US-Wahlen: Gefoppt

Kennen Sie diesen Witz schon: Ein Reporter interviewt George Bush zur Lage der Nation. «Was sagen Sie zur Wirtschaft?», fragt er. «9/11», antwortet der Präsident. «Und zur Umwelt?» – «9/11». «Zur Arbeitslosigkeit?» – «9/11». «Zur Gesundheitsversorgung?» – «9/11». «Zur Erziehung?» – «9/11». «Zu 9/11 selber?» – «24/7», kommt es prompt zurück: 9/11 ist jederzeit, rund um die Uhr. Man möchte so gerne von etwas anderem sprechen, aber man kann es nicht.

Vor Jahren hat sich diese Wochenzeitung in finanzieller Bedrängnis einen nicht ganz taufrischen Werbescherz geleistet. Unter dem Foto eines jungen herzigen Vierbeiners mit der Pistole an der Schläfe stand «Wenn Sie unser Blatt nicht abonnieren, erschiessen wir diesen Hund.» Die LeserInnen fanden das gar nicht lustig. Mit Tierkindern und Todesdrohungen ist nicht zu spassen. Die Aboaktion war ein Flop. Warum nur liegt ein George Bush in den Umfragen immer noch vorn, wo er doch zwecks Eigenwerbung seit drei Jahren schamlos mit dem Leben nicht nur von herzigen Hündchen, sondern von uns allen spielt?

Mit fortschreitendem Wahlkampf ist dieses Abstimmen der Terrorgefahr auf die politischen Bedürfnisse der Regierung Bush immer intensiver und absurder geworden. Nicht unerwartet hat die republikanische Regierung die allgemeine Terrorwarnstufe in den Tagen nach dem Demokratischen Konvent erhöht; zu einem Zeitpunkt, wo der frisch nominierte Präsidentschaftskandidat jeweils ein paar Punkte in den Umfragen zulegt. Doch nicht genug: Als John Kerry den SeniorInnen an einer Wahlveranstaltung Zugang zu billigeren, aus Kanada importierten Medikamenten versprach und damit viel Beifall erntete, trat prompt ein Mitglied der Bush-Gesundheitsbehörde auf den Plan und verkündete, man habe Hinweise darauf, dass al-Kaida die AmerikanerInnen mittels importierter Medikamente vergiften wolle. Der amtierende und wieder kandidierende Vizepräsident Dick Cheney geht noch einen Schritt weiter: «Wenn ihr am 2. November falsch wählt, besteht die Gefahr, wieder attackiert zu werden, und zwar diesmal verheerend», sagte er kürzlich im Bundesstaat Iowa. George Bush oder Usama Bin Laden, Freiheit oder Tod – so einfach ist das.

Und was tut der demokratische Gegner? Er wehrt sich, versucht über die Wirtschaft zu reden, die Umwelt, die Arbeitslosigkeit, die Gesundheitsversorgung – und wechselt dann doch bloss das Hündchen aus. Wegen Bushs verfehlter, auf den Irak fixierter Sicherheitspolitik, verkündet John Kerry dieser Tage, drohe den USA ein «nukleares 9/11» von Seiten Nordkoreas. Was stimmt: Atomare Waffen sind immer und überall katastrophal gefährlich; und auch Al-Kaida-Pläne für weitere terroristische Anschläge in den USA sind nicht bloss ein Witz. Aber die so oft gefoppte Bevölkerung nimmt die Warnungen – und die Warner – nicht mehr ernst. Was nicht heisst, dass nicht doch die Angst regiert.