Popmusik: Sanfter Zerstörer zwischen Himmel und Hölle

Nr. 37 –

Mit dem keimfreien Pop seines Albums «Kaputt» wurde Destroyer berühmt. Mit uncoolem Rock auf dem Nachfolger «Poison Season» versucht er jetzt, dem Ruhm zu entkommen.

Worte der Bitternis eines dunkel gestimmten Gemüts: Dan Bejar alias Destroyer. Foto: Fabiola Carranza

Der Himmel hängt voller Geigen, das Piano klimpert melodramatisch, ehe ein Sänger den schönen Kitsch mit nur einem Satz wegputzt. «Jesus is beside himself», rapportiert er mit einer sarkastisch-flüsternden Teufelsstimme. Nach diesem sonderbaren Statement, dass Jesus Christus oder schlicht eine Figur namens Jesus gänzlich neben sich stehe, sind wir bereit, diesem Erzähler überallhin zu folgen. Selbst auf den Times Square, diesen grell leuchtenden, touristischen Unort von New York City. «You can fall in love with Times Square», heisst es im Song weiter. Der Times Square als geliebter Platz? Wohl doch nur eine Schimäre, und so hetzt die Band weiter: Der Saxofonist schmettert eine Popsalve, die Band verfällt in euphorischen Stadionrock wie von Bruce Springsteen, und am Himmel geht bereits die Sonne auf, wie unser Chronist weiss: «Oh shit, here comes the sun.» Die Liebenden rennen los, «Lovers on the run», zurück in den lichtlosen Untergrund.

Der Musiker, der all dies in sechs sensationellen Minuten orchestriert, heisst Dan Bejar. Es ist der Auftakt zu seinem neuen Album «Poison Season», dem zehnten unter seinem untypisch martialischen Bandnamen, der eigentlich mehr nach Death Metal klingt: Destroyer. Auch wenn das Scheinwerferlicht der Indiebranche auf der Suche nach immer neuen Sensationen immer heller leuchtete, blieben die Platten von Destroyer seit seinem Debüt von 1996 doch weitgehend im Schatten. Zwischenzeitlich wurde Bejar Mitglied der kanadischen Band The New Pornographers, auch gründete er mit seinen damals ungleich bekannteren Kollegen Carey Mercer von Frog Eyes und Spencer Krug von Wolf Parade die als «Supergruppe» apostrophierten Swan Lake. So schien die Karriere von Destroyer weitgehend unbeachtet ihren Lauf zu nehmen, bis Bejar vor vier Jahren das Album «Kaputt» veröffentlichte.

O klebriges Saxofon!

Auf diesem Album entwarf er einen glitzernden, keimfreien Pop, der sich dank seiner verrätselt-maliziösen Erzählungen anhört, als steuere ein luxuriöses Kreuzfahrtschiff ganz ruhig, doch unaufhaltsam und bewusst auf einen Felsen zu. Ein Album wie eine angekündigte Katastrophe. Ein Album aber auch, mit dem Bejar einen unwahrscheinlichen Erfolg feiern konnte. Mit dem Eighties-Synth-Einschlag samt einem klebrigen und doch ungemein verführenden Saxofon hatte er offenbar den viel beschworenen Zeitgeist getroffen. Und das ist nun mal das Grösste, was einem Popmusiker gelingen kann.

Mit «Kaputt» wurde Destroyer gross, und zwar im Wortsinn: Die Band zählte auf der Tour bis zu acht Mitglieder, und «Poison Season» steht nun im erwartungsvollen, hellen Licht, das Bejar seit jeher scheut und aus dem er eigentlich schnell wieder verschwinden möchte. In Interviews betonte der 42-Jährige immer wieder, dass er keine Popmusik schreibe, zumindest nicht absichtlich. Lieber zelebriert er das Dasein als uncooler Musiker, der Van Morrison, die fromme Phase von Bob Dylan und Joni Mitchell als prägende Einflüsse nennt. Kurz, er macht alles, damit all die vorab jungen Menschen, die den Synthpop von «Kaputt» mochten, rasch wieder von ihm ablassen. Auf den blanken Pop folgt jetzt also opulenter Rock.

Flüchten, das will auch die Erzählinstanz auf «Poison Season», deren Stimme in den Songs immerzu deutlich im Vordergrund zu vernehmen ist: Aus New York ist sie weg, London hat sie auch verlassen, in Bangkok kam sie auch vorbei. Aus der Hölle berichtet sie, und auch zum Himmel, zumindest zu den Kräften, die dort oben wirken, hat sie Kontakt. Die Musik kleidet die mystisch eingefärbten, meist deprimierenden Erzählungen in ausladende Broadway-Musical-Arrangements, die immer dann üppig erklingen, wenn Bejars eigentümliche, abstossende wie verführerische Stimme schweigt: Streicher, Congas und Bläser ertönen in diesem überzeichneten, nie aber ironisch inszenierten Klangbild. Man schwelgt, wird aber immer wieder zurückgeworfen durch die Worte der Bitternis, die dieses dunkel gestimmte Gemüt formuliert.

Die Liebe gibts am Times Square

Doch auch wenn hier jemand unablässig die Flucht antreten will: Dem Times Square entkommt er doch nie. Gleich zweimal greift Bejar die Anfangsszene mit Jesus auf, der neben sich steht: einmal in der Mitte des Albums in einer Version, die an David Bowies Soulsong «Young Americans» erinnert – und am Schluss, wiederum vertont mit Streichern, die nun heller klingen. So hell, als habe einer wirklich für sich beschlossen: Die Liebe, sie muss hier am Times Square zu finden sein. Nur finden müsste man sie noch.

Konzerte von Destroyer in: Luzern, Südpol, 9. November 2015; Lausanne, Le Romandie, 10. November 2015; St. Gallen, Palace, 11. November 2015.

Destroyer: Poison Season. Dead Oceans/Irascible