Burma-Thailand-Bahn: Die falsche Brücke am Kwai

Nr. 41 –

In Burma und im benachbarten Thailand trieb während des Zweiten Weltkriegs ein japanisches Bauprojekt 100 000 asiatische Zwangsarbeiter in den Tod. Erinnert wird meistens nur an die Opfer der Alliierten.

Anfang März 1958 lief der Film «Die Brücke am Kwai» in den westlichen Kinos an und erhielt auf Anhieb sieben Oscars. «Die Brücke am Kwai» machte den Hauptdarsteller Alec Guinness als Schauspieler weltberühmt und die Thailand-Burma-Bahn, auch «Todesbahn» genannt, über Nacht zum Inbegriff eines berüchtigten Sklavenprojekts: Zelebriert werden im Film die Zähigkeit und der ungebrochene Überlebenswille alliierter Kriegsgefangener unter der Knute ihrer japanischen Militäraufpasser. Das Drehbuch lehnte sich an eine Erzählung an, deren Autor, der Franzose Pierre Boulle, selbst kurzzeitig Gefangener war - allerdings hatten ihn nicht die Japaner, sondern Vichy-Loyalisten in Saigon eingesperrt. Vieles in «Die Brücke am Kwai» ist Fiktion, die darin beschriebenen Schicksale indes entsprechen der bitteren Realität.

Im Frühjahr 1942 hatten die japanischen Truppen neben Ostasien das gesamte kontinentale und insulare Südostasien unter ihre Kontrolle gebracht. Dazu zählten das zuvor französisch dominierte Indochina - Vietnam, Laos und Kambodscha - , die Philippinen als US-amerikanische Kolonie, Niederländisch-Indien, das heutige Indonesien mit seinen reichen Erdöl- und Gasvorkommen im Norden Sumatras sowie Malaya, die malaiische Halbinsel samt der von den Briten für uneinnehmbar gehaltenen «Festung Singapur».

Brückenschlag nach Indien

Dennoch blieb für die Japaner ein Problem ungelöst: Ihre Nachschubwege zwischen Thailand und der burmesischen Hauptstadt Rangun (heute Yangon) waren zu weit. Sie verliefen über einen grossen Umweg via Singapur und die Strasse von Malakka, eine Seeroute, die kaum Schutz gegen überraschende Luftangriffe der Alliierten bot. So besann sich der japanische Generalstab eines Plans, der bereits vor dem Krieg in Rangun und Bangkok gehegt worden war - nämlich die burmesische Stadt Moulmein durch eine Eisenbahnlinie mit der thailändischen Hauptstadt zu verbinden. Diese Bahn, so das militärstrategische Kalkül Tokios, sollte Dreh- und Angelpunkt der Nord-Süd- sowie Ost-West-Expansion sein, japanischen Truppen den Weg von China nach Singapur ebnen und ihnen gleichzeitig als logistischer Knotenpunkt für die Eroberung des indischen Subkontinents dienen.

Endpunkt der Thailand-Burma-Bahn auf burmesischer Seite war Thanbyuzayat, das bereits per Schiene mit der Hauptstadt Rangun verbunden war. Ausgangspunkt auf thailändischer Seite bildete Nong Pladuk, wo ebenfalls ein Schienennetz bestand, das gegen Süden über Bangkok führte und in Singapur endete. Die Kommandozentrale der Japaner für den Bau lag in Kanchanaburi und im benachbarten Chungkai, 130 Kilometer nordwestlich der thailändischen Hauptstadt Bangkok.

Insgesamt 415 Kilometer trennten Nong Pladuk von Thanbyuzayat. Für die Bauzeit einer solchen Strecke, die vor allem im Grenzgebiet der beiden Länder durch dichten Dschungel führte, hatten frühere britische Baupläne zirka fünf Jahre vorgesehen. Aus Tokio erging nun die Order, diese Strecke in maximal sechzehn Monaten fertigzustellen - koste es, was es wolle. Im Juni 1942 begannen diesseits und jenseits der Grenze die Bauarbeiten, die tatsächlich schon Mitte Oktober 1943 abgeschlossen waren.

Im Unterschied zu Thailand, das Japan Durchgangsrechte gewährt hatte, mit ihm kooperierte und als einziges Land in der Region seine Unabhängigkeit halbwegs zu wahren vermochte, war Burma seit 1942 ein militärisch besetztes Land. In dessen Hauptstadt Rangun hatte das japanische Oberkommando die Burma Central Executive Administration (BCEA) aus der Taufe gehoben, eine Koalition aus verschiedenen Fraktionen der burmesischen Unabhängigkeitsbewegung. Vom japanischen Generalstab hatte die BCEA den Befehl erhalten, ausreichend Arbeitskräfte für die burmesische Teilstrecke der Thailand-Burma-Bahn zur Verfügung zu stellen. Tatsächlich befürwortete die BCEA, wie übrigens auch namhafte burmesische Intellektuelle und antibritische Widerstandskämpfer, das Eisenbahnprojekt der Japaner anfänglich und warb dafür in nationalen Kampagnen über 70 000 Arbeitswillige.

Unterstützung der Intellektuellen

Wie stark auch immer die projapanischen Gefühle in Burma gewesen sein mochten - sie veränderten sich schlagartig, als Japan in grossem Stil burmesische Romusha, zwangsrekrutierte Arbeiter und Bauern, zum Bau der Bahn abkommandierte. Inzwischen hatte Burma am 1. August 1943 formell seine «Unabhängigkeit» unter japanischer Oberaufsicht erklärt, und die Zwangsrekrutierungen erschienen als Demütigung der jungen Nation. Ehemalige Sympathisanten und Kollaborateure der japanischen Militärverwaltung gingen nun zunehmend auf Distanz zu den Besatzern, ab August 1944 riefen die von Aung San geführte Antifaschistische Volksfreiheitsliga (AFPFL) und die burmesische Armee sogar öffentlich zum Guerillakampf gegen die Japaner auf. Aung San war übrigens der Vater der heutigen Oppositionspolitikerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Von den insgesamt etwa 175 000 burmesischen Zwangsrekrutierten konnten letztlich nur knapp 90 000 Personen zum Bau an der Eisenbahn eingesetzt werden.

Auf thailändischer Seite griffen die Japaner zunächst auf holländische, australische, US-amerikanische und britische Kriegsgefangene zurück, die ihnen bei der Einnahme und militärischen Besetzung der malaiischen Halbinsel, Singapurs und Niederländisch-Indiens (Java, Sumatra sowie Borneo) zu Beginn des Jahres 1942 in die Hände gefallen waren. Von insgesamt etwa 62 000 dieser Gefangenen sollten mehr als 12 600 die Tortur nicht überleben. Ihnen folgten jedoch schon bald dreimal so viele Asiaten, fast 200 000 Romusha, Zwangsarbeiter und Kulis aus Niederländisch-Indien, Singapur, Malaya und anderen Regionen.

Wärter mit Bajonetten

Ein 2003 eröffnetes Museum, das Thailand-Burma-Eisenbahnzentrum in Kanchanaburi, dem thailändischen Hauptquartier für den Bau der Bahn, schildert die Lebensbedingungen dieser Leute auf eindringliche Weise. Seltene Fotos, von japanischen Kameraleuten heimlich aufgenommen, zeigen beispielsweise, wie japanische Wärter mit Bajonetten die Zwangsarbeiter in der Morgendämmerung in den Dschungel trieben. Dort mussten sie Urwaldbäume fällen und zu Eisenbahnschwellen zersägen, Steine aus den Bergen brechen und zu Schotter zerkleinern, Schienenstränge auf die Strecke schleppen und mit schweren Hämmern festnageln. Zur Verfügung stand ihnen meist nur einfaches Handwerksgerät - Spitzhacken, Haumesser, Schaufeln und aus Metallschrott gefertigte Nägel. Wer nicht schnell genug arbeitete, wurde ausgepeitscht, und wer zu fliehen versuchte, wurde hingerichtet. Ein Kurzvideo des Museums, aus unterschiedlichen historischen Filmschnitten zusammengestellt, dokumentiert vor allem das Schicksal von Malaien und Indern beziehungsweise Tamilen aus Singapur. Diese wurden in der Regel auf offener Strasse von der japanischen Militärpolizei gekidnappt, gewaltsam in Zugwaggons gesperrt, in denen sie - zusammengepfercht wie in einem Viehtransport - tagelang auf stählernen Böden kauern mussten. In Kanchanaburi angekommen, wurden sie in langen Bambushütten untergebracht, deren Böden sich in der Regenzeit in glitschigen Morast verwandelten. Malaria, Dysenterie und Cholera rafften täglich Hunderte von Menschenleben hinweg.

«Von den Leiden, Krankheiten, Demütigungen und Schikanen waren auch alliierte Kriegsgefangene betroffen, von denen insgesamt über 12 600 Personen die Strapazen nicht überlebten», sagt der Australier Rod Beattie, Forschungsdirektor des Thailand-Burma-Eisenbahnzentrums, im Gespräch mit der WOZ, «doch in ungleich grösserem Masse traf es asiatische Zwangsarbeiter. Die Asiaten stellten achtzig Prozent der Arbeiter und neunzig Prozent der Opfer. Etwa 100 000 von ihnen starben - überwiegend Malaien, Tamilen und Burmesen.»

Alles vernichtet

Rod Beattie hat die alte Bahntrasse auf thailändischer Seite in den vergangenen Jahren abgesucht, um Spuren zu finden. Dabei legte er über 2000 Kilometer zu Fuss zurück. Allein auf thailändischem Gebiet, sagt er, hätten die Japaner während des Baus der Eisenbahn zwischen neunzig und hundert Arbeitslager eingerichtet. Etwa dreissig Lager seien auf burmesischer Seite dazugekommen. Als die Bahn im Herbst 1943 fertiggestellt war, mussten rund 30 000 Gefangene in zahlreichen Camps entlang des Schienenstrangs Wartungsarbeiten verrichten und dafür sorgen, dass die Lokomotiven ausreichend Kohle erhielten.

Gegen Ende des Krieges zerstörten alliierte Kampfflugzeuge die Bahntrasse. Alliierte Bodentruppen begannen, Überlebende der «Todesbahn» einzusammeln und in Sicherheit zu bringen, während das japanische Kommando in und um Kanchanaburi alles vernichten liess, was an Aufzeichnungen vor und während des Baus der Bahn angefertigt worden war. Auch sämtliche Akten über asiatische Zwangsarbeiter wurden verbrannt. Während die Toten und Überlebenden aus dem Westen meistens namentlich bekannt waren, oft auch Aufzeichnungen anfertigten, die nach dem Krieg systematisch gesammelt wurden, während ihre sterblichen Überreste auf den Kriegsfriedhöfen in Kanchanaburi, Chungkai und Thanbyuzayat ordentlich bestattet wurden, verschwanden die asiatischen Zwangsarbeiter nahezu spurlos aus der Geschichte.

Die vergessenen Romusha

Nach Kriegsende holten die Alliierten ihre Leute zurück, um die asiatischen Romusha kümmerten sie sich nicht. Deren Leichen hatten die Japaner im Dschungel verscharrt. Für die Überlebenden interessierte sich niemand. Nur sehr wenige Romusha blieben in Thailand, wohin sie verschleppt worden waren. Die meisten nahmen Wochen und Monate neuerlicher Strapazen auf sich, um als blinde Passagiere in Zügen und Booten und nach langen Fussmärschen in ihre Heimat zurückzukehren. Doch dort erregten sie erst recht kein Interesse; ob in Malaya, Niederländisch-Indien, China oder Indien - überall waren jetzt antikoloniale Befreiungskämpfe im Gange, es herrschten politische und soziale Unruhen. Für das den Romusha zugefügte Unrecht und Leid erhielt keiner jemals irgendeine Entschädigung - sie wurden schlichtweg vergessen.

Und die Brücke am Kwai?

«Die Thailand-Burma-Bahn war ein Projekt, bei dem europäische, australische und US-amerikanische Kolonialherren unter das Joch von Asiaten gerieten», sagt Rod Beattie, der hauptberuflich als Kurator der Commonwealth-Kriegsfriedhöfe in Kanchanaburi und Chungkai arbeitet. «Europäer, die Europäer unterwarfen, hat es immer gegeben und auch Asiaten, die andere Asiaten unterdrückten. Aber es gab nur sehr wenige Fälle, in denen Asiaten Europäer dominierten.» Bei der Thailand-Burma-Bahn jedoch gerieten sogar Angehörige mehrerer europäischer Länder unter japanische Herrschaft. «Das haben die Europäer nicht vergessen», sagt Beattie. «Dass die Japaner auch Asiaten massenhaft geschunden haben, ist für die, die nicht in Asien leben und keine Asiaten sind, ziemlich irrelevant.»

Mythen, Missverständnisse und selektive Wahrnehmung: Davon profitiert das heutige Kanchanaburi. Lange Zeit gab es am Ort des ehemaligen japanischen Zentralkommandos lediglich zwei Museen, in denen ausschliesslich an die westlichen Opfer und an die japanischen Täter erinnert wurde. Die asiatischen Romusha fanden dort keine Erwähnung. Auf dem Kriegsfriedhof von Kanchanaburi haben 7000 und auf jenem des nahen Chungkai annähernd 1800 alliierte Soldaten ihre letzte Ruhestätte gefunden. Auf den meisten Grabsteinen sind die Namen der Verstorbenen eingraviert. Solche mit der Inschrift «Deren Namen nur Gott allein kennt» verweisen auf namenlose asiatische Opfer. Diese wären auch hier, 62 Jahre nach Kriegsende, weitgehend vergessen, wenn nicht just gegenüber dem Kriegsfriedhof in Kanchanaburi seit 2003 das Thailand-Burma-Eisenbahnzentrum an ihr Schicksal erinnern würde.

Kanchanaburi liegt am Zusammenfluss Menam Kwae Noi und des Menam Kwae Yai, des kleinen und grossen Flusses Kwae, der ab hier Mae Khlong heisst. Über den Fluss liessen die Japaner im Zweiten Weltkrieg von asiatischen Zwangsarbeitern und alliierten Kriegsgefangenen zunächst eine Holz-, danach jedoch eine Stahlbrücke bauen. Jene Brücke, die im Film «Die Brücke am Kwai» - der weitgehend im heutigen Sri Lanka gedreht wurde - eindrucksvoll in die Luft gesprengt wird, gab es zwar nie, doch die Tourismusindustrie hält den Mythos unermüdlich aufrecht: Ausländische und inländische Besucher lassen sich damit anziehen, und thailändische Geschäftsleute freuen sich über die Neugier.