Sozialabbau: Von «Welfare» zu «Workfare»

Nr. 51 –

Was verbindet IV-Abbau, Asylpolitik und den Zwang zur Billiglohnarbeit?

Erstens: Wenn Daniela Merz, Geschäftsführerin der St. Galler Sozialfirma Stiftung für Arbeit, spricht, dann will sie sich zunächst von allen Weicheiern von Sozialarbeitenden abgrenzen, die zu pfleglich mit Erwerbslosen umgehen: «Wir sind kein Beschäftigungsprogramm. Wir sind eine Firma. Bei uns gibt es leistungsabhängige Löhne, Qualitätsmanagement, Boni und Kündigungen. Wir können nicht nur so tun, als ob wir arbeiten würden», gab sie kürzlich der NZZ zu Protokoll. Zwölf Franken netto pro Stunde beträgt der Einstiegslohn bei der Stiftung für Arbeit. Als «Frau mit scheinbar grenzenloser Energie, mit Födle und Rückgrat» hat das «Magazin» des «Tages-Anzeigers» Daniela Merz einmal beschrieben.

Zweitens: Am 1. Januar 2008 tritt die 5. IV-Revision in Kraft. Auf uns kommt einiges zu: Rentenkürzungen, Früherfassung ab vier Wochen dauernder Arbeitsunfähigkeit oder auch, dass Menschen gegen ihren Willen bei der IV angemeldet werden können.

Drittens: Ebenfalls am 1. Januar treten weitere Verschärfungen im Asylgesetz in Kraft. Abgewiesene Asylsuchende werden von der So-zialhilfe ausgeschlossen. Sie werden fortan mit rund acht Franken Nothilfe pro Tag auskommen müssen.Was hat nun die mediale Lobeshymne auf Daniela Merz mit den Verschärfungen in der Invalidenversicherung sowie im Asylgesetz zu tun? Sie sind Teil eines Umbaus des Sozialstaates, der sich mit dem Begriff «Workfare» fassen lässt. Workfare gilt als das neue Wundermittel, beinahe alle politischen Strömungen setzen darauf.

Der Zürcher Soziologe Kurt Wyss analysiert in seinem Buch «Workfare - Sozialstaatliche Repression im Dienst des globalisierten Kapitalismus», wie es zu diesem Umbau kam. Es handelt sich hierbei um den Paradigmenwechsel von Welfare, dem Wohlfahrtsstaat, zu Workfare, dem staatlichen Disziplinierungsapparat, der Menschen dazu zwingt, Arbeit um jeden Preis und zu jedem Preis anzunehmen. Es geht, schönfärberisch ausgedrückt, um die «Tausend-Franken-Jobs», um «Arbeit statt Sozialhilfe», um «Integration statt Rente».

Kurt Wyss zeigt anhand exemplarischer Aufsätze ausgewählter Autoren auf, wie sich die Workfare-Ideologie in Europa zunächst in ihrer neokonservativen und neoliberalen, später auch in der neuen sozialdemokratischen Ausprägung in den Köpfen der Menschen festsetzen konnte - und wie sie später in die Praxis umgesetzt wurde. Die Workfare-Ideologie basiere auf falschen Annahmen, hält Kurt Wyss entschieden fest: Die Erwerbslosigkeit liege genau nicht - wie unterstellt - primär im Verhalten der Betroffenen begründet, sondern in den Strukturen des kapitalistischen Wirtschaftens selbst. Und so liegt es auf der Hand, dass die drei politischen Strömungen zwar vordergründig als Gegenspieler auftreten, sich hintergründig jedoch ergänzen. Die neue Sozialdemokratie setzt sich vermeintlich gegen Sozialabbau zur Wehr, fordert aber ohne zu zögern selber Kürzungen, wenn eine armutsbetroffene Person sich dem ihr vorgeschriebenen Bewerbungsprogramm nicht unterzieht. Die Neokonservativen sind vordergründig gegen Beschäftigungsprogramme, tragen sie jedoch mit, wenn darin Sanktionierungen oder gar das Einstellen von Sozialleistungen verankert sind. Die Neoliberalen ihrerseits wehren sich auch gegen Schulungsprogramme, sind aber damit einverstanden, wenn es gleichzeitig zur Einführung einer allgemeinen Arbeitspflicht bei Löhnen auf Sozialhilfeniveau respektive zur Einrichtung eines Niedriglohnsektors kommt.

Diese Sozialpolitik im Sinne von Workfare geht einher mit einer verschärften Strafpolitik der Nulltoleranz. Wer sich nicht unterordnet oder nicht ins System passt wie zum Beispiel die Flüchtlinge, muss sich auf ein Kontroll- und Sanktionsregime gefasst machen, das bis zur kompletten Sozialleistungseinstellung führen kann. So kommt Kurt Wyss zum Schluss: Es gehe «immer um beides gleichzeitig, sowohl um das In-Schach-Halten als auch um das Ausbeuten der Ärmsten der Gesellschaft». Es wäre wünschenswert, dass das äusserst anregende Buch eine Fortsetzung bekäme, die sich ausschliesslich mit dem schweizerischen Abbau des Sozialstaates bei gleichzeitigem Ausbau des strafenden Staates befasst.


Kurt Wyss: Workfare. Sozialstaatliche Repression im Dienst des globalisierten Kapitalismus. Edition 8. Zürich 2007. 160 Seiten. 24 Franken

Franz Schibli ist Sozialberater und Theologe.