Assia Djebar (1936–2015): Die «dazwischen» Stehende

Nr. 7 –

In Romanen, später auch in preisgekrönten Dokumentarfilmen fing die algerische Autorin Assia Djebar die Lebenswirklichkeit der Frauen auf dem Land ein. Nun ist sie 78-jährig gestorben.

Wer den Existenzialismus in seiner Jugend als intellektuelle Muttermilch aufgesogen hat, dem schien Algerien nah und fremd zugleich. Mit Albert Camus’ poetischem Rigorismus schien alles gesagt und gewusst von jenem Küstenstreifen auf der anderen Seite des Mittelmeers.

Dass es dort auch ein Hinterland gibt und eine Erfahrung, die mit männlichem Essenzialismus überhaupt nicht einzufangen ist, erfuhren feministisch Gestimmte erst in den neunziger Jahren, als sich der Zürcher Unionsverlag einer Autorin mit dem exotisch klingenden Namen Assia Djebar annahm. Mit «Fern von Medina» (deutsch 1994), «Die Frauen von Algier» (deutsch 1999) und anderen Romanen erschloss sie uns einen neuen Kosmos, in dem der erotische Leib und weibliche Geheimbünde, fernab von der sozialistisch gestimmten Unabhängigkeitsbewegung Algeriens, eine Rolle spielten.

Erste algerische Studentin

Dass diese 1936 geborene Autorin schon in einer Zeit geschrieben hat, als Simone de Beauvoir das literarische und politische Parkett eroberte, wurde erst deutlich, als ihre Romane nach und nach im deutschen Leseraum erschienen. Ihr Erstling, «La Soif» («Durst»), eine mitten in die algerischen Unruhen gesetzte leidenschaftliche Adoleszenz-Geschichte, war 1957 erschienen (auf Deutsch erst 2002), bis da von der noch nicht einmal volljährigen Autorin vor den Eltern verborgen. Dabei hatte sie es gerade ihrem Vater, einem aufgeklärten Volksschullehrer, zu verdanken, dass sie neben der islamischen auch eine französische Schule besuchen durfte und kein Kopftuch tragen musste. Als erste algerische Studentin besuchte sie ab 1955 die École normale supérieure, später studierte sie Geschichte und folgte ihrem ersten Mann, einem Algerienkämpfer, ins Exil nach Tunesien.

Die Frauen und der Islam

Mehr als dem politischen Freiheitskampf galt ihre Leidenschaft aber den Frauen in ihrer Heimat und dem Preis, den sie in den vielen Kriegen bezahlten. Zwar war sie keine akademische Orientalistin, wie sie stets betonte, doch Assia Djebar befasste sich seit den achtziger Jahren, als sich die frauenfeindliche Politik in Algerien zuspitzte, zunehmend mit den Schriften des Islam. In Romanen, später auch in preisgekrönten Dokumentarfilmen fing sie die Lebenswirklichkeit der Frauen auf dem Land ein, zunächst noch darauf achtend, nicht in der ersten Person zu sprechen, denn zu den unumstösslichen Regeln in den Gesellschaften des Maghreb gehört: Sprich nie über dich selbst. Genährt wurde ihr Schreiben von der Perspektivenvielfalt einer durch Kolonialzeit, Krieg und Bürgerkrieg fragmentierten Gesellschaft. In «L’Amour, la Fantasia» (auf Deutsch: «Fantasia», 1993) werden die Stimmen, murmelnd, flüsternd oder klagend, zu einer grossen Partitur zusammengeführt, ein «ungeschminkter Bericht über das 19. Jahrhundert», wie Djebar sagt.

Dass sich die Autorin dabei ausgerechnet der Sprache der einstigen Kolonialherren bediente, hat immer wieder zu Fragen Anlass gegeben und den Interpretationsfuror der neueren Postcolonial Studies forciert. Die französische Sprache, «ihr Haus», erlaube ihr die notwendige Distanz zu ihrer Herkunftskultur, während das Arabische für sie «die Sprache der Liebe, des Leidens oder des Gebets» darstelle, führte Assia Djebar im Jahr 2000 anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels aus. Nach ihrer Verbannung aus Algerien in Frankreich und später zeitweise in den USA lebend, stand sie «dazwischen» und legte wie eine Historikerin ihre Herkunftskultur frei. Dabei liess sie sich auch von den Versatzstücken westlicher Kultur anregen: «Die Frauen von Algier» zum Beispiel wurde von einem Gemälde von Eugène Delacroix inspiriert und damit von jenem orientalischen Exotismus des 19. Jahrhunderts, der bis heute nachklingt.

Assia Djebar hat sich selbst nie als explizit politische Autorin gesehen; sie sei «kein Sprachrohr» weiblicher Emanzipation. Doch als politische Figur hat Djebar, die auch viel reisende Rednerin und Gastdozentin war, schon deshalb gewirkt, weil sie eine der wenigen AutorInnen war, deren Werk im vor- und nachkolonialen Algerien verortet ist. Mehrmals wurde sie für den Literaturnobelpreis gehandelt und wäre damit die erste indigene Preisträgerin aus Afrika gewesen. Nun ist sie am 6. Februar in ihrer Wahlheimat Paris gestorben.