Konzertbusiness: Kapitulation vor der Industrie

Nr. 29 –

Ende 2018 kauft der grösste Veranstaltungskonzern der Welt in der Schweiz erstmals eine kleine Konzertagentur, die ihren Ursprung in der alternativen Szene hat. Was hat Live Nation vor, und wie funktioniert die Konzertindustrie?

Abkassieren mit Stadionkonzerten: Metallica im Mai 2019 im Zürcher Letzigrund. Foto: Ennio Leanza, Keystone

Wir treffen uns in der Lobby des Zürcher Fünfsternehotels Park Hyatt, auf Einladung von zwei Geschäftspartnern, die sich missverstanden fühlen: Matt Schwarz, Geschäftsführer Deutschland, Österreich, Schweiz von Live Nation – dem grössten Veranstaltungskonzern der Welt –, und Christian Gremelmayr vom kleinen Schweizer Konzertveranstalter Mainland Music. Ende 2018 hat Live Nation Mainland gekauft und in der hiesigen Musikszene ein kleines Erdbeben ausgelöst. Der US-Konzern wird immer wieder für seine Profitgier und seine übermässige Marktmacht kritisiert. Schwarz und Gremelmayr wollen dem Vorurteil des bösen Grosskonzerns entgegenwirken.

In der Schweiz hat Live Nation bisher nur in der grössten Liga gespielt. 2017 übernahm der Konzern mit Sitz im kalifornischen Beverly Hills das Openair Frauenfeld, das grösste Hip-Hop-Festival Kontinentaleuropas, und er hat einige Stadionkonzerte veranstaltet, kürzlich etwa Metallica und Bon Jovi im Zürcher Letzigrund. Mainland hingegen veranstaltet vor allem Clubkonzerte für ein paar Hundert Leute, mit denen sich kein grosses Geld verdienen lässt, oder Kleinstkonzerte in den Zürcher Bars Eldorado und Hafenkneipe. Wieso interessiert das einen global tätigen Konzern wie Live Nation, der jährlich zehn Milliarden Franken umsetzt? Schwarz spricht nicht von Geld, sondern von Leidenschaft, ja gar von Kulturförderung: «Wir sind ‹music lovers› und eine ‹artist friendly company›. Mit Mainland haben wir einen Partner gefunden, der den lokalen Markt kennt und uns auch in der Schweiz ermöglicht, junge Künstler zu fördern.»

Mit geballter Macht

Das globale Konzertgeschäft zeichnet sich durch seine krasse Ungleichheit aus: Auf 5 Prozent der KünstlerInnen entfallen 85 Prozent der Einnahmen. Entscheidend für das Geschäftsmodell von Live Nation ist, dass der Konzern nicht nur passiv die oberen 5 Prozent abschöpft, wie die Grossen das früher gemacht haben, sondern den Übergang vom unprofitablen in den profitablen Bereich selber kontrollieren will. Michael Rapino, seit Beginn an der Spitze von Live Nation und 2017 mit einem Einkommen von siebzig Millionen Dollar einer der bestbezahlten Manager der USA, hat erkannt: Nur aus der Zentrale lässt sich das globale Konzertbusiness nicht dominieren, Live Nation muss bis in die Verästelungen lokaler Märkte eindringen. Dabei geht es auch um Know-how, Image, Netzwerke und Geschmack.

In seinem neuen Buch «Vom Imperiengeschäft» beschreibt der Autor Berthold Seliger, wie wenige Konzerne ihr Oligopol im globalen Konzertgeschäft systematisch ausbauen. Als grösster von ihnen beschäftigt Live Nation 44 000 Leute, veranstaltet pro Jahr in 40 Ländern 30 000 Konzerte, betreibt über hundert Festivals. Mit der geballten Macht seines Aktienkapitals schluckt Live Nation weltweit Festivals, Agenturen und Veranstaltungsorte. Doch reich wird der Konzern vor allem mit dem Tickethandel – seit 2010 gehört ihm mit Ticketmaster der grösste Tickethändler der Welt – sowie mit Sponsoring und Werbung.

Wenn man sich mit Leuten aus der Schweizer Musikszene unterhält, erzählen sie von regen Diskussionen und von Verunsicherung. Die Irritation kommt daher, dass der Deal zwischen Mainland und Live Nation für die Schweiz eine Grenze überschritten hat: Mit Mainland wurde erstmals ein kleiner Veranstalter aufgekauft, der seinen Ursprung im alternativen Musikbereich hat. Mainland war 2012 als Zusammenschluss von fünf Veranstaltern gegründet worden, darunter Christian Gremelmayr, der den Zürcher Rockclub Abart leitete, und Martin Schrader, der mit Redda einst fast sämtliche Punkbands in der Schweiz buchte.

Beim Treffen im Park Hyatt erklärt Gremelmayr, warum es zum Verkauf von Mainland kam: «Wir waren zwar finanziell gut aufgestellt, doch der Markt verändert sich, und in ein paar Jahren hätte es gut sein können, dass wir Leute hätten entlassen müssen.» Das Problem: «Konzerte bis zu einem Level von etwa tausend Zuschauern rentieren immer seltener, sie sind eigentlich nur noch ein reines Investment in die Künstler und in zukünftige Shows. Für die grösseren Konzerte arbeiten immer mehr Künstler mit internationalen Agenturen zusammen, die eine ganze Tournee europaweit organisieren können. Als kleiner, nationaler Veranstalter können wir da nur verlieren.» Gremelmayr nennt als Beispiel den Rapper Post Malone, dessen erstes Schweizer Konzert Mainland im «Dynamo» veranstaltete. Das zweite spielte er dann im Hallenstadion, veranstaltet von Live Nation.

Freiwillige Kapitulation

Geht es noch um etwas anderes als ums reine Geschäft, wenn Veranstalter sich um einen Musiker wie Post Malone streiten? Klar ist: Die Konsolidierung in der Musikindustrie wird auch in der Schweiz voranschreiten. Aus der Szene erfährt man: Die Konzerne machen immer wieder Kaufangebote, weitere Übernahmen sind wahrscheinlich. Auch von Live Nation? «Wir sind flexibel», sagt Schwarz. «Ich sage immer: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Wir sondieren den Markt und suchen immer gute Leute.»

Bedeckt hält man sich bei möglichen Betroffenen. In der Szene wird etwa vermutet, dass der deutsche Konzern CTS Eventim, der Mainland auch ein Angebot gemacht hatte, als Nächstes die ähnlich grosse Agentur Gadget kaufen wird. Bei Gadget heisst es, man wolle zu dem Thema keine Stellung beziehen. Auch vom Zürcher Festival M4Music, das seine Zusammenarbeit mit Mainland vermutlich wegen des Deals mit Live Nation kürzlich beendet hat, kommt keine Antwort. Und Christof Huber, Leiter des Openair St. Gallen und Sprecher von Wepromote, einem Zusammenschluss unabhängiger Schweizer Agenturen und Festivals, will keinen Kommentar abgeben. Das mag überraschen, denn Wepromote scheint gerade auch darum gegründet worden zu sein, um sich gegen die Konkurrenz internationaler Konzerne zu schützen. 2015 sagte Huber im «St. Galler Tagblatt»: «Mit dem Zusammenschluss unserer Firmen wollen wir mehr Verhandlungsgewicht gegenüber den Agenten grosser Künstler haben und die Unabhängigkeit als Schweizer Veranstalter langfristig sichern.»

Die Musikindustrie ist im Umbruch. Weil KünstlerInnen mit Tonträgern kaum noch Geld verdienen, ist der Konzertmarkt immer härter umkämpft. Konzerne wie Live Nation machen aus dem Geschäft mit Konzerten, Tickets und Sponsoring eine global organisierte Industrie. Damit erzielen sie nicht nur fette Gewinne, sie fördern auch die Ökonomisierung und die Bürokratisierung der Branche. Kleine Veranstalter hingegen haben mit steigenden Gagen zu kämpfen und verlieren den Kontakt zu grösseren Namen. Doch führt diese ökonomische Tendenz zwingend zum Verkauf, wie Gremelmayr suggeriert, oder tun sich daneben vielleicht sogar neue Räume auf?

Jane Wakefield war in verschiedenen Funktionen in der alternativen Schweizer Musikszene aktiv, etwa als Geschäftsführerin der Winterthurer Musikfestwochen. Gerade für solche Festivals sieht sie die aktuelle Entwicklung auch als Chance. «Die Musikfestwochen können und wollen es sich nicht mehr leisten, mit den grossen Festivals um Bands zu streiten. Dafür entsteht Raum für neue künstlerische Ideen», sagt sie. «Der Erfolg von eigenwilligen, kleinen Festivals wie dem B-Sides oder der Bad Bonn Kilbi zeigt deutlich, dass viele Leute das wertschätzen.»

Mit der Bad Bonn Kilbi in Düdingen bucht Daniel Fontana das musikalisch wohl aufregendste und gewagteste Festival der Schweiz. Gerade wegen seines teilweise sperrigen Programms ist es jeweils in kürzester Zeit ausverkauft. Die Konsolidierung im Musikgeschäft hat für Fontana weniger mit Sachzwängen als mit freiwilliger Kapitulation zu tun. «Die warten doch alle nur auf den grossen Coup. Wenn man seine Büez nicht mehr gern hat, dann verkauft man sie halt.»