Asbest: Die Herren des weissen Staubs kehren zurück

Nr. 7 –

Asbest schadet nicht der Gesundheit. Diese Meinung vertritt die Internationale Asbestarbeitergewerkschaft Chrysotil. Dem Gewerkschaftsbund Bau- und Holzarbeiter Internationale stösst das sauer auf, er fordert endgültig ein weltweites Verbot der giftigen Faser.

Die Provokation war perfekt: Als sich letzte Woche achtzig Delegierte des Gewerkschaftsbundes Bau- und Holzarbeiter Internationale (BHI) in Wien trafen, um ihre Kampagne für ein weltweites Asbestverbot voranzutreiben, tagten zugleich im selben Konferenzzentrum abtrünnige GewerkschafterInnen - mit dem exakt entgegengesetzten Ziel. Sie waren zusammengekommen, um eine weltweite Pro-Asbest-Kampagne zu lancieren. Rund zwanzig GewerkschaftsführerInnen aus den drei führenden Förderländern Russland, Kasachstan und Brasilien waren der Einladung der Internationalen Asbestarbeiter-Gewerkschaft Chrysotil gefolgt - eine offenkundige Kampferklärung an die Adresse der BHI.

Seit 2005 in der EU verboten

Mehr als 100 000 ArbeiterInnen sterben jährlich weltweit an asbestbedingten Krankheiten. Deshalb ist das Mineral (vgl. Text unten: «Von der Wunderfaser zum Lungengift») seit 2005 innerhalb der EU verboten. Von den 193 Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben sich bisher aber nur rund 40 Staaten für ein Asbestverbot ausgesprochen. Und vor allem in Russland und vielen asiatischen Staaten ist Asbest weiter auf dem Vormarsch: Anfang 2007 lagen neunzig Prozent der Länder, in denen der Asbestverbrauch am stärksten wächst, in diesen Regionen (vgl. Text unten: «Anstieg des asiatischen Asbestverbrauchs»). Dabei geht es um Weissasbest, das sogenannte Chrysotil, die einzige der fünf existierenden Asbestarten, die noch abgebaut wird.

Der führende Kopf der Pro-Asbest-Gewerkschaftsbewegung ist der Russe Boris Schoschenko. Der Präsident der russischen Baugewerkschaft - und enger Freund und Berater des russischen Präsidenten Wladimir Putin - hat sich 2006 dem Lager der BefürworterInnen angeschlossen. Seither fliegt er um die Welt, um neue AnhängerInnen zu gewinnen. Bisher allerdings mit mässigem Erfolg: Nur 3 der 350 BHI-Gewerkschaften haben sich bisher hinter ihn gestellt.

An ihrer Konferenz in Wien versuchte die Chrysotil-Gewerkschaft gegen die BHI Stimmung zu machen: Diese ignoriere die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die klar beweisen würden, dass Weissasbest der Gesundheit nicht schade. Zudem könne heutzutage Asbest mit Hilfe neuer Technologien «kontrolliert und sicher» verarbeitet werden. Die Forderung nach einem weltweiten Verbot sei ein «Dolchstoss in den Rücken der GewerkschafterInnen der Chrysotilindustrie» und stürze Millionen von Menschen ins Verderben. Denn mit einem Asbestverbot würden Hunderttausende von Arbeitsplätzen vernichtet.

Schoschenko forderte die BHI zudem auf, die Position seiner Gewerkschaft zu prüfen und «mit unabhängigen Wissenschaftlern an einem runden Tisch das Verbot zu diskutieren» - eine Forderung, auf die sich die TeilnehmerInnen der BHI-Konferenz nicht einlassen wollten. Der Präsident der BHI, Klaus Wiesehügel, kommentierte Schoschenkos Vorstoss mit einem einzigen Satz: «Diese Leute suchen die Konfrontation, wir werden uns aber nicht provozieren lassen.»

Der Auftritt der Chrysotil-Gewerkschaften in Wien ist besorgniserregend. Die vielen Hochglanzbroschüren der Pro-Asbest-Kampagne und der Pomp, von dem die Konferenz begleitet wurde, lassen auf eine gefüllte Propagandakasse schliessen.

Seit über einem halben Jahrhundert verwendet die Asbestlobby dieselben Methoden, um die Produktion des Minerals weiter zu fördern und um neue Märkte zu erschliessen. Das Einspannen von GewerkschafterInnen ist nur eines der verwendeten Mittel, um in die Politik einzugreifen und so drohende Asbestverbote zu verhindern - oder zumindest um Jahre hinauszuzögern. Eine weitere Praxis ist die Veröffentlichung vermeintlich wissenschaftlicher Studien: Diese werden bei konzerneigenen oder branchennahen Instituten in Auftrag gegeben, welche die erwünschten Ergebnisse liefern.

Eine Enthaltung

Annie Thébaud, Leiterin des französischen Forschungsinstituts für Arbeitsmedizin Insern, hat einige Studien unter die Lupe genommen: «Sie gehen von der These aus, wonach Asbestfasern schon nach wenigen Wochen vom Körper abgebaut würden» - was aber nicht stimme. «Unter Wissenschaftlern herrscht ein internationaler Konsens, demzufolge Weissasbest krebserregend ist.» Die gesundheitsschädigende Wirkung sei längst durch zahlreiche Studien belegt. Für Igor Fedotow, Asbestexperte bei der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, ist deshalb klar: «Die einzig wirksame Prävention gegen Asbestkrebs ist ein weltweites Verbot.» Auch die GewerkschafterInnen der BHI vertreten diese Meinung. Deshalb haben sie in Wien eine Resolution verabschiedet, in der sie ein weltweites Verbot fordern. Nur einer enthielt sich der Stimme: Boris Schoschenko. Er erlaubte sich, an beiden Konferenzen gleichzeitig teilzunehmen.

Die Rotterdam-Konvention

Doch wie kann das Asbestgeschäft in den Entwicklungs- und Schwellenländern gestoppt werden? Ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Asbest wäre seine Aufnahme in die Liste der sogenannten Rotterdam-Konvention, wie dies die langjährige Koordinatorin der Internationalen Anti-Asbestvereinigung (IBAS) Laurie Kazan-Allen an der BHI-Konferenz forderte. Die Konvention regelt den internationalen Handel von gefährlichen Chemikalien und Pestiziden. Gemäss dem Abkommen erfordert der Export der aufgelisteten Stoffe eine Bewilligung der importierenden Länder. Damit erhalten die Staaten die Möglichkeit, gefährliche Stoffe von ihrem Land fernzuhalten.

Würde Weissasbest tatsächlich in die Liste der Rotterdam-Konvention aufgenommen - in der die vier anderen gefährlichen Asbestsorten bereits aufgeführt sind - würde dies für die kanadische Asbestindustrie das Aus bedeuten. Kanada exportiert rund 97 Prozent seines Weissasbests. So ist der Versuch, Asbest in die Rotterdam-Liste aufzunehmen, bisher am kanadischen Veto gescheitert.

Für dieses Jahr haben die Mitgliedstaaten der Rotterdam-Konvention einen neuen Versuch geplant, Weissasbest endlich in die Liste der toxischen Substanzen aufzunehmen. Doch die Zeichen stehen schlecht. Abgesehen von der kanadischen und russischen Asbestlobby will nun auch Indien, gestützt auf eine neue Risikostudie, seine Position überdenken - finanziert wird diese Studie einmal mehr durch Beiträge der Asbestindustrie.





Maria Roselli ist Autorin des Buches «Die Asbestlüge» (Rotpunktverlag), das am 18. März 2008 im Volkshaus Zürich präsentiert wird.

Von der Wunderfaser zum Lungengift

Bereits in den Schriften der alten Griechen und der Römer wird über die wundersame Faser berichtet, die praktisch feuerfest und deshalb ein ideales Isoliermaterial ist. In den siebziger Jahren, zur Blütezeit der Asbestproduktion, gab es an die 3000 verschiedene Asbestprodukte. Sehr viele fanden Anwendung in der Baubranche. Aber auch in der Transportindustrie wurde das Material oft zur Herstellung von Bremsbelägen verwendet. Die Schweiz importierte damals jährlich rund 25 000 Tonnen Asbest, wovon neunzig Prozent von der Eternit AG verarbeitet wurden. Das Glarner Unternehmen, das zu jener Zeit bis zu tausend ArbeiterInnen beschäftigte, gehörte zum weltumspannenden Faserzementimperium der Industriellenfamilie Schmidheiny.

Dass die Wunderfaser allerdings ein Lungengift ist, wusste man bereits seit langem. 1918 weigerten sich deshalb US-amerikanische Lebensversicherungen, AsbestarbeiterInnen unter Vertrag zu nehmen. Asbestbedingter Lungenkrebs ist in Deutschland seit 1943 als Berufskrankheit anerkannt. Und seit Anfang der sechziger Jahre gilt es als erwiesen, dass Asbestfasern Lungenkrebs verursachen können.

Anstieg des asiatischen Asbestverbrauchs

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind heute weltweit rund 125 Millionen Menschen an ihrem Arbeitsplatz Asbest ausgesetzt. In rund 150 der WHO angeschlossenen Ländern ist die Verarbeitung und Förderung von Asbest noch immer erlaubt, wobei in rund siebzig von ihnen tatsächlich mit Asbest gearbeitet wird. Der Tribut an Menschenleben ist enorm: Die WHO schätzt, dass auch in Zukunft jährlich rund 100 000 Menschen an asbestbedingten Krankheiten sterben werden. Denn obwohl seit Jahrzehnten für sämtliche Asbesterzeugnisse Ersatzfasern existieren, ist in Entwicklungs- und Schwellenländern ein rasanter Anstieg des Asbestverbrauchs zu beobachten. Die Asbestindustrie hat ihre Gewinnung und Produktion mehrheitlich in diese Länder verschoben. Und nun nutzt man dort den Wettbewerbsvorteil, der durch die Asbestverbote in den westlichen Ländern entstanden ist.

Doch die Wiedergeburt des tot geglaubten Minerals ist auch eine Frage des Preises: Asbest ist deutlich billiger als Ersatzstoffe. In Ländern wie China, Indien oder Russland, in denen die Bauindustrie boomt, erachtet man die Schädlichkeit des praktischen und günstigen Stoffes als nebensächlich. Im Jahr 2003 verbrauchten die asiatischen Staaten nahezu fünfzig Prozent des weltweit geförderten Asbests: China (491 945 Tonnen), Indien (199 033 Tonnen), Vietnam (39 382 Tonnen) und Indonesien (32 284 Tonnen) waren dabei die grössten Abnehmer. Einzig Japan hat ein Asbestverbot durchgesetzt. Ab 2009 soll auch in Südkorea die Produktion aufgegeben werden.