Theater: «Da begriff ich, wie sich Parallelgesellschaften herausbilden»

Nr. 42 –

Zu seinem zehnjährigen Bestehen setzt sich das alternative Zürcher Maxim-Theater mit Migration auseinander: in einer so tiefgründigen wie kurzweiligen Inszenierung des Medea-Mythos.

«Wir werden fremd im eigenen Land»: Medea, die Hauptfigur in «Die Fremde», wird von drei Schauspielerinnen mit ­unterschiedlichem kulturellem Hintergrund gespielt. Foto: Heidi Arens

Die Vielfalt auf der Bühne der Kanzleiturnhalle fällt sofort auf. Vom sechzehnköpfigen Ensemble, wie ein Chor aufgestellt, ist als Erstes ein Sprachengemisch zu vernehmen: Deutsch ist zu hören, aber auch Portugiesisch, Arabisch oder Französisch, begleitet von live gespielter Trommelmusik. In seiner neuen Produktion «Die Fremde» greift das Zürcher Maxim-Theater auf die mythische Figur der Medea zurück, die ihrem Geliebten Iason in ein fremdes Land folgt und dort, von diesem verlassen, die gemeinsamen Kinder tötet.

Zentrales Thema im Stück sind der Umgang mit dem Verlassenwerden und die Beziehung zu den Kindern. Verhandelt wird das im Gespräch zwischen drei Schauspielerinnen, die alle Medea verkörpern. Dabei stehen die eigenen Erfahrungen mit Migration, mit Liebe zwischen den Kulturen und mit Mutterschaft stärker im Fokus als die antike Textvorlage. Und schon zu Beginn prallen unterschiedliche Denkweisen aufeinander, geprägt durch die jeweiligen kulturellen Hintergründe von Katia Franco Hofacker aus Brasilien, Carine Kapinga Grab aus dem Kongo und Susan Wohlgemuth aus der Schweiz. Etwa wenn Letztere sagt, dass sie die Pille nehme und noch nicht bereit sei, sich vollständig einem Kind zu widmen, und Katia daraufhin ausruft: «Du bist eine überflüssige Frau in der Gesellschaft!» Oder wenn sie die Frage diskutieren, ob nach einer Trennung vom Ehemann dessen neue Partnerin Kontakt zu den Kindern haben darf.

Das Mantra beim Stapeln

Aber wieso eigentlich der Rückgriff auf Medea, wenn die Geschichten der Schauspielerinnen doch schon genug Stoff hergeben? «Mich trieb die Angst vor Fremden in der Bevölkerung um», erklärt Jasmine Hoch, Regisseurin des Stücks. «Kurz nach den Übergriffen in Köln fragte ich mich, wie ich dieses Thema auf die Bühne bringen kann, ohne einfach rechtsextreme Klischees zu reproduzieren.» Wie schon in der antiken Bearbeitung bei Euripides dreht sich «Die Fremde» um Fremdheitserfahrungen und mangelnde Anerkennung, die aus dem Alltag ins Stück getragen werden. Katia und Carine, die beide einen Schweizer Mann geheiratet haben, werden zwar nicht angefeindet, es entsteht aber auch keine Nähe zur hiesigen Bevölkerung. «Bei den Proben begriff ich, wie sich Parallelgesellschaften herausbilden», erzählt Hoch, die neben der langjährigen Mitarbeit beim Maxim-Theater an der Zürcher Hochschule unterrichtet und für ihr Drehbuch zu «Der Goalie bin ig» mit dem Schweizer Filmpreis ausgezeichnet wurde.

Dass mit Medea schliesslich eine Frauenfigur ins Zentrum rückte, hängt auch damit zusammen, dass die Theatergruppe mehrheitlich aus Frauen besteht. Diese bringen ihre persönlichen Erlebnisse durch themenspezifische Improvisationen ein, die Jasmine Hoch filmt und dann zu Texten verdichtet. Durch die Nähe zu den Erfahrungen der Schauspielerinnen gewinnt das Stück an Authentizität.

Erzwungene Rückreise

Um die Förderung von interkulturellem Verständnis geht es dem Maxim-Theater seit der Gründung. «Im Kreis 4 wohnen Menschen aus 160 verschiedenen Kulturen zusammen. Sie alle wollten wir in die Theaterarbeit einbinden», sagt Geschäftsleiterin Claudia Flütsch, die das Theater vor zehn Jahren mitbegründet hat, rückblickend. Inzwischen ist das «Maxim» im Kreis 5 zu Hause, auf dem gleichen Areal wie die Autonome Schule, mit der ein Austausch besteht. Die Mitglieder der Theatergruppe erhalten die Möglichkeit, eigene Stücke zu kreieren. Gestiegen sei der Anspruch, in den Projekten aktuelle gesellschaftspolitische Fragen zu bearbeiten, meint Flütsch – etwa mit dem Jubiläumsthema «Wanderbewegungen».

Die SchauspielerInnen sind zum Teil ganz persönlich von der Schweizer Abschottungspolitik betroffen. Eigentlich hätten drei statt nur zwei Männer in «Die Fremde» mitspielen sollen – aber kurz vor der Premiere fiel einer aus, weil seine Aufnahmebewilligung nicht mehr verlängert wurde: «Er musste innerhalb eines Monats nach Brasilien ausreisen», sagt Jasmine Hoch. Darauf musste sie das Stück teilweise umschreiben.

Das enteignete Klagelied

Die gesellschaftliche Kälte schlägt einem auch im Stück entgegen: in Form rechter Hassreden, die um hässliche linke Frauen und sinkende Schiffe im Mittelmeer kreisen. Zu dieser Szene hat sich Jasmine Hoch von einem WOZ-Interview mit einem Hasskommentator (siehe WOZ Nr. 27/2016 ) anregen lassen: «Ich habe dieses Interview gelesen und dachte, das darf nicht wahr sein!» Das Entsetzen, das sie damals beim Lesen verspürte, ist der sonst zurückhaltenden Regisseurin immer noch anzumerken.

«Wir werden fremd im eigenen Land», heisst es nun an einer Stelle im Stück. Es ist das typische rechte Klagelied, das hier aber plötzlich ganz anders klingt – weil es von schwarzen Frauen gesprochen wird. Mit solchen erfrischenden Irritationen bietet das Stück viele Anstösse, das eigene Denken über «fremde» Menschen zu hinterfragen.

«Die Fremde – ein Medea Projekt» in: Zürich, Kanzlei, 24. bis 26. Oktober 2016, 20 Uhr; Zürich, Alte Kaserne, 2./3. November 2016, 20 Uhr; Zürich, Bistro Kornsilo, 26. November 2016, 17.30 Uhr. www.maximtheater.ch