Polen: Der braune Teppich unter der rechten Regierung

Nr. 52 –

Flüchtlingskrise und EU-Überdruss bescheren NationalistInnen und Rechtsradikalen Zulauf. Auch wirtschaftlich prosperierende Regionen haben mit dem Problem zu kämpfen – nicht zuletzt die Wirtschaftsmetropole Wroclaw.

Das Büro von Karol Wilk in der westpolnischen Grossstadt Wroclaw (Breslau) ist frisch bezogen, ein Schild am Eingang fehlt, die Regale im Raum sind leer. Der 27-Jährige von der rechtsextremen Partei Nationale Bewegung (RN) macht mit seinen jungenhaften Gesichtszügen und dem unauffälligen Pullover nicht den Eindruck, einer Gruppierung anzugehören, die scharf gegen Flüchtlinge agitiert und die antisemitische ungarische Partei Jobbik zum Vorbild erklärt.

«Wir wollen einen radikalen Wandel unseres Vaterlandes, aber radikal ist nicht gleichbedeutend mit Gewalt», sagt Wilk. Vielmehr müsse das politische System radikal geändert werden, das mit seinen Eliten eine Fortsetzung des Kommunismus sei, wie es ihn vor 1989 gegeben habe. Die RN wolle echte Souveränität und polnisches Nationalinteresse stärken, eine EU-Mitgliedschaft sei nicht zwingend. «Denn bislang regiert nicht Brüssel die EU, sondern Berlin.»

In der Flüchtlingspolitik ist die RN nah an der seit Oktober in Warschau allein regierenden nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Das verwundert nicht, denn die PiS will am rechten Rand neben sich niemanden dulden. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski sprach denn auch im Wahlkampf von möglichen «Parasiten» und Krankheiten bei den Flüchtlingen, die er aus Polen fernhalten möchte. Wilk versucht, seine Gruppierung dennoch von der PiS-Konkurrenz abzusetzen. «In der Flüchtlingsfrage, in der die PiS laviert, sollte es ein Referendum geben», sagt er. «Unter den Einwanderern können auch viele Terroristen sein.»

«Fickt den Islam»

Das ist in Polen inzwischen die politisch akzeptierte Sprache. Doch so milde, wie es die Aussagen des jungen Juristen vermuten lassen, sind die AnhängerInnen der RN keineswegs. Die 2014 gegründete Partei ist ein Bündnis von mehreren Dutzend rechten und rechtsradikalen Organisationen, deren Mitglieder auch für Gewalttaten verantwortlich sind. «Rassistisch motivierte Vorfälle haben seit September in ganz Polen massiv zugenommen», berichtet Anna Tatar vom antirassistischen Verein Nigdy wiecej (Nie wieder), der solche Taten seit Jahren dokumentiert.

Rechte Gruppierungen erhalten immer grösseren Zulauf, Demonstrationen gegen die wenigen Flüchtlinge und Muslime finden inzwischen regelmässig in vielen Städten des Landes statt. Meist unter dem schlichten Motto «Nein zu Migranten» – doch in der Sprache der Strasse weitaus aggressiver: «Fickt den Islam» oder «Wir machen mit euch, was Hitler mit den Juden tat» wird dort nicht nur von Hooligans skandiert.

Von derartiger Sprache und Gewalt distanziert sich die RN offiziell. Die Gruppierung muss sich zivilisierter geben, seit sie in Warschau politisch bedeutender wurde, als es das leere Wroclawer Büro Wilks vermuten liesse. Bei der Parlamentswahl im Oktober ist sie zwar nicht eigenständig in den Sejm, die Unterkammer des Parlaments, gelangt. Jedoch schafften es rund ein Dutzend RN-PolitikerInnen über Listen der gemässigt rechtspopulistischen Gruppierung Kukiz’15 des Rocksängers Pawel Kukiz (acht Prozent der Stimmen). Unter den 42 Kukiz-Abgeordneten stellen die RN-Kader zwar die Minderheit. Doch BeobachterInnen mutmassen, dass sie im Lauf der nächsten Jahre der Kukiz-Gruppierung ihren Stempel aufdrücken könnten.

Im Parlament haben die RN-VertreterInnen bereits eine «nationaldemokratische Gruppe» aus der Taufe gehoben, die auch ParlamentarierInnen anderer Parteien umfasst. Mit Krzysztof Bosak (33) oder RN-Chef Robert Winnicki (30) verfügt die RN über junges, rhetorisch gut geschultes Führungspersonal. Seit dem Parlamentseinzug versuchen sie, in den Mainstream vorzudringen, gastieren immer häufiger in TV- und Hörfunksendungen – und tun sich dabei mit umstrittenen Thesen hervor. «Europa wird im Blut von ethnischen Bruderkriegen schwimmen, weil die europäische Linke ihre Gesellschaften einer Gehirnwäsche unterzogen hat und mit ihrer Multikulti-Politik nationale Identitäten schwächt», so Winnicki Anfang November in einer der bekanntesten TV-Politsendungen des Landes.

Bosak und Winnicki stammen, wie viele führende Kader der Szene, aus Wroclaw. Es ist Samstag, und in Wroclaws historischer Altstadt stellt ein ausländischer Tourist in einem städtischen Infozentrum seinen Besuchsplan zusammen. «Können Sie mir Orte empfehlen, an denen ich vor den Hooligans und Schlägern sicher bin?», fragt der dunkelhäutige Mann die Mitarbeiterin des Zentrums. Die Innenstadt sei sicher, der Gast müsse sich keine Sorgen machen, antwortet diese in aller Ruhe. Tatsächlich? «Viele sind es nicht, die nach irgendwelchen rechten Schlägern fragen. In den Ländern, aus denen sie stammen, haben sie ja meist viel grössere Probleme damit», sagt die Frau im anschliessenden Gespräch.

Doch Wroclaw hat das Problem auch. Und es wächst. So rieben sich viele in den letzten Monaten die Augen, als die 640 000-EinwohnerInnen-Stadt nicht nur durch rechte Märsche, sondern auch wegen Gewalt gegen Ausländer und linke Aktivistinnen in die Schlagzeilen geriet. Denn Wroclaw gilt nicht nur als wirtschaftliche Boomstadt, in der sich führende polnische und ausländische Unternehmen angesiedelt haben und die Arbeitslosigkeit mit 3,5 Prozent deutlich unter den landesweiten 10 Prozent liegt. Wroclaw ist mit seinen rund 100 000 StudentInnen auch eines der wichtigsten Bildungs- und Forschungszentren Polens, die reiche Kulturszene wirkt wie ein Magnet auf junge PolInnen, die zum Lernen und Arbeiten hierherkommen – und mitunter die rechte Szene stärken.

Alles Deutsche gilt als feindlich

Den Behörden vor Ort bereitet etwa die Gruppierung Nationale Wiedergeburt Polens (NOP) Kopfzerbrechen. In Wroclaw ist die NOP, von Skinheads dominiert und neonazistisch geprägt, so stark wie in kaum einer anderen Stadt. Ideologisch aufgeladen werden die AnhängerInnen der NOP durch aus Wroclaw stammende rechtsextreme oder neonazistische Bands wie Legion oder die inzwischen aufgelöste Konkwista 88, die in der Szene landesweit bekannt sind. Am 11. November, dem polnischen Unabhängigkeitstag, konnte die NOP in Wroclaw rund 10 000 DemonstrantInnen auf die Strasse bringen. Unternehmen wie IBM mahnten ihre MitarbeiterInnen, zu Hause zu bleiben. Die NOP agitiert gegen die EU und MigrantInnen und für ein «grosses katholisches Polen», das frei von Schwulen sein solle.

Auf Gesprächsanfragen reagieren die NOP-AktivistInnen in Wroclaw nicht, vor allem nicht auf solche von deutschsprachigen Medien. Denn gerade alles Deutsche gilt ihnen als feindlich – nicht zuletzt in ihrer Stadt Wroclaw, die vor 1945 zwei Jahrhunderte lang preussisch und deutsch war. Die heutige polnische Bevölkerung der Stadt ist nach dem Krieg mehrheitlich aus den 1945 der Ukraine zugeschlagenen ehemaligen Ostgebieten Polens hierhin umgesiedelt worden.

Ist dies der Humus für die Stärke der Rechten, die ihre «Festung Wroclaw» polnisch halten wollen? Darauf deuten Einträge auf der NOP-Website über eine Demonstration am 13. Dezember hin, dem Jahrestag der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen 1981: «Stadtpräsident Rafal Dutkiewicz bekam die Quittung für die Germanisierung der Stadt, für den Versuch, Wroclaw als ‹Breslau› zu bewerben, für die Umleitung der Gewinne aus Bauvorhaben an deutsche Firmen und den Verkauf von Grundbesitz an die jüdische Gemeinde mit einem Rekordrabatt von 99 Prozent!»

Gegen JüdInnen agitiert die NOP ebenso stark wie die Gruppierung Nationalradikales Lager (ONR). Bei einer ONR-Demonstration im November gegen Flüchtlinge verbrannten TeilnehmerInnen auf Wroclaws zentralem Marktplatz eine Menschenpuppe, die einen Juden darstellen sollte. Präsident Dutkiewicz reichte Strafanzeige ein, etliche Gruppen und Persönlichkeiten protestierten und setzen sich für eine Stadt der Toleranz ein. Doch das braune Problem wächst.

Auch Michal Syska ist beunruhigt ob der neuen Stärke der Rechten. Nicht nur in seiner Stadt. Der Jurist und Publizist sitzt in dem kleinen Büro des von ihm geleiteten Lassalle-Instituts für gesellschaftliche Fragen in Wroclaws Zentrum. Die vielen Splitterorganisationen der extremen Rechten in Polen, sagt Syska, seien miteinander verflochten. «Gruppierungen wie die RN, die NOP oder das ONR sind zwar häufig zerstritten, aber sie durchdringen einander.»

Eine Besonderheit Polens sei zudem, dass es keine klare Trennlinie zwischen der konservativen Rechten und den Rechtsradikalen gebe. Auch in der Bevölkerung sei die radikale Rechte relativ breit akzeptiert. «Der Grund dafür ist, dass im Zweiten Weltkrieg das faschistische Hitler-Deutschland nicht mit den polnischen Nationalisten paktierte, sondern diese vielmehr gegen die Deutschen kämpften und kämpfen mussten.» Daher erinnert die nationalistische Rechte heute gerne an «verbannte Soldaten», die nach dem Krieg in der Zeit des Stalinismus verfolgt und ermordet wurden. Das tut sie gemeinsam mit konservativen Kreisen – und mit Vertretern der einflussreichen katholischen Kirche.

Enge Verbindungen nach Ungarn

Was aber heisst das für die nahe Zukunft? Die RN, aber auch andere rechte Gruppen dürften jetzt darauf hoffen, dass die in Warschau regierende PiS den nationalistischen Zeitgeist weiter befeuert und zugleich den radikaler gesinnten Teil ihrer WählerInnen enttäuscht – und diese sich künftig weiter nach rechts orientieren. «Die RN wird versuchen, sich als polnische Jobbik zu etablieren», sagt Syska. Tatsächlich bestehen bereits enge Kontakte nach Ungarn. Jobbik-VertreterInnen traten beim durch die RN organisierten Marsch der Unabhängigkeit am 11. November in Warschau auf, ihre Führung gratulierte den polnischen GesinnungsgenossInnen zum Wahlerfolg. Nun könnten sich «national-radikale Kräfte als das lebendige Gewissen Polens verhalten» und Potenzial «für die Zusammenarbeit der Nationen Mitteleuropas» entfalten, schrieb die Jobbik-Führung.

Andere BeobachterInnen hoffen hingegen auf einen Linksschwenk. Zwar könnte in ein paar Jahren «die Wut die Menschen in die Arme der Nationalisten treiben», sagt der US-amerikanische Politologe und Polenkenner David Ost. Aber auch eine erneuerte Linke könnte diese Wut bündeln. «Wenn sie keine Angst davor haben wird, eine leicht ‹nationale› Sprache zu sprechen», sagt Ost. Doch die polnische Linke liegt am Boden, keine einzige linke Partei ist im neuen Sejm vertreten. Die PostkommunistInnen sind zerstritten, die neue linke Partei Razem (Zusammen) muss erst zeigen, ob sie sich als Kraft gegen den nationalistischen Zeitgeist – und die tief verwurzelten nationalistischen Traditionen – stellen kann. Deren Chef Adrian Zandberg sagt: «Entweder wir beseitigen die Gründe für die gesellschaftliche Frustration, oder aber es kommen die Braunhemden.»

Karol Wilks Pullover ist nicht braun. «Unsere Positionen sind völlig demokratisch», sagt er. «Wenn jemand behauptet, wir wollten mit Schlagstöcken das Parlament stürmen, stimmt das nicht.» Sie müssen es nicht stürmen. «Wir können heute von der Rednerbühne des Sejm sprechen.»

Viktor Orban als Vorbild

Seit November 2015 regiert in Polen die nationalkonservative Partei PiS von Ministerpräsidentin Beata Szydlo mit absoluter Mehrheit. Die PiS positioniert sich klar rechts, erklärtes Vorbild ist Ungarns Fidesz von Viktor Orban.

In den ersten Regierungswochen besetzte die Partei wichtige Institutionen (etwa die Geheimdienste) mit PiS-nahen Gefolgsleuten und sorgte mit der Missachtung des Verfassungsgerichts für scharfe Kritik im In- und Ausland. Zuletzt sind ihre Zustimmungswerte laut Umfragen deutlich zugunsten der liberalen Oppositionspartei Moderne (Nowoczesna) gesunken.