USA: Platz für den grossen Hass

Nr. 28 –

Die Wirtschaftskrise und die Hautfarbe des neuen Präsidenten nutzt der Rechtsextremismus zur Rekrutierung, warnte kürzlich das US-Ministerium für Innere Sicherheit. Derweil porträtieren konservative US-Medien Barack Obama ungerührt als Hitler, Muslim, Sozialisten oder verkappten Kolonialisten.


Wie schon der Regierungsantritt des letzten demokratischen US-Präsidenten Bill Clinton im Jahr 1993 hat auch die Wahl von Barack Obama die rechtskonservativen Kräfte der USA mobilisiert und radikalisiert. «Den grossen Hass» nennt Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman das unheilvolle Zusammenwirken von radikalen Randgruppen, Massenmedien und gewählten PolitikerInnen der Rechten. Denn nicht nur in durchgeknallten Internetblogs, sondern auch in etablierten konservativen Radioshows und bei Fox News wird regelmässig darüber spekuliert, ob Barack Obama nicht doch ein Muslim sei oder ein Sozialist oder beides zugleich. Auf ihrer Suche nach immer neuen Sensationen, nach noch heisseren Emotionen und nach einer noch einfacheren rechtspopulistischen Botschaft verfeinern und legitimieren diese Massenmedien auch noch die krudesten Hassbotschaften ihrer Basis und bauen so eine wichtige Brücke zwischen dem rechtsextremistischen Rand und einem salonfähigen rechtskonservativen Mittelfeld. Zur Steigerung der Einschaltquoten sind sie auch bereit, in die Subkultur der Verschwörungstheorien hinabzusteigen. Der Bestsellerautor und neue Fox-Star Glenn Beck etwa, der sich Abend für Abend in einem apokalyptischen Ausnahmezustand befindet, verbreitete vor einem Millionenpublikum das Bloggergerücht, der neue Präsident stelle Konzentrationslager für missliebige US-BürgerInnen auf; er könne diese Nachricht im Moment weder bestätigen noch dementieren, fügte der TV-Moderator schlau hinzu.

Durch dieselben medialen Kanäle wird der US-Bevölkerung auch eingeredet, Präsident Obama wolle die Verfassung abschaffen und den rechtschaffenen AmerikanerInnen die Gewehre wegnehmen. In den letzten Monaten haben Waffennarren im ganzen Land auf Vorrat so viele Flinten und so viel Munition gehamstert und gehortet, dass es zu Lieferungsengpässen kam, was ihre Paranoia noch steigerte ... In Kentucky forderte ein Pfarrer seine Schäflein auf, ihre Waffen in die Kirche zu bringen, schliesslich seien «Gott und Gewehr» die Grundpfeiler Amerikas.

Tiller the Babykiller

Als das US-Ministerium für Innere Sicherheit Mitte April in einem internen Bericht vor zunehmendem Rechtsextremismus warnte, waren die Konservativen ausser sich. Die Regierungsstudie präzisierte: Die Einzelkämpfer der White Supremacists, die die Vorherrschaft der weissen Rasse mit allen, auch kriminellen Mitteln verteidigen wollen, stellten gegenwärtig die grösste terroristische Gefahr aus dem Innern dar. Doch der Vorsitzende der Republikanischen Partei verurteilte reflexartig die «Ausgrenzung von Andersdenkenden».

Seither sind bereits zwei prominente, durch rechtsextreme Ideen motivierte Gewalttaten hinzugekommen (siehe WOZ Nr. 25/09): Am 11. Juni tötete ein 89-jähriger vorbestrafter Rassist und Antisemit einen Angestellten des Holocaust Museum in Washington D. C. – James von Brunn war ein Wiederholungstäter, der elektronisch mit der Neonaziszene bestens vernetzt war. Kurz zuvor, am 31. Mai, war George Tiller, der in seiner Klinik in Wichita, im Mittleren Westen, Schwangerschaftsabbrüche vornahm, von einem fanatischen – und ebenfalls elektronisch vernetzten – Abtreibungsgegner beim Kirchgang erschossen worden. Ein Einzeltäter, hiess es auch hier. Doch auf Fox News hatte der Moderator Bill O’Reilly sein Millionenpublikum unermüdlich gegen «Tiller the Babykiller» aufgestachelt.

Dr. Tiller seinerseits war ein Wiederholungsopfer: Im Sommer 1993, kurz nach Amtsantritt von Bill Clinton, war eine Hausfrau aus Oregon mit Bibel und Pistole nach Kansas gereist, um den sündigen «Kindermörder» eigenhändig zu richten. Damals überlebte Tiller das Attentat – im Gegensatz zu etlichen seiner ArztkollegInnen, die in diesen Jahren rechtsextremistischen Anschlägen zum Opfer fielen.

Auf dem Höhepunkt der Gewalt, 1995, bombardierte der frustrierte Golfkriegsveteran Timothy McVeigh ein Regierungsgebäude in Oklahoma City; 168 Tote gab es bei diesem Terroranschlag made in America.

Globalisierung und Xenophobie

Woher stammte damals der grosse Hass der radikalen rechten Gruppierungen und Einzelpersonen? Und woher kommt er heute?

Der US-amerikanische Staatsschutz weist in seinem Extremismusbericht auf ein paar bedenkenswerte Parallelen zwischen den Clinton- und den Obama-Jahren hin: Der wichtigste Radikalisierungsfaktor ist wohl – damals wie heute – die wirtschaftliche Unsicherheit. In den neunziger Jahren wurden massenweise Arbeitsplätze in Billiglohnländer ausgelagert. Die Reaganomics der achtziger Jahre wurden auf die ganze Welt ausgedehnt. Der «Siegeszug» der Globalisierung begann. Den VerliererInnen der Umstrukturierung bot aber auch die demokratische Regierung keine neue Heimat an. Im Gegenteil: Unter Clinton wurde auch noch das wenige, das es in den USA an Sozialstaat gab, abgeschafft. Die Arbeitslosen und die Working Poor, das neue Lumpenproletariat, waren Kollateralschäden dieser Entwicklung – so wie für den Regierungsgegner McVeigh die Opfer seines Bombenanschlages Kollateralschäden waren.

In der heutigen Krise beträgt die Zahl der Arbeitslosen in den USA bereits zehn Prozent – wenn man die restriktive Definition des Arbeitsministeriums verwendet. Bürgerrechtsbewegungen sagen, rund doppelt so viele Lohnabhängige, nämlich 25 Millionen Frauen und Männer, hätten heute keine oder zu wenig Arbeit. Eine baldige Besserung wird nicht erwartet, und die Regierung Obama hat – im Gegensatz zu Franklin Roosevelts Arbeitsbeschaffungsprogramm in den dreissiger Jahren – bisher kaum neue Jobs geschaffen. Wieso eigentlich nicht? Der Staatsschutz selber zitiert in seinem Extremismusbericht eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, welche einen starken Zusammenhang zwischen der Arbeitslosigkeit von Eltern und rechtsextremen Ansichten – vor allem Xenophobie (Fremdenfeindlichkeit) und antidemokratische Ideale – bei den Kindern annimmt.

Die Stellung der USA in der Welt ist wie vor zwanzig Jahren auch heute wieder grossen Veränderungen ausgesetzt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 und dem Ende des gewohnten Blockdenkens fürchteten die superpatriotischen AmerikanerInnen, ihr Land werde demnächst von einer jüdisch dominierten Weltregierung geschluckt.

2009 haben sie Angst vor einer multipolaren Welt, in der die Vorherrschaft der USA nicht mehr ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann. Das Problem ist, dass das heutige Szenario keine Verschwörungstheorie, sondern eine sehr realistische Zukunftsperspektive ist. Eine Zukunft allerdings, auf die die AmerikanerInnen sehr schlecht vorbereitet sind. In den US-amerikanischen Schulen wird wenig Weltläufigkeit und viel Patriotismus gelehrt. Die Uno ist ein unbeliebter Fremdkörper; internationales Völkerrecht gilt bis weit in liberale Kreise hinein als suspekt. Alle US-Präsidenten, Demokraten ebenso wie Republikaner, ködern ihre WählerInnen mit der Grösse der Nation, die es entweder zu erhalten oder wiederaufzubauen gilt. «Es ist wieder Morgen in Amerika», behauptete Ronald Reagan mit einigem politischem Erfolg. Und Barack Obama wich in seiner Kampagne nicht allzu weit von diesem Skript ab. Auch er wagt es (noch) nicht, den «ewigen Krieg für den ewigen Frieden» (Gore Vidal) abzublasen. Der American Exceptionalism, der Glaube an die Auserwähltheit und Güte der eigenen Nation, ist in der Bevölkerung der USA tief verwurzelt – bei den Linken als leuchtendes Ideal, bei den Rechten als Anspruch und Geburtsrecht. Noch weiter rechts geht dieses Überlegenheitsgefühl nahtlos in die White Supremacy, die Vorherrschaft der weissen Rasse über.

Vom Irak- zum Rassenkrieg

Wie schon in den neunziger Jahren, nach dem Golfkrieg 1991, rekrutieren die rechtsextremen Gruppierungen auch heute wieder sehr aktiv Mitglieder unter den Kriegsveteranen. Die Reintegrierung zurückkehrender Soldaten ist für jede Zivilgesellschaft ein Problem. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde den Armeeangehörigen der USA der Übergang mit Bildungsgutscheinen, grosszügigem Arbeitslosengeld, guten Krankenversicherungen und günstigen Hypotheken erleichtert. Seither können oder wollen sich die USA diese Rückkehrhilfe nicht mehr leisten. Veteranen sind in den USA überdurchschnittlich oft obdachlos, arbeitslos, psychisch krank – und besonders anfällig für häusliche wie politische Gewalt.

Die Rechtsradikalen schätzten im Übrigen das militärische Wissen und die Kampferfahrung von regulären Soldaten als so wertvoll ein, dass sie in ihrer Vernetzung noch einen Schritt weiter gingen: Seit ein paar Jahren schleusen die Aryan Brotherhood, die Skinheads und andere Neonazigruppen eine beträchtliche Zahl ihrer Mitglieder in die offizielle US-Armee ein, um sie da für den anstehenden finalen Rassenkrieg ausbilden zu lassen. Von der Bekämpfung der «Sand Nigger», wie die Iraker von den US-Besatzungstruppen oft genannt wurden, zu den Negern im eigenen Land – die auch Latinos oder Juden oder Homosexuelle sein können – ist es dann bloss noch ein kleiner Schritt. Die Wahl des ersten Afroamerikaners zum Präsidenten bietet rassistischen Fantasien jeder Art (vgl. «Der afroamerikanische Despot» weiter unten) natürlich eine ideale Projektionsfläche.

Die Rechtskonservativen und ihre Medien sind in erster Linie verantwortlich dafür, wie viel Raum dem grossen Hass zugestanden und eingeräumt wird. Die Liberalen und Linken müssen sich aber ihrerseits fragen, ob und wo und wie diesem zersetzenden Hass ein ebenso starkes und leidenschaftliches Gefühl der Empathie entgegengesetzt werden kann. Liberté, Égalité, Solidarité – etwas in die Richtung.


«Der afroamerikanische Despot»

Nicht seine Hautfarbe sei das Problem, sagt L. E. Ikenga über Barack Obama, sondern seine kulturelle Identität. Der neue Präsident der USA sei mehr Afrikaner als Amerikaner; und dazu noch die falsche Art Afrikaner, nämlich ein afrikanischer Neokolonialist, ein Despot in spe.

Die Thesen der bis anhin gänzlich unbekannten Madam Ikenga, die sich selber als Amerikanerin der ersten Generation und «Igbo-Frau aus einem Gebiet, das man heute Nigeria nennt» vorstellt, fanden nicht bloss auf dem Internet grosse Beachtung. Am 26. Juni stellte der rechtskonservative Rush Limbaugh den Aufsatz seinem 20-Millionen-Radiopublikum vor. Obama wolle aus den USA ein Drittweltland machen, lamentierte der inoffizielle Sprecher der Republikanischen Partei. Mit dem Stimulusprogramm, dem Cap-and-Trade-Gesetz und der Gesundheitsreform attackiere der Präsident den Privatsektor. Obama wolle alles selber kontrollieren, so wie Mugabe das in Simbabwe tue, das doch früher Rhodesien hiess ...

Ikenga selber argumentiert etwas subtiler, aber auch sie besteht darauf, dass Blut dicker sei als Wasser (oder Sozialisation). Sie liefert sozusagen den Rassismus für gehobene Ansprüche. Obamas Hauptsünde, schreibt sie, sei seine Identifikation mit dem kenianischen Vater und dessen postkolonial verdrehtem Bewusstsein. Wie viele afrikanische Intellektuelle sei Obama senior über die Kolonialisierung der Briten wütend gewesen. Aber er habe sich als Reaktion darauf nicht auf die «wahren Wurzeln» seiner Stammesgesellschaft zurückbesonnen, sondern eine fremde Ideologie, den Marxismus, angenommen. Solche Männer, die die eigene Tradition verleugnen und die hegemonialen Paradigmen des Westens übernehmen, nenne sie ganz einfach afrikanische Kolonialisten, schreibt die Pamphletistin.

Afrikanische Kolonialisten seien ebenso undemokratisch und machtgierig wie ihre weissen Vorläufer. Und Barack Obama sei ein loyaler Sohn seines knallhart afrikanisch-kolonialistischen Vaters. Deshalb werde sich der Kolonialisierungsprozess wiederholen: Was die Briten 1914 den Igbo angetan hätten, das werde Präsident Obama nun den AmerikanerInnen antun. Eindringlich warnt Madam Ikenga: «Gibt man einem afrikanischen Kolonialherren zu viel Macht, kann er nur eines werden: ein Despot.»

Die Frage ist nur: Welche Stammesgesellschaft ist hier bedroht? Wall Street? Die Pharmaindustrie? Exxon-Mobil? Waffenträger? Oder gar die ganze Fox-Nation?