Chaos im Irak: Am Scheidepunkt

Nr. 41 –

Die Proteste im Irak markieren einen Wendepunkt. Nicht nur wegen ihrer Grösse: Zehntausende protestieren seit vergangenem Dienstag in Bagdad, Nasirija, Nadschaf und in einigen Provinzen. Auch nicht nur wegen der brutalen Antwort der Sicherheitskräfte: Über 100 DemonstrantInnen wurden erschossen, über 6000 verletzt. Sondern vor allem, weil viele IrakerInnen endgültig das Vertrauen in das politische System verloren haben. Nach Jahren, in denen die aktuelle Regierung wie auch ihre Vorgängerregierungen Reformen versprachen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Sanierung der Infrastruktur, ist kaum etwas passiert. Die mehrheitlich jungen Menschen, die gegen die Korruption in der Politik demonstrieren, haben genug: Sie fordern keine Reformen, sondern den Rücktritt der Regierung.

Die Antwort des Premierministers Adil Abd al-Mahdi – mehr Reformen – wird die Protestierenden kaum überzeugen. Vor allem, weil gleichzeitig die Armee, die Polizei und diverse Milizen mit scharfer Munition schossen. In einem Video, das auf Twitter kursiert, wird ein Demonstrant, während er in eine Kamera spricht, von einer Kugel getroffen. Die Wut der Menschen auf den Strassen wird so weiter befeuert – und das Gefühl, dass die Regierung nicht im Interesse der Bevölkerung handelt, sondern allein für den eigenen Machterhalt und im Interesse des Iran. Den Nachbarstaat verdächtigen manche, die Brutalität innerhalb des Sicherheitsapparats voranzutreiben.

Diese Ausgangslage verheisst nichts Gutes. Die Proteste könnten mit Gewalt erstickt werden, was an den Problemen im Land natürlich kaum etwas ändern würde: Die nächste Protestwelle wäre nur eine Frage der Zeit. Zudem könnte eine solche Antwort der Regierung zu einer Radikalisierung der bisher weitgehend friedlichen Proteste führen – und zu einer Situation, in der die Protestierenden nicht mehr bereit sind, mit den herrschenden PolitikerInnen zu verhandeln. Dass allerdings diese bereit wären, auf die Forderungen nach einem wirklichen Wandel einzugehen, scheint zumindest derzeit ohnehin unwahrscheinlich.