Wahnhafte Abgründe

Nr. 23 –

Einem Buch ein stark konturiertes, übergeordnetes Thema zu geben, birgt gewisse Risiken: AutorInnen mit weniger schriftstellerischem Geschick vermitteln schnell den Eindruck, ihre Arbeiten seien am Reissbrett entstanden. Auch der routinierte und viel gelobte New Yorker Autor Rick Moody («Der Eissturm») musste sich zuletzt den Vorwurf gefallen lassen, seine umfangreiche Medien- und Gesellschaftssatire «Wassersucher» wirke über weite Strecken überkonstruiert. Keine Frage, Moody hatte sich überhoben am eigenen schriftstellerischen Anspruch.

Seine jüngste Geschichtensammlung heisst «Paranoia» und besteht aus drei langen Erzählungen. Alle handeln von paranoiden Neigungen mit zum Teil psychotischen Ausprägungen. Kein leichtes Thema: Paranoia ist ein Hirngespinst; und die Schwierigkeit des Autors besteht deshalb insbesondere darin, die LeserInnen bei der Stange zu halten. Wo die doch wissen, dass die Dinge, die geschehen, lediglich einen innerpsychischen Wahrheitswert für die Betroffenen haben. Das kann schnell langweilig werden.

Wird es aber nicht. Moody taucht mit viel Fantasie tief hinab in die seelischen Abgründe seiner drei ProtagonistInnen. Psychologisch geschickt kehrt er Stück für Stück das Innere eines quasselig überdrehten Pensionärs nach aussen. Der Mann zeigt sich höchst beunruhigt von den Aktivitäten «dunkelhäutiger Individuen»; er wittert eine terroristische Verschwörung. Zu einer absurden Farce gereicht Moody der Verdächtigungswahn einer Büroangestellten, die sich anhand eines inhaltlich vollkommen harmlosen Zettels im Beschwerdekasten ihrer Firma um Kopf und Kragen denkt. In der dritten Geschichte lässt der Autor in einem schrillen Drogenerinnerungsalbtraum mit Science-Fiction-Konturen Wahrheit, Delirium und Illusion kollidieren.

Gelungen sind die Geschichten nicht zuletzt, weil sie die Abgründe ihrer Figuren sehr ernst nehmen. Nur vordergründig humorvoll sind sie im Grunde schrecklich traurig - auch weil sie von der gnadenlosen Einsamkeit der Menschen unserer Gegenwart erzählen.

Rick Moody: Paranoia. Piper. München 2008. 245 Seiten. Fr. 32.90