Ebola in Westafrika: «Globale Koalition der Untätigkeit»

Nr. 15 –

Liberia hat den erbitterten Kampf gegen Ebola beinahe gewonnen, doch Guinea und Sierra Leone melden weiterhin hohe Infektionszahlen. Und nebenbei verbreiten sich andere tödliche Keime.

Über 10 000 Tote hat die Ebolaepidemie bislang gefordert. Und noch immer stecken sich in Westafrika täglich Dutzende von Menschen neu an. Einzig Liberia, das mit 4300 Ebolatoten am stärksten betroffene Land, hat das aggressive Virus mit rigorosen Massnahmen unter Kontrolle gebracht: Seit Mitte Februar gab es nur noch zwei bestätigte Fälle. Wenn nach der letzten Patientin während 42 Tagen niemand mehr an Ebola erkrankt, gilt Liberia laut der Weltgesundheitsorganisation als frei vom Virus. In den Nachbarländern gestaltet sich der Kampf gegen die Epidemie schwieriger.

Kollektives Scheitern

Die Behörden in Sierra Leone meldeten Mitte März zwar mit 55 neuen Infektionen in einer Woche die niedrigste Infektionszahl seit letztem Juni. Aber im Westen des Landes bestehen weiterhin Ansteckungsherde. Von vielen neuen PatientInnen weiss niemand, wo sie sich angesteckt haben. In Guinea bilden 95 Neuinfektionen in einer Woche den höchsten Wert seit Jahresbeginn.

In beiden Ländern gebe es in der Bevölkerung noch immer Widerstand gegen die Vorsorge- und Bekämpfungsmassnahmen, schreibt die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) in ihrem neusten Bericht. Noch immer stossen Mitarbeitende von Gesundheitseinrichtungen und Hilfsorganisationen auf Ablehnung, noch immer können PatientInnen nicht unter Quarantäne gestellt werden, noch immer werden die hochinfektiösen Verstorbenen nicht sachgerecht begraben. Die Epidemie habe ein kollektives Scheitern aufgezeigt, für das Tausende von Menschen mit dem Leben bezahlt hätten, heisst es im Bericht. «Die Mängel reichen von den schwachen Gesundheitssystemen bis zur schleppenden internationalen Hilfe.» MSF bezeichnet die «globale Koalition der Untätigkeit» lokaler und internationaler Akteure als massgeblich verantwortlich für die unkontrollierte Verbreitung des Virus. «Dieses Versagen wäre vermeidbar gewesen», sagt Christopher Stokes, Geschäftsführer von MSF in Belgien, von wo aus die Ebolaprojekte der Organisation koordiniert werden. Für die Zukunft entscheidend sei die Ausarbeitung einer globalen Strategie zur Entwicklung von Impfstoffen, Medikamenten und Diagnostika gegen Ebola.

Mit neu entwickelten Schutzimpfungen steht SeuchenexpertInnen nun ein zusätzliches Instrument zur Eindämmung der verbleibenden Ebolaherde zur Verfügung. Indem besonders gefährdete Personen geimpft werden, soll ein Schutzring errichtet werden, der die weitere Ausbreitung des Virus verhindert. Vor wenigen Tagen haben die Weltgesundheitsorganisation und die Regierung in Guinea ein erstes Projekt lanciert: In den nächsten zwei Monaten sollen rund 10 000 Personen geimpft werden, die im engen Kontakt zu frisch Infizierten stehen. Der Impfstoff ist im Rahmen einer internationalen Studie mit Beteiligung des Genfer Universitätsspitals an 158 gesunden Personen getestet worden.

Die bisher getroffenen Massnahmen haben aber nicht nur dem aggressiven Virus entgegengewirkt, sie haben auch anderen Keimen mehr Raum gelassen. Denn mit der Epidemie sind die sowieso schon schwachen Gesundheitszentren zusammengebrochen: Sie wurden geschlossen, weil Mitarbeitende an Ebola erkrankt und gestorben waren; GeburtshelferInnen erschienen aus Angst vor einer Ansteckung nicht zur Arbeit, Medikamente für chronisch Kranke wurden nicht verteilt – etwa an DiabetikerInnen, HIV-, Tuberkulose- oder Leprakranke.

Die häufigste Infektionskrankheit, die in Afrika südlich der Sahara zum Tod führt, ist Malaria. Die Verteilung von Malariapillen wurde während der Ebolaepidemie in den betroffenen Ländern beinahe eingestellt. Der Tropenmediziner Florian Steiner testete in Monrovia bereits im März, rund einen Monat vor dem Einsetzen der Regenzeit, jeden fünften Verdachtsfall positiv auf Malaria: MSF hat deshalb in Sierra Leone an 1,5 Millionen Menschen Malariaprophylaxemittel verteilt. «Doch vielerorts erhalten Infizierte keine Hilfe», so Steiner in der Fachzeitschrift «Spektrum der Wissenschaft»: «Menschen sterben nicht nur an Ebola, sondern auch wegen Ebola.» Und Impfkampagnen wurden ganz ausgesetzt. Hochrechnungen von ForscherInnen ergeben, dass im kommenden Herbst über eine Million Kinder in den drei Ländern nicht gegen Masern geimpft sind. Gäbe es einen Masernausbruch, würden sich 227 000 statt 127 000 Kinder anstecken und fast 12 000 statt 6600 sterben. Das wären mehr Todesopfer, als Ebola bislang gefordert hat.

Ignoranz des Weltnordens

Ob Masern oder Malaria, Durchfall oder Lungenentzündung: In den Ebolazentren werden diese Krankheiten nicht behandelt. Viele Krankheitsstationen in dieser kriegsversehrten Region sind in einem noch desolateren Zustand als vor dem Ausbruch der Epidemie. Wie schlimm weitere medizinische Katastrophen sein werden, ist nicht abzusehen: Die schlimmsten Befürchtungen der ForscherInnen betreffend Masern sind zumindest bis dato nicht eingetroffen.

Einen lauten Aufschrei in der Welt würden sie wohl auch kaum erzeugen. Denn der Weltnorden ist ja gegen Masern geimpft, sprich: Er ist nicht betroffen.