Stuttgart 21: Grün-Rot immer tiefer im Bauloch

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Der Polizeieinsatz war zu erwarten gewesen – und doch dürfte er die baden-württembergischen Grünen noch lange verfolgen. Am Mittwochmorgen hat ein Grossaufgebot der Polizei den Stuttgarter Schlossgarten geräumt, in dem tausend DemonstrantInnen die Nacht verbracht hatten. Die Polizisten setzten dabei auch Schlagstöcke ein. Gegen Mittag waren die BesetzerInnen von den Bäumen geholt und zwei AktivistInnen aus dem Beton gemeisselt, in den sie sich hatten giessen lassen. Am Nachmittag begann die staatseigene Deutsche Bahn AG, die zum Teil 200 Jahre alten Bäume zu fällen.

«Jetzt uralte Bäume für eine Baubrache zu fällen, ist kopflose Kraftmeierei», kritisierte die Umweltgruppe Robin Wood die Staatsaktion. Für den geplanten Tiefbahnhof Stuttgart 21 (S21), der unter dem Schlossplatz entstehen soll, gibt es noch immer keine Ausführungsplanung. Die von der Bahn vorgesehene Entwässerung ist noch nicht genehmigt – und für die Bauarbeiten im heiklen Untergrund hat das Unternehmen bisher keine Firma finden können. Dennoch hatten die Bahn und der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann ein Vermittlungsangebot von kirchlicher Seite abgelehnt. Wie schon beim Südflügel des Hauptbahnhofs, der derzeit abgerissen wird, sollen auch im Schlossgarten offenbar irreversible Fakten geschaffen werden. Dabei war vor zehn Tagen bekannt geworden, dass die Bahn bei der Computersimulation der Leistungsfähigkeit von S21 eine schadhafte Software eingesetzt hatte: Mit einem funktionierenden Programm wäre S21 beim sogenannten Stresstest auch offiziell durchgefallen. Die Rodung des innerstädtischen Parks verstösst zudem gegen die Schlichtungsvereinbarung vom November 2010.

Schummelei beim Stresstest (siehe WOZ Nr. 3/12 ), Missachtung des Schlichterspruchs, absehbare Kostenüberschreitungen, ein viel zu später Volksentscheid – und nun auf Jahre hinaus Baulücken und ein möglicherweise dauerhaftes Bauloch neben dem Hauptbahnhof: All das dürfte auch politische Folgen haben. Vor der baden-württembergischen Landtagswahl im März 2011 hatten die Grünen mehr Transparenz und eine stärkere «Bürgerbeteiligung» versprochen. Vor allem wegen ihres angekündigten Widerstands gegen S21 war die Partei in den Stuttgarter Wahlkreisen überaus erfolgreich gewesen. Doch dann knickten die mehrheitlich konservativen Grünen ein – vor der Koalitionspartnerin SPD, der Bahn und den Konzernen in der Region, die Millionen in den Abstimmungswahlkampf gebuttert hatten. Bei der Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl im Oktober dürfte der grüne Kandidat Felix Kuhn, der ganz auf Kretschmann-Linie liegt, wenig Chancen haben. PW

Korrigendum vom 23. Februar 2012

Es gibt Leute auf der WOZ-Redaktion, die ein langes Gedächtnis haben, zumindest unterbewusst. Und die sich noch gut (und gern) an das langjährige Kollektivmitglied Felix Kuhn erinnern (www.kuhnst.ch). Aber es ist natürlich nicht Felix, der für das Amt des Stuttgarter Oberbürgermeisters kandidiert – sondern der stellvertretende Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion in Berlin. Und der heisst Fritz Kuhn.