Und ausserdem: Ein bisschen Paradies

Nr. 5 –

Am Donnerstag vor einer Woche: kein Strom in Zürichs Innenstadt, mitten während der Arbeitszeit. Kein Tram fährt, kein elektrischer Herd wärmt mehr, und der «Blick am Abend» kann nicht erscheinen. Das Blackout verdrängte das Wef vom ersten Platz in den Mittagsnachrichten. Wir könnten nun über die grosse Abhängigkeit des modernen Menschen von technischen Systemen räsonieren – wie damals vor ein paar Jahren, als ein zu tief hängender Ast in der Innerschweiz ganz Italien vom Strom abhängte.

Doch bemerkenswerter war etwas anderes: Plötzlich waren die Strassen Zürichs voller gut gelaunter Menschen. Man hatte ein Thema fürs gemeinsame Gespräch und machte Witze mit fremden Menschen, wie man das trotz gemeinsamer Lektüre der Gratiszeitungen in der S-Bahn sonst nicht hat. Aus Italien wurde seinerzeit Ähnliches berichtet. Und die Erinnerung gibt schnell weitere Beispiele her. 2010 konnte wegen des Eyjafjallajökull-Vulkanausbruchs in halb Europa kein Flugzeug fliegen: Ich traf keinen, dem es nicht gefallen hätte, so ganz ohne Flugzeuge am Himmel. Anfang März 2006 fiel im Schweizer Flachland innert Kürze ein halber Meter Schnee: SkiläuferInnen auf autofreien Hauptstrassen. Vor Jahren in der Wohngemeinde meiner Jugend: heftiger Regen, Keller unter Wasser, Bahngleise unterspült, die Dorfstrasse ein reissender Bach. Ich musste zu Fuss nach Hause, weil der Zug nicht weiterfahren konnte. Überall traf ich Menschen auf der Strasse, dabei war Mitternacht und das Dorf um diese Zeit normalerweise ausgestorben, die Stimmung war ein bisschen Dorffest.

Wie so eine Einschränkung, das Gewohnte nicht tun zu können, plötzlich zur Befreiung wird, zur Ausrede, zu spät zu kommen – und seis nur eine Ausrede vor sich selbst! Zweieinhalb Stunden aus der Alltagsroutine befreit. Alles habe still gestanden ausser Autos und Handys, schrieb der «Tages-Anzeiger» am Tag nach dem Blackout. Man stelle sich vor, es wäre mal umgekehrt: Alles geht ausser Autos und Handys. Es wäre ein bisschen Paradies.