«The Sopranos»: Gangster wie du und ich

Nr. 26 –

Der mörderische Mafioso als normaler Bürger: Die kultige Fernsehserie «The Sopranos» mit dem letzte Woche verstorbenen James Gandolfini in der Hauptrolle ist nicht nur für dieses Missverständnis verantwortlich.

Kaum je ist ein Schauspieler so mit einer Rolle identifiziert worden wie James Gandolfini mit derjenigen als Mafiaboss Tony Soprano in der US-Fernsehserie «The Sopranos». Sein frühzeitiger Tod im Alter von 51 Jahren kann auch Anlass zur Reflexion über eine Epoche der Fernsehproduktion sein.

Spätestens mit der zweiten Staffel aus dem Jahr 2000 und nachdem das Gerücht aus den USA herübergeweht war, wurde «The Sopranos» auch in Europa Kult. Ein Kult ist etwas, von dem diejenigen, die solche Dinge festlegen können, glauben, sie müssten ihr heimliches Vergnügen öffentlich machen und veredeln. Mit einer Prise Ironie selbstverständlich, wie sie versichern. Doch ein Kult ist meist ein Missverständnis mit einem Schuss Heuchelei.

Natürlich: Die Qualität der Serie ist unbestritten. Vielfältiges Ensemblespiel. Scharfe Dialoge. Gediegene Ausstattung. Dämmerlicht der Moral. Mit all dem machte sie Fernsehen fürs linksliberale Milieu wieder salonfähig.

Alltägliches Morden

Zwei Dinge wurden und werden «The Sopranos» (1999–2007) zugeschrieben: Sie haben den mörderischen Mafioso in den Alltag überführt. Und sie haben Fernsehserien als Kunstform lanciert.

Nun sind Mafiafilme ja nichts Neues. Hollywood hatte schon immer eine Vorliebe dafür, die systemische Korruption im spektakulären Individuum zu präsentieren. Das reichte von «Little Caesar» (1931) mit Edward G. Robinson bis zu «The St. Valentine’s Day Massacre» (1967) mit Jason Robards. Dann kamen Francis Ford Coppolas «The Godfather» (1972, 1974, 1990) als grandiose Apotheose eines Familienclans in all seinen Verästelungen und komplexen Verhaltenskodexen und Martin Scorseses «Good Fellas» (1990) als atemloser Nachvollzug eines nach Gewalt und Drogen süchtigen Lebens. Beide Filme sind von David Fowler, dem Drehbuchschreiber der «Sopranos», immer als prägender Einfluss gewürdigt worden.

Dabei wollten die vielfältigen Episoden um den Mafiaboss Tony Soprano diesen nicht glorifizieren, im Gegenteil. Soprano und seine Kumpane sollten alltäglich gemacht werden. Dazu dienen zwei Provokationen. Erstens eine moralische: die Beiläufigkeit des Mordens. Zweitens eine soziopsychologische: die Tatsache, dass Tony wegen Depressionen eine Psychoanalytikerin aufsucht. Bei beiden Provokationen geht es um Grenzübertretungen, werden Sphären vermischt. Gewalt und Mord existieren neben und mit einem Leben, das sich um Familie, Essen, Kinder und Sex dreht. Sich auf die Couch einer Psychoanalytikerin – immerhin einer mit italienischem Namen! – zu legen, was bislang StadtneurotikerInnen vorbehalten war, unterläuft das Männlichkeitsbild der Tough Guys.

Die Überschreitungen zersetzen ein moralisches Denken, das in Gut und Böse scheidet, um auszugrenzen und sich von den eigenen Abgründen abzuschotten. Und sie stellen ein Mittel für bösen Witz und ironische Selbstreflexionen dar. Beruf und Rest des Lebens greifen, wie bei uns allen, ineinander über. Als Scharnierstelle dient der Alltag. Dabei ist das Alltägliche auch normal. So kann der alltägliche Mord als Teil der Normalität erscheinen. «The Sopranos» behauptet, dass Mafiosi auch nur Menschen sind. Und umgekehrt: In allen von uns steckt ein Mafioso. Diese Banalität des Bösen wird in «The Sopranos» mehr gezeigt und behauptet als hergeleitet. Wenn in der mafiösen Realität das Verhalten doch eine Herkunft und Begründungen hat, bleibt es in «The Sopranos» bei allem verflossenen Blut seltsam blutleer. Normalität!, rufen die Bilder, und das Normale ist der Fetisch, vor dem wir Zuschauende uns ehrfürchtig verneigen sollen.

Nur Tony Soprano darf das latente Unbehagen, das denn doch über diese vorschnelle Versöhnung auftauchen mag, mit seiner Psychoanalyse bearbeiten. Letztlich vergeblich. Da bedient die Serie das übliche antiintellektuelle Vorurteil: Gescheit reden nützt nichts. Und die Frauen dürfen sich auch nicht allzu weit aus ihren traditionellen Rollen hinauswagen.

Eine schöne Tradition

«The Sopranos» begründete eine Tradition, mit der die USA ein Jahrzehnt lang Massstäbe für Fernsehproduktionen setzten. Aber auch diese neuen Serien unterliegen Gesetzen: Cliffhanger und Strukturierung entlang von Werbeblöcken. Bei «The Sopranos» verfing sich die barocke Verschnörkelung von Figuren und Handlungsstrukturen in der eigenen Bewunderung. Die letzte Staffel lief in Müdigkeit aus und versuchte, eine Tugend daraus zu machen: Seht her, die Figuren kommen an ihr Ende, und mit ihnen auch diese Form des Mafiaclans. Das ist schon beinahe nostalgisch. Aber Nostalgie kann auch verharmlosen. Die moralische Ambivalenz schlägt in den Zynismus um.

Seit ein paar Jahren haben andere Länder zurückgeschlagen: Dänische, britische, französische, schwedische TV-Produktionen sind den US-amerikanischen ebenbürtig geworden. Sie spielen, weil kleinräumiger, näher am Alltag, sind also realistischer. «The Sopranos» wird dadurch noch klarer erkennbar als grandioser Eskapismus.