Literatur: Glanzstunden und Fallstricke

Nr. 39 –

Der Klang ihres Namens täuscht: Thirza Zorniger ist keine grosse Kämpferin. Aufgewachsen ist sie bei zwei Grosstanten und einem patriarchalischen Grossvater. Der war Jurist im «Dritten Reich», doch davon wird nicht gesprochen. Als unsichere Berufsanfängerin bewegt sich Thirza Zorniger eher zögerlich denn zornig durch die Welt der Justiz, aber sie will für Gerechtigkeit sorgen und den Dingen auf den Grund gehen.

Über jede Erkenntnis freut sie sich – oder ist betroffen: «Gesetze zugunsten Ohnmächtiger mussten mühsam erkämpft werden, gegen erbitterten Widerstand, mit Rückschlägen und Verlusten. Die Justiz selbst ist nicht gerecht!, notierte Thirza verblüfft.»

Petra Morsbach verbeisst sich gerne in Stoffe, die eine ganze Welt ausbreiten, und handelt sie anhand eines Einzelschicksals ab. In «Gottesdiener» ging es ihr um nichts weniger als die Theologie, in «Dichterliebe» um die Poesie. Jetzt führt uns die Autorin mit ihrer Hauptfigur Thirza Zorniger durch das deutsche Rechtssystem mit seinen Glanzstunden und Fallstricken. Je älter die Richterin wird, desto öfter sagt sie sich: «Hab’ ich ein Glück.» Das liegt nicht nur daran, dass sie spät und unerwartet noch die Liebe ihres Lebens findet. Ihr wird auch klar, dass das Schicksal sich nicht um Gerechtigkeit kümmert. Ihre Mutter wollte ebenfalls Richterin werden, aber sie opferte ihre Karriere dem Liebesglück – und wurde von ihrem Mann verlassen, als sie Brustkrebs bekam.

Mehr als dreissig RichterInnen befragte die Autorin zu ihrer Arbeit und liess sich von ihnen beraten. Ihnen widmet Morsbach den Roman, für den sie mit dem Wilhelm-Raabe-Preis ausgezeichnet wurde. Nach der Lektüre haben die LeserInnen nicht nur einen tiefen Einblick in die Justiz gewonnen und vielen spannenden und zähen, komischen und auch tragischen Prozessen beigewohnt. Sie haben beim Lesen zudem eine gesunde Skepsis entwickelt gegenüber Autoritäten, Behörden und schlichten Welterklärungen. Und sie haben eine Fülle von interessanten Menschen kennengelernt, deren Wege sich im Justizpalast kreuzen.

Petra Morsbach: Justizpalast. Roman. Knaus Verlag. München 2017. 480 Seiten. 33 Franken