Tame Impala: Im Ein-Mann-Loop

Nr. 9 –

Kevin Parker alias Tame Impala konnte noch nie besonders gut Texte schreiben. Die musikalische Genügsamkeit, die sein neues Album «The Slow Rush» ausstrahlt, macht das umso augenfälliger.

Kuschlig im eigenen Sound eingerichtet: Tame Impala. Foto: Neil Krug

Kevin Parker steht alleine am Strand von Malibu. Er hielt diesen für den sichersten Zufluchtsort, als er spätmorgens verkatert in seiner Airbnb-Wohnung aufwachte, der Strom ausfiel und der Himmel sich bräunlich verfärbte. Vom Strand aus blickt er auf die Hügel hinter dem kalifornischen Städtchen und sieht sie in Flammen stehen. Wieder zu Hause in Los Angeles, erfährt er, dass fast all sein Musikequipment zusammen mit der Wohnung verbrannt ist. Nach Malibu hatte Parker sich zurückgezogen, um an «The Slow Rush» zu arbeiten, dem neuen Album seines Einmannprojekts Tame Impala.

Faszinierend an dieser Anekdote, die Parker jetzt in Interviews zum Album erzählt, ist nicht ihr Inhalt, sondern die Tatsache, dass dem Erzähler überhaupt nicht bewusst zu sein scheint, wie komisch sie eigentlich ist. Der verschrobene Loner, der seine gefeierten Platten ganz alleine in seinem Schlafzimmer aufgenommen und darauf seine seelischen Zustände verarbeitet hat, wird in seinem Safe Space plötzlich heimgesucht vom ökologischen Realen – und flüchtet zum Ozean, diesem abgedroschenen Bild für Innerlichkeit, das er in einem Song schon selber prominent bedient hat.

Kommt schon gut

Humor, ja überhaupt jede Art von Doppelbödigkeit ist nicht die Stärke von Kevin Parker. Tame Impala hat nie durch die Texte überzeugt, doch auf «The Slow Rush» – einem Album über, Achtung: Zeit und Vergänglichkeit – fällt diese Schwäche noch stärker ins Gewicht als bisher. Das liegt nicht unbedingt daran, dass die Musik banaler geworden wäre. Parker ist ja gerade sehr gut darin, Popsongs zu schreiben, die Umwege gehen, mit Ambivalenzen und Zerstreuung spielen, Brüche aufweisen, aber trotzdem ganz leicht ins Ohr gehen.

Zum Beispiel «On Track» vom neuen Album: Das beginnt als Pianoballade mit zerstreut herumstrahlenden Synthis, lässt sich Zeit bis zur Hook, die sofort hängen bleibt. Dann aber, in diesem entscheidenden Moment im Song, legt Parker eine Zeile mitten auf die Hook, die auch auf Englisch nicht viel poetischer klingt und zudem rhythmisch ziemlich holpert: «Genau genommen bin ich immer noch auf Kurs.» In «Breathe Deeper» atmen wir einmal kurz durch, dann kommts schon gut. Aber wir müssen auch einsehen, dass nicht mehr alles ist, wie es einmal war («It Might Be Time»), oder wir können hoffen, dass schreckliche Erinnerungen sich in «great ones» verwandeln («Lost in Yesterday»).

Wenn man grosszügig sein will, könnte man bei «Lost in Yesterday» noch etwas Selbstreflexion mitlesen. Denn das musikalische Material, mit dem diese Musik immer wieder den Moment besingt (einer der grössten Tame-Impala-Songs heisst «The Moment»), ist natürlich total retro. Auf den ersten beiden Alben spielte Tame Impala herrlich verstrahlte Gitarrenmusik wie aus den Sechzigern. Auf «Currents» dann, dem Meisterwerk von 2015, hat Parker die musikalische Formel kreiert, die er im Grunde bis heute bedient: stark verwaschener Gesang, jede Menge Synthesizer aus den Achtzigern, harmonische und rhythmische Einflüsse aus der jüngeren R-’n’-B-Geschichte, hinreissende Break- und Discobeats, die wie Drumsamples aus den Siebzigern klingen. (Parker weiss diesen Sound so genau zu emulieren, dass ihn ein Mitglied der Funkband Skull Snaps einmal fälschlicherweise beschuldigte, ihnen ein Drumloop von 1973 geklaut zu haben.)

Trennung als Triumph

Auch auf «Currents» gab es schon Zeilen, die wie aus dem Motivationsseminar klangen, aber da war auch noch eine interessantere Seite. Es hat immer etwas von einer Ermächtigung, wenn ein Album über das Ende einer Beziehung derart erfolgreich wird, doch Parker schlachtete dieses Gefühl damals geradezu triumphierend aus. Man will ja nicht ins Klischee des unglücklichen Genies fallen, aber vielleicht tut es Parkers Kreativität tatsächlich nicht sonderlich gut, dass er seit einem Jahr glücklich verheiratet ist. (Seine Liebe besingt er auf dem neuen Album übrigens als «Instant Destiny».)

Wie auch immer, man hätte auch musikalisch mehr von «The Slow Rush» erwartet. 2015 bewegte Tame Impala sich an diesem fruchtbaren Punkt zwischen Retrorock und Black Music, wo so viel relevanter Pop entstand. Das zeigt sich schon an der erstaunlichen Anerkennung, die der weisse Indie-Boy aus Australien aus der Welt des Hip-Hop und R ’n’ B erhielt, deren er sich grosszügig bediente. Der Rapper Tyler, the Creator gehörte zu seinen frühesten Fans, Kendrick Lamar und A$AP Rocky haben seine Songs gesampelt, die R-’n’-B-Sängerinnen SZA und Rihanna haben sie gecovert.

Enttäuschend ist daher, wie wenig sich die Musik von Tame Impala seither entwickelt hat. Mit «The Slow Rush» hat Parker es sich kuschlig in seinem typischen Sound eingerichtet; die Drums und die Bässe sind knackig zugespitzt, die Synthesizer verströmen tröstliche Wärme, klug platzierte Elemente tanzen aus der Reihe. Es war Parkers erklärtes Ziel, psychedelische Musik nicht als Genre zu machen, sondern das psychedelische Potenzial von Pop selbst zu entfalten. Immer noch auf Kurs also? Genau genommen ist da einer etwas hängen geblieben.

Tame Impala: The Slow Rush. Caroline/Universal. 2020