«Fleabag»: Masturbieren zu Obama

Nr. 26 –

Phoebe Waller-Bridge macht romantische Komödie, wie man sie noch nie gesehen hat: Das Liebesobjekt ist das Publikum – und die Komödie ist geladen mit lauter rabenschwarzen Gedanken.

Und immer wieder sucht sie den direkten Kontakt zu uns: Fleabag (Phoebe Waller-Bridge), die Hauptfigur der gleichnamigen Serie, in ungewohnter Umgebung. Foto: Steve Schofield, Amazon

«Fleabag» ist Slang für Mistkerl oder Ekel. «Ein Sack voller Flöhe» wäre eine wörtliche Übersetzung. Trotzdem wollen einige deutsche Rezensenten aus Fleabag auf Deutsch unbedingt eine Schlampe machen, womit wir schon mittendrin sind in der Wahrnehmungsstörung, die den Blick auf die britische One-Woman-Show «Fleabag» verstellt. Soeben wurde die zweite Staffel veröffentlicht, doch bereits bei der ersten herrschte auffällige Uneinigkeit in der Beschreibung der Hauptfigur.

Ein Kritiker nennt sie «unerschrocken», eine Kritikerin «selbstverächtlich», und ein Dritter findet sie schlicht «unsympathisch». Wieder andere kommen mit Etiketten wie «hochgestochen», «unkonventionell», «privilegiert», «Antiheldin». Wer oder was also ist «Fleabag»? Erst einmal der Beweis, dass wir uns immer noch schwertun mit fiesen – statt lieblichen – weiblichen Subjekten, die ihre fiktionale Welt mit einer grossen Klappe zwar mühelos dominieren, aber eben nicht gleich mühelos in alte Schubladen passen.

Die durchlässige vierte Wand

Einig ist man sich immerhin darin, dass «Fleabag» grausam komisch ist. Die Mélange aus gekonnt überspitzter Mimik, Slapstick und vor allem Sprachwitz ist enorm vielfältig und dürfte manch deutschsprachigeN DrehbuchautorIn vor Neid erblassen lassen. Sogar Brustkrebsvorsorge, Fehlgeburten und tödliche Unfälle werden hier zu Pointenstoff. Manchmal lacht man auch einfach, weil man kaum glauben kann, was man gerade gehört hat. Das Setting ist dabei denkbar einfach: Die meiste Zeit schauen wir der Fleabag-Figur beim Reden zu – mit ihren Affären, mit ihrer überspannten Familie, vor allem aber mit uns.

Alle paar Sätze durchbricht sie die vierte Wand und wendet sich direkt ans Publikum. Bald ahnen wir, dass das nicht einfach ein rhetorischer Tick ist, sondern wir ihr tatsächlich viel näher sind als all ihre Gegenüber im fiktionalen Universum, wo sie fast im Minutentakt Beziehungen an die Wand fährt. Bei uns hofft sie Verständnis zu finden, während in der Fiktion kaum eine Konversation glückt. Und wenn die allesamt leicht verpeilten Figuren zur Abwechslung einmal lieb miteinander sein wollen oder ehrlich, gehts erst recht schief. Im Verhältnis zwischen Fleabag und ihrem Vater etwa gärt derart viel Unausgesprochenes, dass er nur noch in angebrochenen Sätzen mit ihr spricht. Was dann natürlich wieder total komisch ist.

Die Serie ist das geistige Kind der britischen Schauspielerin und Autorin Phoebe Waller-Bridge, die auch gleich selbst die Hauptrolle spielt. «Fleabag» entstand schon 2013 aus einer zehnminütigen Stand-up-Nummer, als ihre Schauspielkarriere gerade nicht mehr richtig vom Fleck kam. Über die Theaterbühnen fand der Stoff dann den Weg in die Serienabteilung der BBC – den Ausschlag gegeben haben soll die verschrobene Szene, in der Fleabag am Laptop zu einer Rede von Barack Obama masturbiert, bis ihr brutal sensibler Freund aufwacht und ihr hysterische Vorhaltungen macht.

Filigran, brachial, gnadenlos

Unterdessen gibt es «Fleabag»-Ableger in mehreren Ländern. Und die bald 34-jährige Waller-Bridge hat noch eine weitere Erfolgsserie geschrieben, «Killing Eve» – über eine blutige Amour fou zwischen einer ebenso skrupellosen wie virtuosen Auftragskillerin und der verschrobenen Geheimdienstagentin an ihren Fersen. Im Frühjahr wurde Waller-Bridge dann auf Empfehlung von Daniel Craig persönlich gebeten, das neue «Bond»-Script mit einem offenbar dringend nötigen Schuss Witz aufzufrischen. Ihr Ratschlag für DrehbuchautorInnen? Sie gehe stets davon aus, dass das Publikum cleverer sei als sie selbst. Die ZuschauerInnen zu langweilen, sei die grösste Sünde überhaupt.

Mit ihrer besten Freundin, der Regisseurin Vicky Jones, gründete Waller-Bridge bereits 2007 die Theaterkompanie Dry Write. Ausserdem ist sie prominentes Mitglied einer Lobbygruppe, die sich für mehr Rechte und Rollen für Schauspielerinnen einsetzt. Mit ihren eigenen Kräften scheint sie recht geschickt zu haushalten, bei der soeben ausgestrahlten zweiten Staffel von «Killing Eve» ist Waller-Bridge nur noch als Erfinderin und Produzentin aufgeführt. Dafür hat die Zürcherin Lisa Brühlmann («Blue My Mind») bei zwei der sechs Folgen Regie geführt – ihr gelingt damit ein unverschämt cooler und leichtfüssiger Sprung aufs internationale Serienparkett.

Aber nicht nur die zahlreichen weiblichen Kooperationen vor und hinter der Kamera fallen auf. Bemerkenswert ist auch, dass Waller-Bridge sich bevorzugt im Genre Komödie zu Wort meldet, während der Serienmarkt doch gerade mit Dystopien und erfundenen wie wahren Kriminalgeschichten geflutet wird. Dabei sind ihre Komödien alles andere als Feelgood-Stücke, die uns mit ein paar Witzchen von der Schwere des Lebens ablenken wollen oder im Stil neoliberal abgerichteter Selbsthilfebücher jeder noch so bitteren Erfahrung unbedingt etwas Positives abringen. Im Gegenteil. Ihre Drehbücher sind geladen mit der ganzen Kraft des negativen Denkens. Sie erzählen Tragisches mit den ungleich schwierigeren Mitteln der Komödie – mal filigran, mal brachial, aber immer mit gnadenlosem Timing.

In ihrer Komödienanalyse «The Odd One in» liefert die slowenische Theoretikerin Alenka Zupancic ein Sinnbild dafür, was eine gelungene Komödie ausmacht: ein verzweifelter Mensch, der auf der Flucht vor hungrigen Löwen auf einen Baum klettert, den es eigentlich gar nicht gibt. Die Komödie als kreativer Kraftakt der Gedanken zwecks Überlebenshilfe: Das passt hervorragend zu «Fleabag».

Doch anstatt einfach mal stehen zu lassen, dass hier ein unverbrauchtes Talent brillante Comedy macht – ein Genre, das weiterhin stark männlich dominiert ist –, bürdet man Phoebe Waller-Bridge unnötigen Ballast auf. JournalistInnen wollen in ihr unbedingt die «Stimme ihrer Generation» sehen oder die Verkörperung der typischen jungen Frau der Jahrtausendwende. Solche Labels wurden weiland schon an die New Yorkerin Lena Dunham und ihre Serie «Girls» geheftet, mit der «Fleabag» in ihrer radikalen Selbstironie und halsstarrigen Verschrobenheit durchaus verwandt ist. Man schreibt also diese herausragenden jungen Frauen zum Generationenmodell hoch – was jungen Männern interessanterweise viel seltener passiert: Sie dürfen einfach sich selbst repräsentieren und müssen nicht gleich markttauglich zugerichtete Stellvertreter einer ganzen Altersgruppe oder eines Lebensgefühls sein.

Auch das muss man können

Auf solche überschwänglichen Verallgemeinerungen folgt dann nicht selten der spitze Vorwurf, das sei aber schon alles sehr privilegiert und weiss und bilde die bunte Vielfalt und die Klassengegensätze der Gesellschaft ja nicht mal ansatzweise ab. Allerdings ist das auch nicht der Anspruch, steht doch die Fleabag-Figur – wie auch ihre Schöpferin – offensichtlich und zuallererst für ihr eigenes sperriges Selbst.

Sperrig und unbequem bis zum bitteren Ende: Die zweite Staffel beschert Fleabag eine grosse, aber überaus dornige Liebe, ausgerechnet zu einem katholischen Priester. Diese Liebe führt keineswegs zu einer Bekehrung der erklärten Atheistin, sondern mündet in einem unbequemen, melancholischen Finale. Aber so hat man sich wohl Waller-Bridges Idee von Romantik vorzustellen: Immerhin hat Fleabag nun endlich ein Gegenüber gefunden, das ihr wichtiger ist als wir ZuschauerInnen.

Diese zweite Staffel soll übrigens bereits die letzte sein. Trotz Grosserfolg zum richtigen Zeitpunkt aufhören – auch das muss man können.

«Fleabag» ist in der Schweiz über primevideo.com von Amazon empfangbar. Die erste Staffel von «Killing Eve» gibts auf DVD. Der neue «James Bond» soll im Frühjahr 2020 in die Kinos kommen.