Durch den Monat mit Faten Al-Soud (Teil 3): Wie funktionieren die Leute in der Schweiz?

Nr. 25 –

Faten Al-Soud erzählt von den Schwierigkeiten, die journalistische Arbeit in einem Land fortzuführen, dessen Sprache man nicht spricht, von ihrem Herzensprojekt «Lucify» – und verrät, wen Iraker und Irakerinnen als Wale bezeichnen.

«Im Irak sind Gefühle viel präsenter. Hier ist es sehr wichtig, wie du denkst, was dein Standpunkt zu einem Thema ist – auf eine sehr rationale Art und Weise.»

WOZ: Faten Al-Soud, Sie sind bei «Lucify» dabei. Was ist «Lucify»?
Faten Al-Soud: Wir sind ein Medienprojekt von Migrantinnen aus verschiedenen Ländern. Das ist vor allem eine Website, auf der wir Texte, Audios und Videos veröffentlichen. Wir organisieren aber auch Veranstaltungen, wie kürzlich etwa zum Frauenstreik oder zu Antirassismus. In unseren Herkunftsländern haben wir alle auf irgendeine Weise als Journalistinnen oder Autorinnen gearbeitet. Natürlich ist es für uns schwierig, diese Arbeit in der Schweiz fortzusetzen, weil wir nicht mehr in unserer Muttersprache schreiben können. Trotzdem möchten wir uns äussern. Wir arbeiten alle freiwillig, weil es uns wichtig ist, irgendetwas selber zu erschaffen. Es geht uns auch darum, mit der journalistischen Arbeit die europäische Gesellschaft zu verstehen, weil die für uns neu ist. Es ist echt schwierig, zu begreifen, wie die Leute hier funktionieren. Das beschäftigt uns alle: Wie geht man damit um, wenn die eigene Kultur so anders ist als diejenige, in die man hineinkommt?

Was ist Ihrer Meinung nach denn anders?
Ich glaube, es sind vor allem zwei wichtige Punkte: Zum einen finde ich, dass es hier sehr wichtig ist, wie du denkst, was dein Standpunkt zu einem Thema ist – auf eine sehr rationale Art und Weise. Im Irak sind Gefühle viel präsenter, in Diskussionen etwa; in der Schweiz geht es stärker darum, sich nicht von Emotionen leiten zu lassen. Zum anderen sind Frauen hier viel freier. Sie können tun, was sie wollen, ohne sich dabei zu viele Gedanken zu machen. Das macht einen grossen Unterschied.

Was bedeutet «Lucify» für Sie persönlich?
«Lucify» ist meine Bühne und eine Möglichkeit, Schweizer und Schweizerinnen zu erreichen. Ich bin Mitgründerin und im Vorstand. Ich arbeite zwar nur ehrenamtlich, dafür kann ich hier tun, was ich gerne tue: eine Journalistin sein, eine Autorin. Ich glaube, das ist bei den meisten von uns der Punkt – diejenigen sein zu können, die wir sind, und das machen zu können, was wir lieben. Das ist manchmal gar nicht so einfach, wenn du irgendwo neu ankommst. Es ist mir wichtig, schreiben zu können, weil ich etwas zu sagen habe.

Sie und die anderen Autorinnen bei «Lucify» kommen aus ganz unterschiedlichen Ländern und sprechen oft auch nicht die gleiche Sprache. Wie ist es, so zusammenzuarbeiten?
Es ist nicht immer einfach. Aber immerhin: Wir kommen zwar aus verschiedenen Kulturen, zum Beispiel aus Russland, Sri Lanka, Syrien oder Kolumbien. Aber alle sind tendenziell aus offenen Familien und haben in dem Sinne einen ähnlichen Hintergrund. So können wir doch ziemlich gut aufeinander zugehen. Trotzdem, wenn du unsere Beiträge anschaust, siehst du, dass wir alle ganz unterschiedliche Zugänge haben. Und es braucht natürlich viel Kommunikation, viel Rückmeldung untereinander. Es ist uns auch wichtig, dass alle gemeinsam arbeiten und Verantwortung für verschiedene Bereiche übernehmen. Es geht nicht, dass jemand einfach nur schreibt und sonst nichts macht. Du musst schon das Projekt als Ganzes im Blick haben.

Wer finanziert das Projekt?
Wir bekommen vor allem Unterstützung von Stellen wie der Eidgenössischen Migrationskommission und dem Kompetenzzentrum Integration in Bern, aber auch Spenden von Privatpersonen. Das reicht nicht weit, aber ich bin froh darum, dass es hier staatliche Finanzierung für solche Projekte gibt. Im Irak funktioniert das ganz anders. Wenn du ein Medienprojekt machen willst, dann musst du dir eine reiche Privatperson suchen, die dich ideologisch unterstützt und darum finanzieren will. Wir nennen diese reichen Leute Wale – sie unterstützen die Medien, die ihre Ziele unterstützen. Da gibt es dann die Wale des Regimes und die Wale, die dagegen sind, sozusagen.

Gibt es denn Wale, die sich für Frauenrechte einsetzen?
Nein, natürlich nicht! Ich habe damals schon versucht, Finanzierung für meine Arbeit zu finden, aber das hat nicht funktioniert. Als Frau hast du dann sofort ein anderes Problem: Wenn du irgendwo alleine hingehst und um Geld bittest, wirst du schnell als Schlampe abgestempelt. Die Leute glauben dann, sie können mit dir machen, was sie wollen. Ein Projekt wie «Lucify» könnte im Irak nicht existieren. Es müsste der Ideologie der Wale entsprechen.

Welche Probleme haben Ihrer Meinung nach die Medien in der Schweiz?
Es ist sehr schwierig, von aussen reinzukommen, wenn du die Sprache nicht gut sprichst. Vielleicht hat das auch ein wenig mit der Schweizer Mentalität zu tun, die so verschlossen ist. Ein Beispiel: Zusammen mit Perla Ciommi wollte ich einen Film drehen. Der Arbeitstitel war «Warteliste Europa». Es sollte um die Erfahrungen von Asylsuchenden gehen, die nach Europa kommen, wie und wieso sie auf dieser Reise sind. Wir haben lange gesucht, doch niemand wollte uns Geld geben. Klar ist es immer schwierig, für solche Projekte eine Finanzierung zu finden. Ich hatte aber vor allem ein Problem damit, dass es den Leuten völlig egal war, dass ich lange als Drehbuchautorin gearbeitet habe. Dein Hintergrund, das, was du zuvor gemacht hast, zählt nicht, wenn du nicht aus der Schweiz kommst. Die Leute vertrauen dir nicht, weil sie dich nicht kennen.

Faten Al-Soud (40) arbeitete als Journalistin und Drehbuchautorin im Irak, bevor sie vor drei Jahren in die Schweiz kam. www.lucify.ch