Nach dem Frauenstreik: Die Energie nutzen, den Schwung bewahren

Nr. 26 –

Als hätten Hunderttausende nur darauf gewartet – der 14. Juni war eine Wucht. Wie es weitergehen soll, darüber debattieren nun die Streikkollektive, Parteien und Gewerkschaften.

«Es wäre so schade, wenn die nun entstandene Bewegung erlahmt»: Aktion am Frauenstreiktag in Zürich. Foto: Melanie Duchene, Keystone

Donnerstagabend in Zürich, knapp eine Woche nachdem mehr als eine halbe Million Frauen, Queers und solidarische Männer die Forderung nach gleichen Rechten auf die Strasse getragen haben. Unter dem Motto «Frauen*streik – wie weiter?» hat die kantonale Juso-Sektion zur Diskussion geladen. Es sind Fragen, die viele in diesen Tagen umtreiben: Wie lässt sich die vom Streik freigesetzte Energie nachhaltig nutzen? Wie schafft man es, den Schwung auch für die Zukunft beizubehalten? «Es wäre so schade, wenn die nun entstandene Bewegung erlahmt», sagt Kopräsidentin Nadia Kuhn.

Rund ein Dutzend Frauen sind an diesem Abend zum Erfahrungsaustausch zusammengekommen, einige schon lange politisch aktiv, andere erst durch den Streik überhaupt politisiert. Was sie eint, ist ein Gefühl der Überwältigung, eine Ahnung davon, was möglich wäre. «Am 14. Juni habe ich für einen kurzen Moment gesehen, wie solidarisch es auch zugehen kann», sagt eine Teilnehmerin.

Sitzungen, Sitzungen, Sitzungen

Hier der euphorische Taumel des Streiktags, dort die harte Realität in Bundesbern. Dass die zwei Welten gegensätzlicher nicht sein könnten, illustrieren auch zwei Entscheide des Ständerats aus der vergangenen Woche: Am Mittwoch hat die kleine Kammer Richtwerte für die Geschlechtervertretung in den Chefetagen der Wirtschaft beschlossen, was immerhin ein erster Schritt ist, wenn auch ein minimaler, der nur wenigen Frauen mehr Gleichstellung bringt. Und am Donnerstag hat sich der Ständerat endlich zu einem Vaterschaftsurlaub durchringen können – von gerade einmal zwei Wochen.

Vermutlich ist es auch diese parlamentarische Realitätsferne, diese Art, an den Lebenswelten eines Grossteils der Bevölkerung vorbei zu politisieren, die dazu beigetragen haben, dass der Frauenstreik eine solche Kraft entfalten konnte. «Die Politik hat die Wut und den Unmut der Frauen lange unterschätzt», sagt Linda Zobrist vom Zürcher Streikkollektiv. Dass das Parlament dies auch weiterhin tue, hätten die beiden ständerätlichen Entscheide gezeigt. Ähnlich sieht das Michela Bovolenta vom Collectif Romand: «Es schien, als würden die Frauen auf etwas warten.» Gerade jüngere Frauen hätten ein grosses Bedürfnis verspürt, «dass jetzt endlich etwas passiert».

In positiver Erinnerung wird sie vor allem auch den Vorbereitungsprozess behalten: «So viele Frauen, die die unzähligen Aktionen mit riesiger Kreativität geplant haben.» Auch Bovolenta treibt die Frage um, wie es nun weitergehen soll. In den nächsten Wochen werden die Streikkollektive in der Romandie tagen, dann sollen weitere Aktionen geplant werden.

Auch nach dem Streik geht also die Zeit der vielen Sitzungen weiter. Bei einem ersten Treffen des nationalen Komitees am Montag haben alle Beteiligten beschlossen, weiterzumachen. «Dass so klar ist, dass es weitergeht, ist nicht selbstverständlich», sagt Zobrist, die wie Bovolenta an der Komiteesitzung teilgenommen hat. Über Monate habe man sich vor allem mit der Planung dieses einen Tages befasst, an dem sich ganz Zürich «wie eine riesige Streiksitzung» angefühlt habe. Nun soll die Energie vermehrt für inhaltliche Diskussionen genutzt werden. Anfang Juli wird sich das Kollektiv treffen, auch in den anderen Kantonen sind Zusammenkünfte geplant, eine nationale Tagung soll im Herbst folgen. Im Raum wird dann auch die Forderung stehen, den nächsten Streik in Anlehnung an die internationale Frauenbewegung auf den 8. März zu legen. «Wir haben nun dauerhafte Netze, die in wichtigen Momenten aktiviert werden können», ist sich Zobrist sicher.

Eine richtige Elternzeit

Die Energie des Frauenstreiks nutzen, das Momentum bewahren: Das will man auch in den Institutionen, bei Gewerkschaften und linken Parteien. So hat die SP vergangene Woche gleich mehrere Forderungen bekräftigt: von einer «radikalen Verkürzung der Arbeitszeit» über bessere Löhne für «klassische Frauenberufe» und einen Pflegeurlaub, um sich ohne Lohnausfall um kranke Angehörige kümmern zu können.

Letzteres ist auch eines von mehreren Themen, die voraussichtlich nach der Sommerpause im Parlament behandelt werden. Regula Rytz, die Präsidentin der Grünen, plädiert derweil für eine «breit angelegte Präventionskampagne gegen Sexismus». Und auch in den Kantonen laufen diverse Vorstösse für mehr Gleichstellung.

Eine Initiative des Gewerkschaftsdachverbands Travail Suisse, die immerhin vier Wochen Vaterschaftsurlaub verlangt, kommt wohl nächstes Jahr zur Abstimmung. Deutlich weiter geht eine Initiative, die AktivistInnen der Plattform WeCollect angekündigt haben. Sie plädieren für eine 24-wöchige Elternzeit – zusätzlich zum heute geltenden 14-wöchigen Mutterschutz. Zum Vergleich: Die meisten europäischen Länder kennen eine richtige Elternzeit längst. In Deutschland etwa beträgt diese vierzehn Monate, wenn Vater und Mutter je mindestens zwei davon in Anspruch nehmen. Und in Schweden sind es gar sechzehn Monate, wovon mindestens drei den Vätern gehören.

Für den Anfang ein Stammtisch

Pläne haben nach dem Frauenstreik auch die Gewerkschaften. «Der 14. Juni war ein überaus starkes Signal, dass sich etwas ändern muss», sagt Christine Flitner vom VPOD. Man werde nun versuchen, die Forderungen in den Betrieben voranzutreiben: einen Gesamtarbeitsvertrag in der Kinderbetreuung etwa oder die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege, wo die Schichtpläne die Vereinbarkeit von Familie und Beruf praktisch nicht zuliessen. Ausserdem verlange man von den Spitälern, die Umkleidezeit gemäss Gesetz als Arbeitszeit anzurechnen. Die «Streikforderungen bei den Lohnverhandlungen einzubringen», werde nach der Sommerpause höchste Priorität haben, sagt auch Regula Bühlmann vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund.

Die Mobilisierung auf den Frauenstreik hin ist auch beim VPOD spürbar. In den vergangenen Wochen seien vermehrt Personen der Gewerkschaft beigetreten, so Flitner. Die Frage sei nun, wie man gerade auch die vielen jungen Frauen ansprechen könne, die nun politisiert seien und sich nicht einfach so in die traditionellen Gewerkschaftsstrukturen einbinden liessen – die Aktivistinnen der «Trotzphase» etwa, eines Zusammenschlusses von Kita-Betreuerinnen. «Wir müssen Platz für solche neuen Formen schaffen», glaubt sie.

Wie der Schwung des Frauenstreiks erhalten werden soll, das wird in den nächsten Wochen im ganzen Land Thema sein. Auch die Teilnehmerinnen des Zürcher Juso-Treffens haben noch keine genaue Vorstellung. Für den Anfang muss eine Whatsapp-Gruppe reichen, schon bald soll ein «feministischer Stammtisch» folgen. Für Juso-Kopräsidentin Nadia Kuhn ist neben der Netzwerkpflege auch ein anderer Punkt wichtig: bei den Wahlen im Herbst PolitikerInnen zu wählen, die feministische Forderungen im Parlament unterstützen.