Bulgarien: Echte Demokratie statt intransparenter Deals

Nr. 26 –

Zehntausende BulgarInnen protestierten im Frühjahr gegen die damalige rechtsliberale Regierung – wochenlang. Doch kaum ist jetzt eine Regierung unter sozialdemokratischer Führung an der Macht, wird wieder demonstriert.

«Echte Demokratie» und «Nieder mit den Monopolen und der Korruption» steht auf den improvisierten Transparenten. Mitten in der bulgarischen Hauptstadt Sofia, am Ende der Flaniermeile Witoscha, versammeln sich wieder DemonstrantInnen. Junge Menschen, viele Studentinnen, aber auch verarmte Rentner, genau wie im Frühjahr. Damals, im Februar, hatten die Proteste wochenlang Druck aufgebaut. Schliesslich musste die rechtsliberale Regierung von Bojko Borissow zurücktreten.

Und jetzt, kaum einen Monat nach der vorgezogenen Parlamentswahl, wird schon der Rücktritt des neuen, linken Kabinetts gefordert. Aber es geht, genau wie damals, um mehr: «Was wir wollen, ist eine grundlegende Erneuerung der politischen Klasse», sagt der Aktivist Aleksander Duntschew, der wieder dabei ist. «Die Politiker aller Parteien müssen endlich begreifen, dass wir uns mit einer demokratischen Fassade nicht zufriedengeben.»

Immer wieder: «Rücktritt!»

Vor dem NDK, dem im Stil des sozialistischen Realismus errichteten Haus der Kultur, bildet die Polizei drei dichte Reihen. Auf dem Platz und den benachbarten grünen Flächen treffen sich tagsüber VertreterInnen der diversen Initiativen, die mittlerweile eine breite Bewegung aufgebaut haben. Ob sie ursprünglich Umweltschutzaktivisten (wie Duntschew), Gewerkschafterinnen oder Medienschaffende sind, spielt keine Rolle mehr. Viele engagieren sich schon länger politisch. Auf den Transparenten ist «Occupy NDK» zu lesen. Und immer wieder: «Rücktritt».

Im Haus der Kultur findet eine Tagung der Partei der Europäischen Sozialisten (PES) statt. Linke Staats- und Regierungschefs und führende Oppositionspolitikerinnen aus der ganzen EU treffen sich hier auf Einladung von Sergej Stanischew, dem Vorsitzenden der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP), der zurzeit auch die PES präsidiert. Während sich die europäischen PolitikerInnen mit der Kandidatur für die Präsidentschaft der EU-Kommission und protokollarischen Presseerklärungen beschäftigen, ertönen draussen «Rücktritt»-Rufe durch die neue bulgarische Protestbewegung. Rund 20 000 Menschen demonstrieren in erster Linie gegen Stanischew und den ebenfalls anwesenden neuen Ministerpräsidenten Plamen Orescharski.

Bei den vorgezogenen Wahlen vom Mai ergab sich eine perfekte Pattsituation. Die BSP kam auf den zweiten Platz, knapp hinter der rechtsliberalen Bürgerpartei für eine europäische Entwicklung Bulgariens (GERB) des zurückgetretenen Ministerpräsidenten Bojko Borissow. Dieser verzichtete auf den Versuch einer Kabinettsbildung, weil angesichts seiner ruinierten Reputation keine andere Partei mit ihm koalieren wollte. Daraufhin schmiedeten die SozialistInnen eine Allianz mit der Bewegung für Rechte und Freiheiten, einer Partei, die die Interessen der türkischen Minderheit vertritt. Die neue Regierung konnte sich im Parlament durchsetzen, doch von einer stabilen Mehrheit kann keine Rede sein.

Wirksamer Protest nach Ernennung

«Die aktuelle Situation zeigt erneut, wie dringend Bulgarien eine grundlegende Reform der Verfassung und des Wahlrechts benötigt», kommentiert der Politologe Martin Lessinski. «Die instabile Parlamentsmehrheit führt zu einer Handlungsunfähigkeit der Regierung, die die versprochenen Reformen nicht durchsetzen kann. Wir befinden uns in einem Teufelskreis.» Vor diesem Hintergrund ist vor zwei Wochen auch der fatale Entscheid gefallen, der Auslöser für die erneuten Proteste war: In einer Nacht-und-Nebel-Aktion ernannte das Parlament den umstrittenen Abgeordneten und Medienmogul Deljan Peewski zum neuen Chef des bulgarischen Sicherheitsdiensts.

Der Schritt führte sofort zum Protest Zehntausender auf den Strassen Bulgariens. Denn Peewski gehört zu den Oligarchen, die in Bulgarien, ähnlich wie in anderen Ländern der Region, ihr Medienimperium für die Verfolgung eigener wirtschaftlicher und politischer Interessen instrumentalisieren. Peewskis Zeitungen und Fernsehsender wurden in den letzten Jahren häufig wegen manipulativer Berichterstattung kritisiert. Zwei Tage nach der Ernennung Deljan Peewsiks wurde der Entscheid auf Druck der Strasse zurückgenommen.

Für die DemonstrantInnen jedoch, die sich seit zwei Wochen wieder auf Sofias Plätzen versammeln, hat sich nur der Eindruck bestätigt, dass die gesamte politische Klasse fragwürdige Verbindungen zu den Oligarchen unterhält, wenn sie nicht direkt den Interessen von grossen einheimischen oder ausländischen Unternehmen dient.

Der Protest in der bulgarischen Hauptstadt radikalisiert sich. «Wir möchten gehört werden: mehr Bürgerbeteiligung und zivilgesellschaftliche Kontrolle, keine intransparenten Deals und echte Demokratie!», fordert Aleksander Duntschew.