Linke Medien (7): Italiens Baustellen

Nr. 22 –

In wenigen Tagen erscheint die Zeitschrift «Carta» in neuer Form. Das im Vierfarbendruck produzierte, achtzig Seiten starke Wochenmagazin wird in eine kleinere wöchentliche Ausgabe und in ein Monatsmagazin von hundert Seiten umgebaut. Eine Sparübung oder ein neues Konzept? «Sowohl als auch», sagt Pierluigi Sullo, Leiter des etwa zwanzigköpfigen Kollektivs. «Wir sparen bei der wöchentlichen Ausgabe rund vierzig Prozent der Kosten ein. Gleichzeitig nutzen wir eine Marktnische, indem wir am Montag erscheinen.» Montags sind die Tageszeitungen «il manifesto» und «Liberazione» nicht im Verkauf. «Mit dem neuen Monatsmagazin haben wir den Ehrgeiz, 'Carta' zu einer Art 'Social Geographic' auszubauen.»

«Carta» und die Webseite carta.org mit ihren zahlreichen Initiativen sind Ausdruck der seit 2001 rasch angewachsenen italienischen Antiglobalisierungs- und Antikriegsbewegung. Ihre Aktionsfähigkeit gründet nicht zuletzt auf einem kleinen Universum gut vernetzter Webseiten und alternativer Radio- und TV-Angebote. Solid recherchierte Reportagen über die «Cantieri sociali» (die sozialen Baustellen) sind das Markenzeichen von «Carta», das an rund 3000 AbonnentInnen geht und anfänglich als bescheidene Beilage der Tageszeitung «il manifesto» erschienen war.

Für den Relaunch brauchen die «Carta»-MacherInnen 100 neue GenossenschafterInnen (450 sind es bisher). Ausserdem schlägt sich die Genossenschaft mit der Bürokratie herum: Das Pressegesetz von 1948 fördert Zeitungen auf vielfältige Weise; so stehen Mediengenossenschaften nach drei Jahren Produktionskostenzuschüsse zu, wenn sie eine ausgeglichene Bilanz vorweisen können. In einem aktuellen Gesetzesentwurf will die Regierung solche Beiträge an kleine Verlagsgenossenschaften abbauen, und wie so oft im heutigen Italien wird versucht, den einen oder anderen Passus schon mal vorwegzunehmen.

Bei den linken Tageszeitungen teilen sich drei den Markt: «l’Unità» mit einer Druckauflage von 140000, «il manifesto», die wie die WOZ «Le Monde diplomatique» herausgibt (Druckauflage 90000) und «Liberazione», das Parteiblatt der Rifondazione Comunista. Die Druckauflage sagt jedoch wenig über die verkaufte Auflage aus, da die Zeitungen zu 85 Prozent am Kiosk verkauft werden. «Il manifesto» zum Beispiel verkaufte in den ersten Monaten dieses Jahres durchschnittlich 33000 Exemplare. (Seit zwei Jahren erscheint auch die Tageszeitung «il Riformista», herausgegeben vom Berufslobbyisten Claudio Velardi, der rechten Hand von Massimo D’Alema zu dessen Zeit als Ministerpräsident. Das schmalbrüstige Blatt verkauft sich aber offenbar kaum.)

«Il manifesto» wurde von Luigi Pintor, Rossana Rossanda und Valentino Parlato 1971 gegründet, nachdem ihre Gruppe wegen Fraktionismus aus der kommunistischen Partei PCI ausgeschlossen worden war. Obwohl die starke Mobilisierung von Bewegung und Gewerkschaften einige Höhepunkte brachte, kämpft die Zeitung seit 2001 gegen einen schleichenden Verkaufsverlust. Neben einer generellen Krise der Printmedien sieht Chefredaktor Gabriele Polo den Grund in einer der italienischen Presse eigenen Besonderheit. Um der verschärften Konkurrenz zu begegnen, sind die grossen Verlage immer mehr dazu übergegangen, DVDs oder Bücher mitzuverkaufen. «Diese Politik wollen und können wir uns nicht erlauben», sagt Polo. Der aktuelle Report des Zeitungsverlegerverbandes bestätigt den Trend: Das Werbeanhängsel, mit dem sich innert Kürze etwa eine Sammlung von Filmen zu einem bescheidenen Aufpreis zusammenstellen lässt, wird darin als massgeblicher Faktor für Gewinnwachstum beurteilt.

«Da wir keine Bettelkampagnen führen wollen, produzieren wir Jahr für Jahr auf Risiko», erklärt Polo die Lage des verschuldeten Unternehmens, das aber immerhin die in Italien generell kleine Zahl seiner AbonnentInnen erhöhen konnte. Um Verluste zu kompensieren, denkt man über eine Rekapitalisierung der Aktiengesellschaft nach, die auch den Buchverlag und die Musikproduktionen kontrolliert. Sie gehört zu 75 Prozent der Kooperative der Belegschaft. Den Rest teilen sich KleinaktionärInnen, linke und gewerkschaftliche Gruppen, aber auch einige «demokratische Patrons», wie Polo erklärt.

Es gab eine Zeit, da war für Italienreisende das «Unità»-Fest als Termin stets gesetzt. Landauf, landab bereiteten die GenossInnen eine Woche lang Pasta zu, organisierten Debatten und boten ihre Bands auf. Die altehrwürdige, von Antonio Gramsci 1924 gegründete Zeitung der PCI schaffte mit dieser Mobilisierung einen guten Teil ihrer Finanzierung. Mit etwas weniger Enthusiasmus gibt es das «Unità»-Fest auch heute noch. Italiens linkes Zeitungsmonument ging im Juli 2000 in Konkurs und auferstand wenige Monate später dank der Initiative einer Unternehmensgruppe um Alessandro Dalai (Verlag Baldini & Castoldi). Die neue Aktiengesellschaft der mit den LinksdemokratInnen noch immer eng verbundenen Zeitung erregte zwei Jahre später das Interesse von Luigi Crespi, Chef des Umfrageinstituts Datamedia, Berlusconi-Freund und ehemaliges PCI-Mitglied. Seine Absicht, mit der Übernahme eines Aktienpakets von einer Million Euro einzusteigen, fand jedoch kein Gehör.

Dies ist der siebte Beitrag unserer Serie «Linke Medien in Europa». Bisher erschienen Texte zu Frankreich (16/05), Österreich (17/05), Dänemark (18/05), der Türkei (19/05), Norwegen (20/05), Polen (21/05).