Kommentar zum Atomdeal mit dem Iran: Wann folgt ein Deal mit Israel?

Nr. 15 –

Der internationale Atomdeal mit dem Iran liegt im sicherheitspolitischen Interesse von Israel. Das passt Ministerpräsident Benjamin Netanjahu aber gar nicht in den Plan.

Die ständigen Mitglieder des Uno-Sicherheitsrats plus Deutschland haben sich mit dem Iran auf ein Rahmenabkommen von historischer Bedeutung geeinigt. Nun muss der Deal, der Irans atomare Bewaffnung mindestens ein Jahrzehnt lang verhindern wird, in den Vertragsstaaten noch durch die Mühlen der Innenpolitik. Im Iran mag zwar ein Machtkampf toben (vgl. «Die Ernüchterung nach der Euphorie» ) – doch der unsicherste Vertragspartner sind die USA.

Denn in der US-Politik hat die erzkonservative «Pro Israel»-Lobby zusammen mit dem demagogischen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Letzterer hat im März mit seiner antiiranischen Wahlkampfrede vor dem US-Kongress bewiesen, wie weit sein Einfluss auf die republikanischen Abgeordneten reicht.

Es ist verständlich, dass weite Teile der israelischen Politik und Öffentlichkeit dem Atomdeal und dem iranischen Regime mit Argwohn begegnen. Immerhin sind sie von der aggressiven Aussenpolitik der Theokratie viel stärker betroffen als die Europäerinnen oder die Amerikaner. Die eine von zwei viel beachteten Nachrichten, die vom offiziellen Twitterkonto Netanjahus während der Lausanner Verhandlungen versendet wurden, sprach wohl vielen Israelis aus dem Herzen: «Ein Deal, der auf diesem Rahmenabkommen basiert, würde das Überleben Israels gefährden.»

Doch die persische Gefahr wird in Israel von PolitikerInnen und grossen Medienhäusern karikaturartig überhöht. Seit der islamischen Revolution von 1979 gehört es im Iran zur Staatsraison, den «grossen Satan» USA und den Zionismus zu geisseln. Doch selbst fürs heimische Publikum verstieg sich der hetzerische Expräsident Mahmud Ahmadinedschad lediglich einmal zur Forderung, «das Regime, das Jerusalem besetzt», solle «Geschichte werden». Erst die kreative Übersetzung einer Nachrichtenagentur liess Ahmadinedschad sagen, «Iran» wolle «Israel zerstören». Ein griffiger Slogan, der seither im Westen immer wieder verbreitet wird.

Im zweiten viel beachteten Tweet zum Atomdeal variierte Netanjahu (oder sein Kommunikationsteam) den Slogan noch einmal auf originelle Weise: «Erst vor zwei Tagen sagte Iran: ‹Die Zerstörung von Israel ist nicht verhandelbar.›» Der absurde Witz wurde von vielen Medien ohne Kommentar zitiert.

Das Teheraner Regime unterstützt zwar Gegner Israels nach Kräften. Aber es ist undenkbar, dass es Israel jemals direkt militärisch angreifen wird, ob mit oder ohne Atombombe. Denn Israel ist über die Massen hochgerüstet und die einzige (wenn auch inoffizielle) Atommacht der Region. Im Falle eines Angriffs könnte Tel Aviv unverzüglich und mit breiter internationaler Unterstützung zurückschlagen.

Anders als Israel haben Irans bedeutendste arabische Gegenspieler, Ägypten und Saudi-Arabien, das Atomabkommen begrüsst. Die beiden ebenfalls von der westlichen Waffenindustrie hochgerüsteten und von der internationalen Diplomatie umgarnten Regimes sehen das Abkommen als Chance für eine geopolitische Stabilisierung und für eine Entschleunigung des teuren Wettrüstens.

Die Interessen Saudi-Arabiens, Ägyptens und Israels würden sich in dieser Hinsicht fast vollständig decken. In israelischen Militärkreisen wurde der Deal denn auch wohlwollend aufgenommen. Doch Israels Politik funktioniert seit Jahrzehnten ganz anders. Israel ist da nicht mit seinen Verbündeten auf einer Ebene, sondern ausgerechnet mit dem Erzfeind Iran.

Während die theokratische Führung in Teheran die Verteuflung des «amerikanisch-zionistischen» Gegners aus innenpolitischen Gründen zelebriert, bewirtschaftet die national-religiöse Führung in Tel Aviv die Themengebiete «arabischer Terror» und «iranisch-antisemitische Gefahr» sowohl aus innen- wie auch aussenpolitischen Gründen.

Tel Aviv ist bisher ganz gut damit gefahren. Die verschiedenen Regierungen haben die gewaltsame Besiedlung besetzter palästinensischer Gebiete nun schon bald ein halbes Jahrhundert lang ungestört vorangetrieben. Gemäss humanitärem Völkerrecht ist das ein Kriegsverbrechen. Viel länger als im Fall des Iran hätte die «internationale Gemeinschaft» Zeit gehabt, einen Plan auszuarbeiten, um Israel auf den Pfad der Tugend zurückzuführen. Doch das Land konnte bisher seinen Status als bedrohter Sonderfall meisterlich nutzen. Auch die seit zwanzig Jahren vergilbenden Oslo-Verträge haben nicht wie vorgesehen einen palästinensischen Staat geschaffen, sondern den Status quo zementiert, von dem nur Israel profitiert.

Der Irandeal bedroht diesen Status quo. Der Fall Iran hat gezeigt, dass mittels diplomatischer und wirtschaftlicher Isolation selbst kompromisslose Regimes zu Kompromissen bewegt werden können. So könnte Israel nun bald im Palästinakonflikt unter Druck kommen. Schon drängt die französische Diplomatie den US-Präsidenten Barack Obama dazu, dem Irandeal einen zweiten Coup folgen zu lassen: die Zweistaatenlösung über den Uno-Sicherheitsrat durchzusetzen. Dort konnte Israel bisher immer auf das Veto der USA zählen. Dass diese Zeiten nun möglicherweise vorbei sind, ist auch eine Folge der Demagogie von Ministerpräsident Netanjahu.