Zdenek Hrib: Der Pirat im Prager Rathaus

Nr. 23 –

Als neuer Bürgermeister verfolgt Zdenek Hrib eine liberale und progressive Politik – und demonstriert für die Legalisierung von Marihuana. Er ist der erste Pirat an der Spitze einer europäischen Hauptstadt.

Bürgermeister Zdenek Hrib am «Mit dem Velo zur Arbeit»-Tag: Prag soll eine Stadt für die BürgerInnen sein, nicht für die Mafia. FOTO: KATERINA SULOVA, ALAMY

Wer Zdenek Hrib in seinem Amtssitz besucht, einem schmucken Jugendstilbau in der Altstadt, der schreitet über rote Teppiche, die die Schritte verschlucken, kommt an den Ölgemälden vorbei, die die Bürgermeister der Stadt aus dem 18. und 19. Jahrhundert zeigen. In seinem Büro hat sich der Hausherr indes moderner eingerichtet: abstrakte Kunst an den Wänden, neben seinem Medizindiplom und einem aktuellen Stadtplan. Hrib ist gross und schlank, mit Dreitagebart und grau meliertem Kurzhaarschnitt, Anzug ohne Krawatte. Er spricht langsam und überlegt, fast druckreif, um im nächsten Moment doch schallend aufzulachen.

Zdenek Hrib ist ein Mann für Überraschungen. Der Mediziner, der nie in einer Klinik oder einer Praxis gearbeitet hat. Der Bürgermeister, der am Wochenende mit seinen Parteikollegen durch die Prager Innenstadt zieht, um für die Legalisierung von Marihuana zu demonstrieren. Der Chef im Rathaus, den noch vor einiger Zeit wohl die wenigsten PragerInnen kannten. Seit November 2018 ist Hrib der neue Bürgermeister der tschechischen Hauptstadt Prag. Damit ist er der erste Pirat an der Spitze einer europäischen Metropole. Der «pirator», ein Wortspiel aus «Pirat» und dem Wort für Bürgermeister, «primator», wie es auf der Titelseite einer tschechischen Tageszeitung steht, die gerahmt in Hribs Büro hängt.

«Digitale Metropole»

«Unsere Piratenpartei hatte nicht von Anfang an einen so grossen Erfolg wie in anderen Ländern», sagt Hrib und fügt lachend an: «Dafür hatten wir aber Zeit, unsere Kinderkrankheiten auszukurieren.» Der 37-Jährige steht für den Aufstieg einer Partei, die vielerorts wieder in Vergessenheit geraten ist: die Piraten. Nach den anfänglichen Erfolgen wie in Schweden oder Deutschland ist die Euphorie inzwischen verflogen. Nicht so in Tschechien: Bei den Parlamentswahlen 2017 wurden die «Pirati» mit knapp elf Prozent drittstärkste Kraft, bei den Europawahlen kamen sie mit knapp vierzehn Prozent auf Platz drei. Bei den Prager Gemeindewahlen im Herbst landeten sie knapp hinter der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) auf Platz zwei. Doch da es den Piraten am Ende gelang, eine Dreierkoalition zu schmieden, wurde Hrib im November 2018 zum Bürgermeister ernannt. Die Pirati besetzen mittlerweile die politische Mitte, «nachdem sich die meisten anderen Parteien in Tschechien nach dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise einer eher populistischen Politik zugewandt haben», wie der Politologe Jiri Pehe sagt.

Hrib hat den Ruf, ein trockener Sachpolitiker zu sein. Nach seinem Medizinstudium forschte er über PatientInnensicherheit und IT im tschechischen Gesundheitswesen und bereitete die Einführung der elektronischen Rezepte vor. Mit dem spröden Charme eines Technokraten ist er ein so ganz anderer Typ als der superreiche Premier Andrej Babis oder der polternde Präsident Milos Zeman und konnte wohl vor allem bei der urbanen Mittelschicht punkten. Eine «digitale Metropole» solle Prag werden, wie Barcelona oder Taipeh, die zwar die Daten der BürgerInnen schützen, aber zugleich Unternehmen in die Pflicht nehmen, ihre Daten für das Allgemeinwohl zur Verfügung zu stellen. «Ich möchte, dass meine Kinder in einer smarten Stadt leben, die ihren Bürgern und nicht der Mafia dient», sagte der dreifache Vater Hrib in einem Werbevideo. Ein Prag, «nicht nur für Touristen und Spekulanten, sondern auch für normale Menschen».

Gerade in Prag sind zuletzt Zehntausende TschechInnen gegen den Premier auf die Strasse gegangen, dem eine Anklage wegen Verdacht auf Betrug bei EU-Subventionen droht. Dass Babis zuletzt eine Vertraute als Justizministerin eingesetzt hat, sehen viele als den Versuch, diese Ermittlungen zu behindern. Babis tat die Proteste nur als eine «Kampagne» seiner politischen GegnerInnen vor den Europawahlen ab, aber die Demonstrationen gehen weiter.

Eine Flagge für Tibet

Hrib selbst hat zuletzt vor allem mit seiner Chinapolitik von sich reden gemacht – mit einem feinen Sinn für Provokation. Bisher sah ein Abkommen zur Städtepartnerschaft zwischen Prag und Beijing vor, dass die Prager Stadtregierung die sogenannte Ein-China-Politik anerkennt – jene Prämisse, nach der zur Volksrepublik China auch der abtrünnige demokratische Inselstaat Taiwan gehört. Doch Hrib will diesen Passus streichen. Ist seine Politik ein Gegengewicht zum Präsidenten Zeman, der als grosser Chinafreund gilt? «Wir sind einfach der Meinung, dass so etwas nichts in einer Städtepartnerschaft zu suchen hat», sagt Hrib. Doch auch in der Tibetfrage bekannte der Pirat zuletzt Farbe. Am jährlichen Kampagnentag «Flagge zeigen für Tibet» wurde über dem Rathaus wieder die tibetische Fahne gehisst, eine Praxis, die unter seiner Vorgängerin abgeschafft worden war.

Hrib reiht sich ein in eine Reihe liberaler, progressiver Bürgermeister in den Visegrad-Staaten, die auf nationaler Ebene von rechtspopulistischen Regierungen – Stichwort Polen und Ungarn – regiert werden. Darauf angesprochen, lacht er laut auf. «Natürlich könnte ich jetzt so etwas sagen wie: Bürgermeister an die Macht! Aber im Ernst: Viele Menschen ziehen in die Städte, bis 2050 sollen zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben.» So wie Hrib selbst, der auch nicht aus Prag, sondern aus einem 6500-EinwohnerInnen-Nest an der tschechisch-slowakischen Grenze kommt. «Unsere Zukunft sind nun mal die Städte.»