Steuerstreit: Hummlers Ruinen

Nr. 5 –

Spät am Sonntagabend brannte noch Licht in der frisch renovierten Villa in St. Gallen. Sie sollte den Teilhabern der Privatbank Wegelin zur Betreuung langjähriger KundInnen dienen. Nun ist sie das einzige Gebäude, das von Wegelin übrig bleibt. Konrad Hummler wartet darin mit einem kleinen Mitarbeiterstab und den US-Kundendossiers auf eine mögliche Anklage. In den letzten Jahren nahm die Bank rund um ihren Hauptsitz Gebäude in Beschlag: die Villa und Wohnungen, eine Bar und einen Club und sogar eine Kirche. Der einstige Andachtsraum eines dominikanischen Bettelordens wird gerade zu einem Konferenzzentrum umgebaut.

Im Licht der Ereignisse – der grösste Teil der Bank ist unter dem Namen Notenstein an Raiffeisen verkauft, Wegelin bleibt als «Bad Bank» zurück, Hummler gibt sein «Lebenswerk» auf – erscheint all dies als Kulissenbau. Die Gebäude wirken wie Ruinen des Bankgeheimnisses. Es war schon immer ein Bluff, dass Wegelin die älteste Bank der Schweiz sei. Als Aussenseiter haben Lombarden und Juden das hiesige Geldgeschäft entwickelt. Die Geschichte der heutigen Wegelin ist zwanzig Jahre kurz: Sie handelt vom Geschäft mit Schwarzgeld und von Börsenspekulation.

Anfang Januar veröffentlichten die US-Behörden ihre Anklageschrift gegen drei Wegelin-Kundenberater. Innert Monatsfrist hat sie die Bank zu Fall gebracht. Liest man sich durch die Schrift, bleibt einem die Spucke weg, mit welcher Energie die Geschäfte getätigt wurden: Als die UBS ins Visier der US-Steuerbehörden geriet, soll Wegelin an die hundert SteuerhinterzieherInnen mit Vermögen in der Höhe von insgesamt 1,2 Milliarden Dollar aufgenommen haben. Der Entscheid sei von der Bankleitung gefällt worden, die Kundenberater hätten in Trainings, die auf Video aufgezeichnet wurden, die richtigen Argumente gelernt.

Für seine Schwarzgeldstrategie kaufte sich Konrad Hummler schon früher das nötige Wissen. Beispielhaft dafür ist David Zollinger, ehemaliger Zürcher Staatsanwalt für Geldwäscherei, der auch in der Aufsicht der Bundesanwaltschaft sitzt (vgl. Seite 3). Hummler predigte öffentlich das Geschäftsmodell der Steuerhinterziehung, verstieg sich gar zur Aussage, das Bankgeheimnis sei ein Asylrecht. Als Gesellschaftsideal folgte daraus die Umverteilung von unten nach oben. Einer der Schlüsselsätze in Hummlers Feudalismus: «Jeder Franken, der am Staat vorbeigeht, ist ein gut eingesetzter Franken.»

Nun soll ausgerechnet der Staat schuld sein, dass Hummler scheiterte, verkündet sein Freund und SVP-Bankenprofessor Martin Janssen auf allen Kanälen. Unabhängig davon, was man von den USA und der globalen Durchsetzung ihres Rechts hält: Hummler hat US-BürgerInnen dabei unterstützt, gegen dieses Recht zu verstossen. Nach den Ermittlungen zur UBS war offenkundig, wie heikel das ist. Wie konnte Hummler dieser Fehler passieren – gerade ihm, der gerne in militärischen Bildern schwadroniert, von «Feldherrenhügel» und von «Verteidigungslinien»? Gescheitert scheint Konrad Hummler an seiner Gier und an seinen Monologen. Sein Weltbild und die Realität passten immer weniger aufeinander. Damit ist er in der Schweiz kein Einzelfall.

Die sogenannten Wirtschaftsführer wollen nicht in der Gegenwart ankommen. Die alten Männer irrlichtern: Oswald Grübel forderte nach der Finanzkrise weiter eine Rendite von bis zu zwanzig Prozent, wegen eines Betrugsfalls im UBS-Investmentbanking musste er gehen. Christoph Blochers Partei wollte das Bankgeheimnis in die Verfassung schreiben, mit einem Bankgeheimnisbruch zwang der SVP-Milliardär den Nationalbankchef abzutreten.

In der Schweiz steht eine Vergangenheitsbewältigung an. Die USA haben neben Wegelin zehn weitere Banken auf ihrer Liste. Der Bund wird im Steuerstreit Tausende verschlüsselte Mails zum Offshore-Geschäft der Banken an die Vereinigten Staaten liefern. Ist der Umfang des Betrugs abgeschätzt, sollen die Banken eine Milliardenbusse zahlen. Schliesslich will die Politik eine Weissgeldstrategie durchsetzen, die es trotz aller Beteuerungen bis heute nicht gibt.

Falls es nicht vorwärts geht, könnten die USA weitere Anklagen erheben, auch gegen die Basler oder die Zürcher Kantonalbank. Als Schreckgespenst wird beschworen, dass der Staat für diese haften müsse. Dabei bedeutet die Staatsgarantie zuerst, dass die Banken der Bevölkerung gehören. Statt sich in nationaler Verteidigung zu üben, wäre die Frage angebracht, wie der Finanzplatz zurückgebaut werden könnte – zum Wohl der Bevölkerung, zum Wohl auch der Entwicklungsländer.

In diesem Zusammenhang dürfte es kaum nachhaltig sein, dass die Genossenschaftsbank Raiffeisen für die Superreichen einspringt. Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz, meint SP-Wirtschaftspolitikerin Hildegard Fässler, «neigt offenbar zum Grössenwahn».

Seit einigen Monaten ist Konrad Hummler auch NZZ-Präsident. Er rückte als liberaler Saubermann aus der Ostschweiz in den Verwaltungsrat nach, als der Zürcher Freisinn im Grounding der Swissair unterging. Damals musste Eric Honegger als NZZ-Präsident zurücktreten, um die publizistische Unabhängigkeit zu garantieren. Noch steht das Blatt hinter Hummler, in einem ehrfurchtsvollen Kommentar schrieb der Chefredaktor am Samstag, dass hier einer zu seiner Verantwortung stehe. Es wird sich zeigen, wie lange die NZZ noch die Verantwortung für ihren Präsidenten übernehmen kann.

Hummler meldet sich regelmässig als Kolumnist zu Wort und hat sich auch schon als «absolut frecher» Schreiber der NZZ bezeichnet. Seine Anlagekommentare aus zwanzig Jahren hat er unlängst unter dem Titel «Versuch, Irrtum, Deutung» veröffentlicht. «Versuch, Deutung, Irrtum» hätte auch gepasst.