-Epidemie, zehn Jahre später «Stay Home!» über HIV – beide Filme zeigen Behördenversagen, staatliche Vertuschung und politische Verachtung gegenüber PatientInnen. Seit 2015 lebt Ai Weiwei in Europa im Exil, von wo aus er die Dreharbeiten zu «Coronation» koordinierte und wo er die Aufnahmen, die sein Team vor Ort machte, montierte.

Neonfarbene Propaganda

Der Film setzt mit dem Beginn des Lockdowns am 23. Januar ein und endet mit der Öffnung der Stadt am 8. April, dazwischen begleitet er mehrere AkteurInnen durch den Lockdown. Er zeigt, wie sie durch das Gesundheitswesen und die Bürokratie navigieren, wie sie ihre Angehörigen beerdigen oder in ihren Wohnungen ausharren. «Coronation» oszilliert zwischen diesen persönlichen Geschichten und einer fast überästhetisierten Faszination für die Science-Fiction-haften Bilder, die Wuhan bietet. Drohnen filmen leer gefegte Strassen dieser Elf-Millionen-Stadt, Menschen in Schutzausrüstung taumeln wie choreografiert durchs Bild, Roboter desinfizieren Parks, der Elektrosoundtrack verbreitet Endzeitstimmung.

Dabei schafft der Film es sehr geschickt, auch das offizielle Narrativ der chinesischen Regierung einzufangen, wonach China die Pandemie ausserordentlich gut gemeistert habe. Tatsächlich hat es China geschafft, die Infektions- und Todeszahlen niedriger zu halten als viele westliche Länder. Indem es also mit gutem Beispiel vorangeht, soll China endgültig zur Supermacht aufsteigen – das suggeriert auch der mehrdeutige Titel, in dem «corona» und «nation» zur «coronation» verschmelzen, zur Krönung.

Tatsächlich ist es beeindruckend, wie innerhalb von nur zwei Wochen ein Krankenhaus aus dem Boden gestampft wird, um CoronapatientInnen zu pflegen, während etwa die Schweiz monatelang zögerte, bis auch nur eine Maskenpflicht angeordnet wurde. Die Dimensionen des Spitals werden klar, als ein Arzt vier ungeschnittene Minuten lang durch die labyrinthartigen Flure dieses riesigen Provisoriums läuft, vorbei an Motivationspostern und Flaggen mit Hammer und Sichel. Die Propaganda übernimmt das ganze Stadtbild, wie Drohnenaufnahmen einer nationalistischen Lightshow auf den Hochhäusern von Wuhan zeigen: Gelbe Fäuste recken sich auf rotem Grund in den Himmel, und sozialistisch-realistische GuerillakämpferInnen laufen in Neonfarben über die Fassaden.

Das offizielle Narrativ sieht man auch in einer der wohl interessantesten Figuren des Films verkörpert: in einer älteren Dame, die von ihrem Sohn gefilmt wird. Die ehemalige Gewerkschaftsführerin glaubt fest an den chinesischen Kommunismus. Stolz zeigt sie Parteiauszeichnungen, ein roter Band mit goldenen Schriftzeichen nach dem anderen plumpst auf den Tisch. China kümmere sich um seine BürgerInnen, sagt sie, als die Nachrichten die mangelhafte Reaktion auf die Pandemie in den USA zeigen. Der Staat müsse für Stabilität sorgen, lobt sie die rigorosen Massnahmen. Der Sohn, ein Künstler, lacht nur, wenn sie forsch für das chinesische Modell wirbt. Denn schon in den neunziger Jahren wurde «die eiserne Reisschale zerschlagen», der Sozialstaat abgebaut, wurde China zu einem neoliberalen Land.

Gestrandet im Parkhaus

Wie wenig sich der Staat tatsächlich um seine BürgerInnen kümmert, zeigt «Coronation» in der zweiten Hälfte. Ein Arbeiter, aus einer anderen Provinz nach Wuhan hergeschafft, um am rekordschnell errichteten Spital mitzubauen, hängt danach in der Stadt fest und ist gezwungen, in seinem Auto in einem Parkhaus zu leben. Verzweifelt fleht er am Telefon die Behörden an, ihn zurück zu seiner Familie zu lassen: Es könne doch nicht sein, dass man ihn nach Wuhan gebracht habe, ohne ihn wieder ausreisen zu lassen. Doch der Lockdown ist absolut. Laut internationaler Presse hat der Bauarbeiter mittlerweile Selbstmord begangen. In den offiziellen chinesischen Medien erfährt man nichts von diesen Geschichten.

In China ist nur forciert optimistische Fröhlichkeit erlaubt. Man ist aufgefordert, in Gruppen tanzend seine Hände zu waschen und «Sieg für Wuhan» zu brüllen, als Pflegepersonal aus anderen Regionen eintrifft – aber um Angehörige zu trauern, ist ohne Gängelung und Bevormundung kaum möglich. Ein Mann im Film kämpft verzweifelt gegen die Bürokratie, die ihm nicht erlauben will, die Asche seines kremierten Vaters ohne Begleitung eines Arbeitskollegen abzuholen. Weil er so ein Aufhebens macht, hat er schon Besuch vom Geheimdienst bekommen. «Um Stabilität zu wahren, verwendet der Staat so viele Ressourcen, um mich zu überwachen und zu kontrollieren», beklagt er sich.

Dabei ist «Coronation» kein plumpes Stück antichinesische Propaganda, wie sie im Westen gerade so gern gesehen wird. Ai Weiwei zeigt in seinem Film vielmehr die Widersprüche und Zwänge eines bürokratischen Systems – das es nicht nur in China, sondern ebenso im Westen gibt. Laut eigener Aussage hat der Künstler versucht, den Film an grossen Festivals wie Toronto oder Venedig zu zeigen, doch er erhielt nur Absagen, auch von Streamingriesen wie Netflix und Amazon – zu gross sei die Angst, so vermutet er, den Zugang zum chinesischen Markt zu verlieren.

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Coronation. Regie: Ai Weiwei. Deutschland/China 2020