UBS-Untersuchung: Forster lässt warten

Nr. 10 –

Das Ständeratsbüro sistiert eine PUK zur Finanzkrise. Und sistiert sie gleich nochmals. Eine Woche im Bundeshaus, in der die Arroganz spürbar wurde.


Erst wurde die Pressekonferenz um eine halbe Stunde verschoben. Dann nochmals um eine Viertelstunde. Die Ständeratspräsidentin beginnt mit einer langen Einleitung. Dann sagt Erika Forster: «Wir haben beschlossen, die Frage nach einer PUK zu sistieren.»

Es war am letzten Mittwochabend, und es war wie in einem schlechten Film: Das Publikum erwartet die Aufklärung einer Geschichte. Stattdessen wird diese vor aller Augen fortgeschrieben. Das Büro des Nationalrats hatte vor einem Monat eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) zur Finanzkrise gefordert. Das Büro des Ständerats musste jetzt entscheiden, ob es die Initiative in den Parlamentskammern traktandieren lässt oder nicht. Ein rein formaler Entscheid. Mit der Sistierung und ihren politischen Folgen hat niemand gerechnet. «Der Entscheid fiel mit 4:2 Stimmen», betont Forster mehrmals, als wolle sie sich selbst aus der Schusslinie nehmen.

Die UBS wurde mit 68 Milliarden gerettet – per Notrecht. Das längst nicht mehr zeitgemässe Bankgeheimnis wurde mit der Übergabe von 285 Kundendaten an die USA faktisch aufgehoben – mit einem Rechtsbruch. Und jetzt also wird die Aufklärung dieses Falles verhindert – durch eine Sistierung. Notrecht, Rechtsbruch, Sistierung, das ist die Kette: Immer wenn in der Krise eine neue Politik hätte entstehen müssen, wurden die alten Verhältnisse mit juristischen Finten aufrechterhalten.

Von oben herab

In diesem Fall kann man sogar sagen: mit einem Schwindel. Das Ständeratsbüro hat den Entscheid über eine PUK aufgeschoben, weil es zuerst eine Untersuchung der Geschäftsprüfungskommission (GPK) zum gleichen Thema abwarten will. «Die GPK setzt sich sehr ein, und sie soll Gelegenheit haben, ihre Arbeit bis am 31. Mai abzuschliessen», sagt Forster. Dabei stützt sie sich auf einen GPK-Zwischenbericht. Er sieht aus wie die Disposition für eine Seminararbeit. Seit einem Jahr wurden demnach 28 Anhörungen vorgenommen (wobei die Bundesräte im Rahmen der jährlichen Aussprache befragt wurden und trotzdem einzeln aufgeführt werden). In den verbleibenden zwei Monaten sollen 25 weitere Anhörungen stattfinden (wobei nochmals alle Bundesräte, der US-Botschafter und die «Vertreter der UBS» vorgeladen werden sollen).

Erst unter dem Druck der PUK-Forderung hat der Bundesrat alle Akten, Mitberichte und Protokolle freigegeben. Vorerst nur an zwei, dann an alle Mitglieder der GPK-Arbeitsgruppe. Finanzminister Hans-Rudolf Merz hat eine Kopie seiner persönlichen Ordner zur Datenherausgabe an die USA geliefert. Die Anhörungen, die Akteneinsicht, das ist der Schwindel: Die Arbeit der GPK steht mitnichten vor dem Abschluss. Sie beginnt gerade erst. Und soll in zwei Monaten schon wieder fertig sein.

«Wenn die Ergebnisse der GPK nicht genügen, bin auch ich bereit, in der Sommersession eine PUK einzusetzen», sagt Forster. Als ob die Entscheidung bei ihr persönlich liegen würde. Erika Forster hatte, das kann aus der Ostschweiz berichtet werden, eine runde politische Karriere: Gemeinderätin, Gemeinderatspräsidentin, Kantonsrätin, Kantonsratspräsidentin, Ständerätin, Ständeratspräsidentin. Ehemann Ueli ist Verwaltungsratspräsident bei der Textilfirma Forster und Rohner AG, eine Grosszahl der Beschäftigten arbeitet in Niedriglohnländern. Bis 2006 war er zudem Präsident der Wirtschaftslobby Economiesuisse. Man wohnt auf dem Kammelenberg über St. Georgen oberhalb der Stadt, geografisch und gesellschaftlich kann man in St. Gallen kaum höher aufsteigen.

Linke attestieren Erika Forster, sie sei in ökologischen und sozialen Fragen im Lauf der Jahre offener geworden. Am Mittwoch aber, im entscheidenden Moment ihrer Karriere, demonstriert Forster die verbliebene Arroganz des Freisinns. SP-Frau Simonetta Sommaruga vertritt neben ihr die Minderheit. Das Machtverhältnis zeigt sich im Mienenspiel. Forster und Sommaruga – beide üblicherweise kontrollierte Politikerinnen. Wenn immer jetzt Forster das Wort an Sommaruga erteilt, blickt sie gnädig zur Seite. Sommaruga steht der Ärger ins Gesicht geschrieben.

Auch die CVP ist übrigens anwesend. Auch ihre beiden Büromitglieder haben die Sistierung unterstützt. Filippo Lombardi redet ständig von der Swissair statt von der UBS.

CVP: Taktik? Unvermögen?

Der Nationalrat reagiert am Donnerstag deutlich auf die Bevormundung durch vier ParlamentarierInnen: SP, Grüne und SVP wollten die PUK in der Frühlingssession behandeln. Im Nationalrat haben sie eine Mehrheit dafür, im Plenum des Ständerats ist die Zustimmung zu erwarten. Pascale Bruderer, SP, trägt am Mittag eine Erklärung vor: Das Büro des Nationalrats sei erstaunt und befremdet über die Sistierung. «Der Nichtentscheid blockiert den Meinungsbildungsprozess in den beiden Räten. Angesichts der grossen Tragweite der Fragen betreffend die Finanzkrise hält die Mehrheit des Büros des Nationalrats das Vorgehen für problematisch – auch unter staatspolitischen und institutionellen Gesichtspunkten.»

Die Mehrheit der Fraktionen verurteilt das Vorgehen, darunter auch jene der CVP. Diese hatte sich für eine PUK ausgesprochen, wenn bis zur Frühlingssession kein substanzieller Bericht der GPK vorliegen sollte. Aber ausgerechnet ihre Mitglieder im Ständeratsbüro stimmten jetzt für eine Sistierung und verschafften Forster damit die Mehrheit.

Gespräch mit CVP-Präsident Christophe Darbellay am Montag in der Wandelhalle – was war da los? War es Taktik? War es Unvermögen? Darbellay, sichtlich desinteressiert: «Ich bedaure den Entscheid. Aber ich muss ihn respektieren. Ich bin für eine Aufklärung von A bis Z. Aber sie ist auch kalter Kaffee, eine Vergangenheitsbewältigung.» Es war wohl tatsächlich Unvermögen.

Wie dringend die Folgerungen einer PUK wären, macht eine Nationalrätin aus der Wirtschaftskommission klar: «Regelmässig informieren uns Philipp Hildebrand von der Nationalbank, Eugen Haltiner von der Finma und Hans-Rudolf Merz. Hildebrand warnt ständig, dass die Kosten der Krise für die Schweiz insgesamt hundert Milliarden Franken betragen und wir etwas gegen das Ausfallrisiko der Grossbanken machen müssen. Haltiner gibt den UBS-Angestellten und beruhigt, alles komme von selber gut. Und dann kommt Merz an die Reihe, und bei Merz schwatzt es einfach.»

Ueli Leuenberger, der Präsident der Grünen, erzählt noch, dass er letzte Woche Erika Forster zusammen mit Gerold Bührer ins Bundeshaus habe kommen sehen. Bührer ist der neue Präsident von Economiesuisse. «Die beiden haben tunlichst nicht zusammen fotografiert werden wollen.» Ob sie sich über die PUK unterhalten haben? «Sie haben bestimmt nicht über die Preise im Bundeshausrestaurant verhandelt», sagt Leuenberger.

Ospel kommt gerne

Nach monatelangem Schweigen meldet sich pünktlich am Dienstag auch Marcel Ospel im «Blick». Dieses Manöver scheint Teil einer Strategie zu sein. Er komme wie Peter Kurer und Marcel Rohner gerne an eine Anhörung vor die GPK. Auch die «Vertreter der UBS» setzen alles daran, eine PUK zu verhindern. Im «Blick am Abend» wird Ständerat Hans Hess, Mitglied der Arbeitsgruppe, Ospel antworten: Er werde ihm vorgängig die Fragen zuschicken. Ist das Naivität? Ist es Eilfertigkeit? Im Gegensatz zu einer GPK könnte eine PUK auch UntersuchungsrichterInnen für eine Befragung anstellen.

Am Dienstagnachmittag treffen sich die Büros von National- und Ständerat zu einer mehr als einstündigen Aussprache. Das Ständeratsbüro versammelt sich darauf nochmals zu einer mehr als einstündigen Sitzung. Es hält an der Sistierung fest. Man wähnt sich offenbar von aussen angegriffen: Diesmal stimmt auch der Vertreter der SVP, Maximilian Reimann, dafür. Der Entscheid über eine PUK kann somit erst in der Sommersession gefällt werden.

Erika Forster gibt der WOZ später Auskunft. Die Idee zur Sistierung – hatten Sie die persönlich? «Die Idee entstand am letzten Mittwoch in der Sitzung aus der Diskussion heraus.» Sollte nicht eine Untersuchungsrichterin Marcel Ospel vernehmen? «Experten sind kein Allheilmittel.» Der Frage, ob die Arbeit der GPK nicht erst bevorstehe, weicht Forster aus.

Gegen Dienstagabend halten Erika Forster und Pascale Bruderer eine Pressekonferenz ab. Es ist ein kleiner Raum, die JournalistInnen stehen dicht gedrängt. Bruderer sagt, die Aussprache sei sehr gut verlaufen, «mit dem notwendigen Respekt und Verständnis». Man habe das Ständeratsbüro aufgefordert, auf seinen Entscheid zurückzukommen. Forster begründet, warum es diesen trotzdem nicht geändert habe. Dann sagt sie noch, dass ihr Büro eben sachlich, das Büro des Nationalrates hingegen politisch entscheide. Bruderer steigt ob dieser Dreistigkeit Zornesröte ins Gesicht.


Neustart in der Altersvorsorge

Es war eine schallende Ohrfeige für die Bürgerlichen: 72,7 Prozent der Stimmenden sagten am letzten Sonntag Nein zu einer Senkung des Umwandlungssatzes bei den Pensionskassen. In den Kommentaren wird das deutliche Ergebnis auch als Misstrauensvotum gegen die large Politik in der Finanzkrise gesehen. In die PUK-Debatte brachte es allerdings keinen Drive. Obwohl die Versicherungskonzerne mit ihren hohen Verwaltungskosten ebenfalls der kritisierten Finma unterstehen. Und obwohl die Geschäftsprüfungskommissionen, die nun die Untersuchung zur Krise führen sollen, 2004 den Entscheid durchgewinkt haben, wonach den AktionärInnen zehn Prozent des Brutto- statt des Nettogewinns zukommen.

Bewegung brachte das Ergebnis allerdings in die Sozialdebatte. Am Montag forderten die Gewerkschaften einen «Neustart in der Altersvorsorge» mit «anständigen Renten für alle». In der Verfassung steht, dass im Alter eine angemessene Fortsetzung der Lebenshaltung garantiert sein soll. Bisher wurden als Rente sechzig Prozent des Lohnes festgesetzt. Die Gewerkschaften fordern nun bei einem Lohn bis 5000 Franken eine Rente von achtzig und bis 7000 Franken eine von siebzig Prozent. «Diese neuen Leistungsziele entsprechen der Lebensrealität der Leute», sagt Gewerkschaftschef Paul Rechsteiner. Bei einem Einkommen von 5000 Franken würde die Rente künftig statt 3000 Franken neu 4000 Franken betragen. Von den Änderungen profitierten drei Viertel der Beschäftigten.

Statt einer technischen Debatte forcieren die Gewerkschaften also eine Gegenerzählung zum Sozialabbau. Entsprechend offen liessen sie die konkrete Umsetzung. Dieses Vorgehen hat schon einmal zum Erfolg geführt: Die Ende neunziger Jahre gestartete Mindestlohnkampagne führte dazu, dass Löhne unter 3500 Franken zum Tabu wurden.

Auch die weiteren Angriffe auf die Sozialwerke, etwa die 11. AHV-Revision oder die Reform der Arbeitslosenversicherung, wollen die Gewerkschaften stoppen. Das deutliche Ergebnis vom Sonntag hat die Bürgerlichen aufgeschreckt. CVP-Wirtschaftspolitiker Pirmin Bischof meint gegenüber der WOZ: «Wir müssen uns Gedanken machen.» Er stellt eine Rückweisung der AHV-Revision und Korrekturen bei der Arbeitslosenkasse in Aussicht.