AHV: Fakten gegen die Angstpropaganda

Nr. 34 –

Seit dieser Woche wird beim Thema Altersvorsorge nicht mehr bloss von Abbau geredet, in der parlamentarischen Beratung von Bundesrat Alain Bersets grossem Reformpaket wird es endlich auch um überfällige AHV-Rentenerhöhungen gehen. Die letzte liegt über zwanzig Jahre zurück, die Rentenentwicklung hinkt der Lohnentwicklung um rund zwanzig Prozent hinterher.

Einstimmig forderte die ständerätliche Sozialkommission diese Woche unter anderem eine generelle Erhöhung der AHV-Renten um siebzig Franken und einen um 0,3 Prozent höheren AHV-Abzug auf Löhne. Ausserdem will sie den Teuerungsausgleich und die Witwenrenten beibehalten. Mit ihrer Ansage dreht die Kommission die Debatte und bricht die Propaganda der Angst, mit der die Wirtschaftsverbände und die beiden grossen Parteien rechts der Mitte seit Jahrzehnten die AHV schlechtreden.

Auch jetzt heulen die Wirtschaftsverbände und die Rechten auf. Es ist das Geschrei von Leuten, die keine stichhaltigen Argumente ins Feld führen können. Selbst wenn am Ende der parlamentarischen Aushandlung ein Referendum der Wirtschaftsverbände zustande kommen sollte: In einer Abstimmung gegen ein vernünftiges Reformpaket würden sie höchstwahrscheinlich einmal mehr eine krachende Niederlage einstecken. Und die Partei, die sich für die einzig wahre Volkspartei hält? Von diesem heissen Eisen wird die SVP die Finger lassen.

Die Geschichte der AHV spricht gegen den verantwortungslosen Defätismus der Rechten. Der ist so alt wie die AHV selbst. Als 1948 die ersten Renten ausbezahlt wurden, warnten Statistiker des Bundes vor einer «Vergreisung des Volkes». Auch der Bundesrat lag mit seinen Prognosen vollkommen daneben. 1995, 2000 und 2005 sagte er riesige Finanzierungslücken voraus. Statt der Milliardendefizite waren die Einnahmen der AHV bis 2013 immer höher als die Ausgaben für die Renten. Dass die Lebenserwartung und der Wohlstand der Menschen seit Jahrzehnten steigen, ist erst mal eine gute, keine schlechte Nachricht – zumal die Grundbedürfnisse im Alter durch die AHV weiter gesichert sind. Das gelingt dank technologischen Fortschritts, steigender Produktivität, wachsender Löhne sowie der Zuwanderung.

Als die AHV eingeführt wurde, kamen statistisch 6,5 Personen im erwerbsfähigen Alter auf eine Rentnerin oder einen Rentner. Heute sind es 3,1. In der Zeit dazwischen sind die Renten gestiegen und die AHV blieb kerngesund. Anzeichen für ein Ende dieser Entwicklung gibt es nicht: Selbst wenn nun die Babyboomergeneration ins Rentenalter kommt, werden dieselben Treiber die Renten finanzieren – auch wenn eine moderate Zusatzfinanzierung der AHV nötig sein wird.

Eher ungemütlich hingegen sind für die Versicherten die Perspektiven der privatwirtschaftlich organisierten Pensionskassen. Sie verwalteten 2013 nahezu 900 Milliarden Franken. Die Verwaltung der zwangsgesparten Gelder ist ein Bombengeschäft für die Finanzindustrie. Die Vermögensverwaltungskosten, der Administrativaufwand und die Gewinne für die gesamte zweite Säule beliefen sich auf 6,4 Milliarden. Die Verwaltung der AHV kostet gerade mal 600 Millionen Franken. Die private Vorsorge ist in jeder Hinsicht ineffizienter. Die Finanzbranche lobbyiert seit der Gründung der AHV gegen deren Ausbau. Denn so steigt der Druck, möglichst viel in die berufliche Vorsorge und die private Vorsorge zu investieren. Je tiefer die AHV-Renten, desto besser die Geschäftsmöglichkeiten der Banken.

Auch die Gutverdienenden haben kein Interesse am Ausbau der AHV. Denn ihre hohen Löhne und Boni sind AHV-pflichtig. Und die Maximalrenten (etwa 2300 Franken für Einzelpersonen und 3600 Franken für Ehepaare) sind gedeckelt. Die AHV ist dank dieses Umlageverfahrens solidarisch finanziert und gleicht die Lohnschere etwas aus.

Daher muss die AHV gestärkt und nicht geschwächt werden. Wer die Parteien rechts der Mitte wählt, also in erster Linie FDP und SVP, wählt die Totengräber der wichtigsten Sozialversicherung der Schweiz. Gut, dass jetzt die Altersvorsorge zum Wahlkampfthema wird.