Durch den Monat mit Sarah Bütikofer (Teil 2): Ist Politik in der Schweiz eine Mackersache?

Nr. 41 –

Noch nie war der Anteil der Kandidatinnen für den National- und Ständerat so hoch wie bei den anstehenden Wahlen. Politikwissenschaftlerin Sarah Bütikofer findet das erfreulich – versteht aber alle, für die Politik nichts ist.

Politologin Sarah Bütikofer: «Wenn schon, ist die Politik eine Macker- und Mackerinnensache.»

WOZ: Frau Bütikofer, die Frauenrepräsentation in Bundesbern ist in den neunziger Jahren stark gestiegen, scheint aber seit etwa zwanzig Jahren zu stagnieren. Was ist bloss los?
Sarah Bütikofer: Wenn nicht über längere Zeit gezielt Kandidatinnen aufgebaut werden, werden auch keine Politikerinnen gewählt. Das gilt für alle Parteien und alle Kantone.

Wurde das vernachlässigt?
Davon muss man zumindest in einigen Parteien und Kantonen ausgehen. Denn Wählerinnen und Wähler diskriminieren Frauenkandidaturen nicht mehr systematisch. Viel entscheidender ist, ob Kandidierende – Frauen wie Männer – einen Bekanntheitsgrad und Leistungsausweis aufweisen. Um also den Frauenanteil hoch zu halten, sind Aufbauarbeit und langfristige Planung gefragt. Neben dem Aufweichen festgefahrener gesellschaftlicher Strukturen natürlich, woran wir alle arbeiten müssen.

Immerhin: Auf den Listen für die anstehenden Nationalratswahlen finden sich vierzig Prozent Kandidatinnen. So hoch war der Anteil noch nie. Ein Frauenstreikeffekt?
Das kann man nicht genau messen. Die tiefe Frauenrepräsentation wird schon seit einiger Zeit wieder breiter thematisiert. Die letztes Jahr lancierte Kampagne «Helvetia ruft!» hat Parteien ganz konkret aufgefordert, Frauen zu nominieren, und Frauen ermutigt zu kandidieren. Die Wahl zweier Bundesrätinnen im letzten Dezember, das gute Abschneiden vieler Frauen bei kantonalen Wahlen im Frühling sowie der Frauenstreik vom Juni haben sicher zum deutlich gestiegenen Kandidatinnenanteil beigetragen. Ob am Ende unter den Gewählten auch so viele Frauen sind, wird sich zeigen. Sie müssen auch gute Listenplätze haben, um gewählt zu werden. Zudem ist der Anteil bisheriger Nationalräte, die wieder kandidieren, sehr hoch.

Ist Politik in der Schweiz also eine Mackersache?
Wenn schon, eine Macker- und Mackerinnensache. Die Unterschiede zwischen den Frauen und Männern, die Politik machen, sind kleiner als die Unterschiede zwischen denjenigen Menschen, die sich in der Politik engagieren, und denjenigen, die das nicht wollen – oder die gar keine Möglichkeit haben, sich Zugang zu politischen Ämtern zu verschaffen. Politik ist ein spezielles Betätigungsfeld, in dem man sich wohlfühlen muss. Viele Politikerinnen erzählen denn auch, dass ihnen erst im ersten Amt, «on the job» sozusagen, bewusst wurde, dass ihnen die politische Arbeit liegt. Auf lokaler Ebene stünden da viele Türen offen, vielerorts wird händeringend nach Gemeinderätinnen gesucht.

Ich verstehe Frauen, die nicht so viel Lebenszeit in einem Milieu verbringen wollen, in dem nach wie vor ältere Männer den Ton angeben.
Ich verstehe auch alle Männer, die das nicht wollen. Eine grössere Diversität in der Politik käme aber wohl allen Menschen zugute, die heute schwach repräsentiert sind.

Das heisst, wir sollen Frauen nicht nur deshalb wählen, weil wir eine angemessene Repräsentation wollen, sondern auch, weil wir dann eine bessere Politik bekommen?
Eine möglichst ausgeglichene Repräsentation der Geschlechter mag ein normatives Ziel sein. Und natürlich ist es Ansichtssache, was eine bessere oder eine schlechtere Politik ist. Aber da wir ja wissen, wie die Politik – und überhaupt die Welt – aussieht, wenn in Machtpositionen vornehmlich Männer sitzen, könnten wir es vielleicht ja wagen, die Verhältnisse gezielt etwas zu verändern.

Liegt es denn einzig an den linken Parteien, an den Verhältnissen etwas zu ändern?
Aus ideologischen Gründen waren die linken Parteien punkto Frauenrepräsentation schon früh bereit, spezifische Fördermassnahmen umzusetzen. Langfristig zahlt sich das aus, linke Parteien treten heute mit zahlreichen qualifizierten und politerfahrenen Frauen an. Auf der anderen Seite hatte etwa die SVP, die in den letzten zwanzig Jahren viele Wähleranteile und Parlamentssitze gewonnen hat, immer nur wenige Frauen in ihren Reihen.

Als Gegenbeispiel könnte man die Grünliberalen erwähnen: Die GLP trat zwar lange nicht speziell als Frauenförderungspartei in Erscheinung, aber ihr Programm spricht offensichtlich viele engagierte Frauen mit politischen Ambitionen an, die von den GLP-Wählerinnen und -Wählern dann auch unterstützt werden. Es gilt auf alle Fälle: Wenn jede Partei ein relativ ausgeglichenes Geschlechterverhältnis anstreben würde, dann hätten wir das auch in den Parlamenten. Für andere Gruppen, die ebenfalls schwach repräsentiert sind, gilt das sehr wahrscheinlich nicht so ohne Weiteres.

Welche Gruppen meinen Sie?
Das Parlament repräsentiert in erster Linie die tatsächliche Wählerschaft und nicht die ganze Bevölkerung. Jüngere Menschen gehen seltener wählen als ältere. Zudem weisen generell weniger gut Gebildete, Einkommensschwache und Personen in schwierigen sozialen Verhältnissen eine tiefere Wahlbeteiligung aus. Von denen, die gar nicht wählen dürfen, ganz zu schweigen.

Sarah Bütikofer (43) ist und war immer parteilos. Sie sei ganz allgemein «nicht so der Typ für Vereine».