«Hannah Arendt»: Glanz und Elend des autonomen Denkens

Nr. 3 –

Denken und rauchen: Ein Film über Hannah Arendt erinnert an einen Weg zeitgenössischer Gesellschaftsdiagnose.

Es war ein Skandal: dass eine renommierte jüdische exilierte Deutsche den Nazimassenmörder Adolf Eichmann als «banal» und als «Hanswurst» bezeichnete; dass sie erwog, ob die Vorsteher der jüdischen Gemeinden und die von den Nazis ernannten Judenräte womöglich zur ordentlichen Durchführung der Schoah beigetragen hatten; und dass sie die Rechtmässigkeit des Prozesses, den der Staat Israel Eichmann machte, grundsätzlich infrage stellte.

Hannah Arendts Buch «Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen» aus dem Jahr 1963 ist fünfzig Jahre später bestürzend aktuell. Themen, die sie in ihrer politischen Theorie zuvor behandelt hatte, wurden hier konzis und am konkreten Fall verdichtet. Das war vollkommen selbstständig gedacht. Bahnbrechend. Furchtlos.

Margarethe von Trottas Filmporträt über Hannah Arendt (1906–1975) dreht sich um jene vier Jahre, in denen Arendt zum Eichmann-Prozess recherchiert, darüber nachdenkt und sich gegen die heftigen Reaktionen auf das Buch zur Wehr setzt. Eine solche Konzentration ist legitim. Aber sie reicht nicht aus für das Vorhaben, Hannah Arendt als ganze Person zu verdeutlichen.

Bürokratische Sachlichkeit

Also wird in Rückblenden die Studienzeit in Deutschland gestreift, werden Jugendfreunde in Gesprächen eingeführt, erzählt Arendt über ihre Flucht 1940 aus dem französischen Internierungslager. Die New Yorker linksintellektuelle Szene, in der Arendt in den sechziger Jahren verkehrte, treibt sich ein wenig herum. Die Schriftstellerin und Freundin Mary McCarthy darf gelegentlich scharfzüngig lästern. Das wirkt alles hübsch, aber oberflächlich. Auch der unermüdlich liebevolle Ehemann Heinrich Blücher wird nur als Folie für Arendt sichtbar, nicht als eigenständige Persönlichkeit.

Formal ist der Film ein Kammerspiel, in Brauntönen. Die meisten Szenen spielen in geschlossenen Räumen. Selbst die Reise nach Jerusalem führt bald in den Gerichtssaal des Eichmann-Prozesses. Wenn kein Kino der grossen Aktionen, so ist es doch eines der grossen Gesten. Vor allem wird ständig gedacht. Tiefgründigen Blicks aus dem Fenster. Mit (vielen) Zügen an der Zigarette. Auf der Schreibmaschine tippend. Barbara Sukowa, praktisch in jedem Bild präsent, spielt das ziemlich pomadig.

Ein eher behäbiger Film also, aber er erinnert an Fragen, die weit über ihn hinausgehen. Hannah Arendts Person und Werk sind in drei Phasen rezipiert worden. Ihr erstes grosses Buch, «Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft» (1951/1955), diente während des Kalten Kriegs als Argumentarium für die Gleichsetzung von Rechts und Links. Arendt selbst ging es allerdings nicht so sehr darum, den Marxismus in Geiselhaft für die Verbrechen des Stalinismus zu nehmen. Vielmehr arbeitete sie an Hitlerismus und Stalinismus die «totale Herrschaft» als neue Herrschaftstechnik heraus, die sie zur generellen Gefahr für die Moderne erklärte.

Die Eichmann-Studie (1963/1964) löste heftige Anfeindungen und Vorwürfe eines jüdischen Selbsthasses aus, bedeutete aber auch den Durchbruch zur weltweit bekannten Autorin. Man sollte das Buch nicht auf das Schlagwort von der Banalität des Bösen reduzieren. Und doch steckt darin eine Erkenntnis: wie Verbrechen und Normalität nicht säuberlich geschieden sind. Wie die Pervertierung der Moral auch deren Opfer erfasst. Etliche Jahre nach dem Buch sind Eichmann-Aufzeichnungen aufgetaucht, die zeigten, dass er, mehr als Arendt zu erkennen glaubte, nicht nur Befehlsempfänger war, sondern eine nazistische Ideologie vertrat. Aber Arendt beschrieb über die Person Eichmann hinaus einen neuen sozialen Typus, und der bleibt gültig: der Ideologe der bürokratischen Sachlichkeit.

Ambivalente Verführungen

Die Renaissance von Arendt, die sie zu einer der meistzitierten AutorInnen machte, begann in den neunziger Jahren, im Vakuum nach dem Epochenbruch von 1989. Der hatte die bisherigen grossen Erzählungen diskreditiert oder veralten lassen. Bei Arendt liess sich finden, wie man trotzdem am politischen Engagement festhalten konnte. Hartnäckig beharrt sie auf der Notwendigkeit, den politischen Raum zu besetzen. Und sie verknüpft das mit dem leuchtenden Begriff der Freiheit. Immer wieder holt sie sich als Folie und Vorbild die griechische Polis heran. Oder den freien Bürgersinn der US-amerikanischen SiedlerInnen, die bis in die Gegenwart um den Wert einer Öffentlichkeit wissen und sich von den entpolitisierten EuropäerInnen durch ihren «republikanischen Bürgerbund» abheben.

Solche Formulierungen wirken zuweilen geradezu idyllisch. Das angestrebte Ideal setzt sich über die realistische Beschreibung hinweg. Das Engagement wird abstrakt und gesäubert. Tatsächlich hat sich Arendt in den siebziger Jahren etwa zur Frauenbewegung voller Unverständnis geäussert.

Hinter ihrem Konzept von Politik und Öffentlichkeit steckt ein autonomes Menschenbild: der Einzelne, der sich seiner eigenen Fähigkeiten bewusst wird und sie bewusst anwendet. Das Gegenteil ist für Arendt die Masse, der Mob. Das hat sie im Buch über die «totale Herrschaft» begründet. Das Massenzeitalter ist, noch vor der welterschütternden Schoah, die Ursache für die modernsten Entwicklungen und Fehlverhalten. Der Zusammenbruch der auf scharf umrissenen Interessen beruhenden Klassengesellschaft habe die amorphe Masse freigesetzt. Damit werden Entwicklungen von sozialen Bezügen entleert, aufs Politische reduziert. Diese Konzentration auf das Politische hat Arendt später positiv gewendet. Aber ein kulturpessimistischer Zug blieb.

Was zur Person von Martin Heidegger führt. Heidegger ist der Angelpunkt und das grosse Rätsel in der Biografie von Arendt. Das 18-jährige Wunderkind wurde kurzzeitig die Geliebte des 34-jährigen Starphilosophen, und sie hielt ihm trotz seiner Anbiederung an die Nazis 1934 auch später die Treue. Ihr Verhalten zu Heidegger bedeutete für frühe Freunde wie Günther Anders oder Hans Jonas den Sündenfall von Arendt.

Heidegger hat das Denken als eigentlichen Vollzug, als wirkliche Praxis des Menschseins gefeiert. Aber dieses Konzept des Denkens ist ambivalent. Bemerkenswerterweise veranschaulicht von Trottas Film das in zwei analog strukturierten Sequenzen. Die erste zeigt in einer Rückblende, wie die junge Hannah gebannt den Ausführungen von Heidegger lauscht, der übers Denken doziert, das keinen instrumentellen Zweck habe, sondern Zweck in sich selbst sei. Im grossen Schlussmonolog plädiert Arendt ihrerseits fürs Denken: als Wissen zur Wahrheit, das erst moralische Urteile erlaube. Im Publikum sitzt eine junge Studentin, die ihr gebannt lauscht. Arendt greift teilweise wörtlich heideggersche Formulierungen auf, gibt ihnen allerdings eine weltzugewandte Richtung. In beiden Fällen unterläuft das Bild die Worte: Gezeigt wird nicht nur die Verführung zum eigenständigen Denken, sondern auch die überwältigende Verführung durch dieses.

Hannah Arendt. Regie: Margarethe von Trotta. Deutschland 2012