Waffenabstimmung: Schützt uns vor diesen Schützen

Nr. 16 –

Von wegen Diktat der EU: Die Schweizer «gun cul­ture», wie sie die SchützInnen beschönigend nennen, bewirkte eine schwächere Waffenrichtlinie für ganz ­Europa.

In der Schweiz wird gerade staatlich die Fremdenangst gefördert. Da können die Stimmberechtigten am 19. Mai über eine minimale Verschärfung des Waffenrechts befinden: Neu brauchen halbautomatische Waffen eine Ausnahmebewilligung, was insbesondere Sturmgewehre betrifft. Doch statt im Vorfeld die Gefährlichkeit von Schusswaffen zu thematisieren, warnen Justizministerin Karin Keller-Sutter und Migrationsdirektor Mario Gattiker vor einer steigenden Zahl von Flüchtlingen. Die Argumentationskette: Hinter dem neuen Waffengesetz steht eine überarbeitete EU-Richtlinie. Bei deren Ablehnung droht die Aufkündigung des Schengen- und des Dublin-Vertrags, der Flüchtlingen nur ein einziges Asylgesuch in den europäischen Staaten erlaubt. Ergo: «Die Schweiz würde sehr attraktiv für Asylsuchende» (Keller-Sutter in der NZZ). «Es gäbe eine Sogwirkung» (Gattiker gegenüber CH Media).

Die Argumentation lässt sich weniger politisch als psychologisch deuten: Wir projizieren die Angst nach draussen, auf die Fremden und die Flüchtlinge, um uns bloss nicht mit den eigenen Tabus beschäftigen zu müssen. So wird erfolgreich verdrängt, dass die Schweiz auch nach einem Ja zur Vorlage noch immer ein äusserst laxes Waffengesetz hätte oder dass dank der gütigen Mithilfe der Milizarmee in der Schweiz mehr als zwei Millionen Feuerwaffen im Umlauf bleiben. Verdrängt wird auch die hohe Suizidrate in der hiesigen Leistungsgesellschaft: Von den mehr als 200 Todesfällen durch Schusswaffen, die es jährlich gibt, sind neunzig Prozent Suizide. Die Hälfte davon erfolgt mit Armeewaffen.

Auch der Wirtschaftsverband Economiesuisse wirbt in seiner Kampagne für ein «Ja zu Schengen/Dublin», in seinem Schlepptau bedient die Operation Libero die jüngere Klientel: «I love Schengen» lautet ihr Spruch. Das mag im Gegensatz zur Angstmacherei von Keller-Sutter und Gattiker weltoffen gemeint sein. Die Wirkung ist aber gleichermassen verheerend: Der Schengen-Verbund, der mit immer schärferen Visabestimmungen die humanitäre Katastrophe von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer mitverursacht hat, wird glorifiziert. Das Dublin-System, dank dem sich die Schweiz ihrer asylpolitischen Verantwortung zu einem grossen Teil entziehen kann, wird legitimiert.

Während die Liberos «I love Schengen»-T-Shirts tragen, spricht die GegnerInnenschaft – sie reicht von der SVP über die Armbrustschützen bis zum Verband der Vorderlader – von einem «Entwaffnungsdiktat der EU». Wie die BefürworterInnen lösen sie eine politische Auseinandersetzung über Waffen bequem im Gegensatz von pro und kontra Europa auf. Dabei zeigt das Waffengesetz, dass die europäischen Verträge ein Kräftefeld sind.

Wie in der Botschaft des Bundesrats nachzulesen ist, setzte sich die Schweiz nämlich zum Ärger anderer Schengen-Staaten wie Luxemburg bei den Verhandlungen über ihre Interessen praktisch vollständig durch. So verzichtete die EU-Kommission auf ein absolutes Verbot des Privatbesitzes der gefährlichsten Schusswaffen, ebenso auf die Einführung von medizinischen und psychologischen Tests als Voraussetzung für den Erwerb und den Besitz von Feuerwaffen. Von wegen Diktat der EU: Die Schweizer «gun culture», wie sie die SchützInnen neuerdings verharmlosend nennen, bewirkte eine schwächere Richtlinie für ganz Europa.

Dass in diesem Abstimmungskampf rechts wie in der bürgerlichen Mitte auf falsche Feindbilder gezielt wird und in den Kampagnen mutwillig Kollateralschäden in Kauf genommen werden, macht erst recht klar: In der Schweiz herrscht ein irrationaler, mythengetriebener Umgang mit Waffen. Dabei geht es am 19. Mai fern von Schengen-Glorifizierung, «Entwaffnungsdiktat» und Flüchtlingshetze um einen einfachen, statistisch untermauerten Grundsatz, den viele nicht mehr auszusprechen wagen, wohl aus Angst vor den einflussreichen Verbänden der SchützInnen: Weniger Waffen bringen mehr Sicherheit, immer und überall und auch in der heilen Schweiz.