Referendum: Das Killer-Dossier und die SVP

Nr. 14 –

Mit mehr als 80 000 Unterschriften haben die Schweizer Demokraten (SD) und ihre Partner das Referendum gegen die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Staaten zustande gebracht. Dazu kommen noch mehrere tausend Unterschriften des trotzkistischen Mouvement pour le Socialisme (MPS).

Die Schweizer Demokraten befürchten die massenhafte Einwanderung billiger Arbeitskräfte aus Europa und eine Verarmung der Schweizer Bevölkerung. Wegen derartiger Befürchtungen, die auch an der eigenen Basis zu finden sind, haben die Gewerkschaften auf eine Verschärfung der flankierenden Massnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping gedrängt. Die Gewerkschaft Unia hat bei ihrem Gründungskongress im Herbst 2004 diese Forderung mit einer Referendumsdrohung untermauert.

Das hat gewirkt. Wegen der grossen wirtschaftlichen und politischen Bedeutung verhielten sich die Bürgerlichen gegenüber den Forderungen der Gewerkschaften äusserst kulant und sorgten dafür, dass die flankierenden Massnahmen ernst genommen werden. Mehr Arbeitsinspektoren wurden bewilligt und die Hürden gesenkt, um Gesamtarbeitsverträge für eine Branche allgemein gültig zu erklären. Auf Bundesebene macht Bundesrat Joseph Deiss Druck, damit die Kantone ihre Kontrolltätigkeit auch wirklich ernst nehmen. Im Oktober hat er zudem Jean-Luc Nordmann, Leiter der Direktion für Arbeit beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), mit der Leitung einer Taskforce beauftragt.Nicht ganz überraschend fällt nun eine erste Bilanz aus dem Seco positiv aus. Nach Anlaufschwierigkeiten würden die Massnahmen greifen, heisst es im Bericht, der am letzten Freitag veröffentlicht worden ist. Im zweiten Halbjahr 2004 hätten die mit der Überwachung der flankierenden Massnahmen beauftragten Tripartiten Kommissionen (TPK) insgesamt 3500 Kontrollen durchgeführt und dabei rund 14 000 Personen überprüft. Dabei hätten sie 812 Verstösse gegen die flankierenden Massnahmen sowie weitere 602 Verstösse festgestellt.

Gemäss Angaben der Gewerkschaften ist die Bereitschaft zur Umsetzung nicht überall gleich hoch. Insbesondere im Kanton Zürich seien die Massnahmen ungenügend. So seien die von der Tripartiten Kommission verlangten zusätzlichen Stellen von der zuständigen Regierungsrätin Rita Fuhrer bislang noch nicht bewilligt worden.

Doch von der Zürcher Volkswirtschaftsdirektorin ist auch nicht zu erwarten, dass sie die flankierenden Massnahmen unterstützt. Sie kann es sich allerdings so wenig wie die SVP leisten, offen gegen die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit anzutreten. In einer Rede vor der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft des Kantons Zürich bezeichnete sie die Forderung nach zusätzlichen Arbeitsinspektoren - «Polizisten», so Fuhrer - als weitere administrative Belastung und Bürokratisierungswut. Und Gesamtarbeitsverträge unter erleichterten Bedingungen als allgemein verbindlich zu erklären, sei ein Schlag gegen die Vertragsfreiheit. Kommt dazu, dass Fuhrer eine Gegnerin von Schengen/Dublin ist und auch im Komitee sitzt, das das Referendum gegen die Polizeizusammenarbeit lanciert hat. Politisch ist es für die SVP sinnvoll, den Alleingang zu fordern und gleichzeitig nichts zu unternehmen, was den Leuten die Angst vor einer stärkeren Integration in der EU nähme.

Die Abstimmung am kommenden 25. September ist für die Beziehungen der Schweiz zur EU viel wichtiger als die Abstimmung über die Abkommen von Schengen/Dublin, die im Juni stattfinden wird. Anders als Schengen/Dublin ist die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit eine Ergänzung zu den ersten bilateralen Verträgen mit der EU. Dort sind mit einer so genannten Guillotine-Klausel alle Dossiers miteinander verknüpft. Scheitert also die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit, dann stehen die Bilateralen I auf der Kippe - und dann haben Politik und Wirtschaft ein echtes Problem.