Kost und Logis: Welche Ernährungssicherheit?

Nr. 11 –

Bettina Dyttrich über eine verwirrende Parlamentsdebatte

Finde ich gut: Der Bundesrat soll die Versorgung der Bevölkerung «mit Lebensmitteln aus vielfältiger und nachhaltiger einheimischer Produktion» stärken. Er soll den Kulturlandverlust bekämpfen, den administrativen Aufwand in der Landwirtschaft gering halten, die Rechtssicherheit gewährleisten.

Wäre die Initiative «für Ernährungssicherheit» des Bauernverbands ein Manifest, würde ich es sofort unterschreiben. Aber als Initiative? Letzte Woche hat der Nationalrat sieben Stunden darüber debattiert, und immer noch ist nicht klar, was die InitiantInnen genau wollen.

Bauernverbandspräsident Markus Ritter betonte mehrmals, es gehe nicht darum, ökologische Standards zu schwächen. Vermutlich meint er das ernst, immerhin ist er Biobauer. Aber ein Teil seines Verbands sieht es anders und wird versuchen, die Umsetzung entsprechend zu beeinflussen.

Die Schweiz «mit ihren grossen Ressourcen an Boden und Wasser» dürfe ihre Ernährungssicherheit «nicht immer stärker durch Importe und somit auf Kosten anderer» sicherstellen, sagte der Berner SVP-Nationalrat Andreas Aebi in der Debatte. Sie solle «das Mögliche selber produzieren».

Einverstanden. Aber was heisst das genau? Dazu eine einfache Rechnung: Landwirtin Maria hat zwanzig Kühe. Jede Kuh gibt 5000 Kilo Milch im Jahr. Auch Bauer Toni hat zwanzig Kühe, aber seine geben doppelt so viel Milch. Wer trägt nun mehr zur Ernährungssicherheit bei? Auf den ersten Blick natürlich Toni. Aber das täuscht: Marias Kühe holen sich das Futter von Frühling bis Herbst von der Weide, dazu gibt es täglich auch noch ein Hämpfeli Gerste, im Winter bekommen sie Heu zu fressen. Alles, was die Kühe zu sich nehmen, wächst auf dem Hof.

Tonis Kühe dagegen können ihre 10 000 Kilo Milch nicht mit Gras und Heu produzieren. Jede Kuh bekommt mindestens zwei Tonnen Kraftfutter pro Jahr – Getreide und Soja. Etwas Getreide baut Toni selbst an, aber den Grossteil des Kraftfutters kauft er in der Landi.

Die Schweiz importiert jedes Jahr 1,1 Million Tonnen Kraftfutter – nicht nur für Milchkühe, sondern in noch grösseren Mengen für Hühner und Schweine, die sich nicht von Gras ernähren können. Die Kalorien, die in diesem Kraftfutter stecken, werden nur teilweise in Lebensmittel umgewandelt. Der Rest landet in der Gülle, belastet die Gewässer und in Form von Ammoniak auch die Luft.

Und vor allem gilt: Kraftfutter schadet der globalen Ernährungssicherheit, denn wir könnten es selbst essen, statt es Tieren zu verfüttern – und so viel mehr Menschen ernähren.

Wer Ernährungssicherheit will, darf über Kraftfutter nicht schweigen. Und sollte weniger Fleisch essen – das ist der effizienteste Weg, mit weniger Land mehr Menschen zu ernähren. Aber dieses Thema ist im Bauernverband ein Tabu. Zu viele leben direkt von der importfutterbasierten Tierproduktion.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin und plädiert für den Verzicht auf Schweinefleisch und Poulet. Wenn Fleisch, dann von Wiederkäuern aus Weidehaltung.