Fussball und andere Randsportarten: Vom Turnen eingeholt

Nr. 26 –

Extrazüge, Solothurner Orks und logistische Herausforderungen.

Ob Sie das glauben oder nicht, ich war tatsächlich auch einmal in einem Turnverein. Das ist wohl ein ähnlich dunkles Geheimnis wie die Tatsache, dass ich in der Mittelschule auch einmal farbentragendes Mitglied einer Studentenverbindung war. Was soll ich dazu sagen, ausser: Ich war jung? Ich suchte Kollegen? Wenigstens war der Spass nur von kurzer Dauer – ein Jahr später entdeckte ich Computerspiele, zwei Jahre später Mädchen, drei Jahre später Politik, da blieb einfach kein Platz mehr für Körperertüchtigung in meinem Leben.

Meine Jugendsünden holten mich an diesem Wochenende wieder ein. Wie der Rest der urbanen Schweiz hatte ich zwar von einem eidgenössischen Turnfest gehört – und die Meldung, dass Ueli Maurers Auftritt wortwörtlich ins Wasser gefallen war, noch mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis genommen: Anscheinend teilen Petrus und ich die Abneigung gegen nationalistische Polterer wie Turnvater Jahn und seine NachfolgerInnen. Nicht ganz so lustig war die Nachricht vom Sturm am Donnerstagabend: Ich habe nicht vor, in den Kanon der Spekulationen einzustimmen, wie durchdacht das Evakuationskonzept gewesen sei – 15 000 Menschen irgendwo speditiv wegzubringen, ist immer ein Albtraum.

Abgesehen von einer vagen medialen Ahnung, dass es so ein Turnerfest gab, interessierte mich das überhaupt nicht. Ich hatte ein Erholungswochenende in der schönsten Kleinstadt der Schweiz vor mir, dem Burgstädtchen Solothurn, das an guten Tagen aussieht wie King’s Landing aus der Fantasy-Serie «Game of Thrones». Und an schlechten Tagen wie Mordor, nur mit freundlicheren Orks. Aber vor allem ist Solothurn erfrischend sportfrei und somit für einen Kurzurlaub wunderbar geeignet. Und ja, für diesen Satz wird mich die Solothurner Rugbymannschaft eines Tages skalpieren, aber da müsst ihr ein paar Jahre warten, Jungs. Ich schweife ab.

Jedenfalls holte mich die Erinnerung an meine Kindheit im Turnverein in dem Moment wieder ein, als ich versuchte, in St. Gallen in einen Zug Richtung Solothurn einzusteigen – denn die Fenster des Zugs waren von vorne bis hinten zugepflastert mit Reservationsmeldungen für Turnvereine von Hinterriedlisbach über Mittelvogelsangen bis Vorderriederen am Silberrücken. Und das zur Rushhour. In einem Zug, der schon ab St. Gallen vollgepackt war mit BerufspendlerInnen, wurden sukzessive bis Zürich noch einmal rund 300 TurnerInnen dazugepackt. Man stelle sich vor, das wären Fussballfans gewesen.

Nicht, dass ich TurnerInnen grundsätzlich mit Fussballfans gleichsetzen will. Fussballfans sind loyaler. Ein Fussballfan, der mit GC aufwächst und plötzlich den FC Basel unterstützt, ist undenkbar. TurnerInnen turnen einfach da, wo sie gerade wohnen. Und machen dann am Turnfest die ersten Erfahrungen mit Sex und Alkohol, weil Rock’n’Roll eben nie bis zu ihren Dörfern vorgedrungen ist. Da sind Fussballfans meistens früher dran.

Und noch etwas unterscheidet diese Gruppen: TurnerInnen bekommen zwar auch Extrazüge, in denen das Bier in Hektolitern fliesst und dieselbe überlaute Musik gehört wird, zu der schon ihre Eltern die kurzen Haare geschüttelt haben. Zum Beispiel «Hells Bells». Aber im Unterschied zu Fussballfans werden TurnerInnen auch in regulären Zügen toleriert.

In diesem Zusammenhang fällt mir eine interessante Geschichte ein: Als der FC St. Gallen 2008 aus der Super League abstieg, stellte die SBB die Extrazüge für Auswärtsspiele kurzerhand ein. Beim ersten Auswärtsspiel der Saison versuchte dann der Fanverantwortliche des Vereins, eine Reservation für 500 Plätze in einem regulären Zug zu machen. Auf die Antwort der SBB, so viele Plätze könne man unmöglich reservieren, reagierten die Fans mit dem Hinweis, dann stiegen sie halt ohne Reservierung ein. Die Extrazüge waren schneller eingeführt, als jemand hätte sagen können: «Bei Turnern geht das doch auch.»

Etrit Hasler mag Solothurn, Fussballfans 
und TurnerInnen. Und plädiert für Extrazüge für alle drei.