Fussball und andere Randsportarten: «Time to Say Goodbye»

Nr. 2 –

Etrit Hasler über alte Männer mit Ablösungsschwierigkeiten

Wahrscheinlich haben Sie, nachdem Sie den Titel gelesen haben, gleich schon jenes schwülstige Pseudooperngesinge im Ohr, mit dem uns einst Andrea Bocelli und Sarah Brightman mehrere Sommer hintereinander quälten. Nun, so leid tut mir das auch nicht, sogar ein grässlicher Song im Ohr macht jeden Tag besser, und wenn ich mir – zum ersten Mal seit Jahrzehnten – einen Blick in die Schweizer Charts gönne, dann sind Sie wohl mit dieser Pathosbombe von 1996 allemal besser dran als mit Helene Fischer oder David Guetta.

Im kollektiven Gedächtnis aller SportzuschauerInnen und Deutschen (wobei die zweite eine integrale Untergruppe der ersten ist) bleibt der Song natürlich verhaftet mit dem Abgang des vielleicht besten deutschen Boxers, Henry Maske, der im November 1996, untermalt von ebenjenem Gedudel, im Alter von 32 Jahren seine Profikarriere beendete. Gerade noch rechtzeitig, muss man da sagen. Denn auch wenn Maske zehn Jahre später in einem Anflug von temporärem Wahnsinn noch einmal ein Comeback gab (und sogar gewann), ist es gerade für Boxer (über-)lebenswichtig, rechtzeitig aufhören zu können.

«Wenn ich allein bin / träume ich mich zum Horizont / und mir fehlen die Worte», heisst es in jenem Song emotionsschwanger – doch so daneben ist das Gefühl wahrscheinlich nicht, wenn man sich vorstellt, was einem Profisportler zum Ende seiner Karriere durch den Kopf geht. Beim Blick auf eine ungewisse Zukunft fehlen die Worte, weil man sich jahrzehntelang mit Tunnelblick auf etwas konzentriert hat, das plötzlich nicht mehr da ist. Kein Wunder also, haben alternde Sportler solche Mühe damit, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere oder zumindest rechtzeitig abzutreten.

Wer sich über Neujahr (wie in der vorletzten WOZ empfohlen) die Dartweltmeisterschaften zu Gemüte führte, kam in den Genuss, einen wahren Titanen der Sportwelt noch einmal in Aktion zu sehen: den vielleicht besten Dartwerfer aller Zeiten, Phil «The Power» Taylor. Der pummelige Mann mit schütterem Haar aus dem Provinzkaff Stoke-on-Trent nahe der Grenze zu Wales hat in den letzten zwanzig Jahren jeden Titel gewonnen, den es mit den silbernen Pfeilen zu gewinnen gibt: Sechzehn Weltmeistertitel hat er insgesamt gewonnen, er hat kaum einen Rekord für jemand anderes übrig gelassen (zum Beispiel hat er zehnmal in Fernsehübertragungen einen Neundarter, also das perfekte Spiel, abgeliefert) und ist damit Multimillionär geworden, wie er gerne betont. Für jemanden, der keramische Toilettenrollenhalter herstellte, bis er 26 war, ein ziemlicher Aufstieg.

Inzwischen ist Taylor 54, und auch wenn er immer noch zu den Besten der Welt gehört – an den Weltmeisterschaften scheiterte er erst im Final am «Flying Scotsman» Gary Anderson –, zeigt sich deutlich, dass sich seine Karriere dem Ende zuneigt. Seine Präzision schwindet, zeitweise verliert er die Nerven und legt sich mit Mitspielern an. Die Legende schwindet mit jedem Match ein bisschen mehr – womit er denselben Weg geht wie so manche vor ihm: Wayne Gretzky bei den New York Rangers zuzuschauen, war kein Vergnügen mehr. Pelés Ausflug nach New York war ähnlich peinlich wie seine Viagra-Werbung. Michael Jordans kurze Karriere als Baseballspieler und sein überflüssiges Comeback waren nichts mehr für die Geschichtsbücher. Und dass Muhammad Ali seine Karriere besser ein bisschen früher beendet hätte, sieht man ihm heute schmerzhaft deutlich an.

Natürlich: Im Unterschied zu Boxen oder Fussball ist Dart ein Sport, bei dem man auch mit 80 noch in den Ring steigen kann. Und Taylor selbst meint, auf sein Alter angesprochen, nur, er wolle sehen, ob Cristiano Ronaldo mit 54 noch so gut aussehen werde wie er. Wahrscheinlich hat Taylor anders als Henry Maske einfach den Song zum Aufhören noch nicht gefunden. Helene Fischer, wo bist du, wenn man dich braucht?

Etrit Hasler findet nicht grundsätzlich, dass alternde Sportler abtreten sollen. Aber er wird etwas müde, Sätze zu sagen wie: «Den habe ich noch gesehen, als er richtig gut war …»

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