Medienkritik: Zu geil auf Rechte

Nr. 23 –

In Jörg-Uwe Albigs Roman «Zornfried» treffen JournalistInnen im Geltungsrausch auf eine völkische Bewegung. Es sind nicht die Nazis, die dabei für den Horror sorgen.

Jörg-Uwe Albig hat völkische Lyrik verfasst, obwohl er kein Nazi ist. Die drei Dutzend Gedichte sind eingebettet in seinen neuen Roman «Zornfried», wo Albig sie von seinem Ich-Erzähler Jan Brock gleich selber verreissen lässt. Über die Nazigedichte schreibt Brock in seiner Rezension in einer Tageszeitung: «Der Rechte von heute prügelt mit Jamben und Trochäen, tritt mit Versen zu.» Am Ende befindet Brock, man solle diese Gedichte «auswendig lernen, um später nicht sagen zu müssen, man habe von nichts gewusst». Denn er hat selbst erlebt, wie Anhänger des Nazidichters Storm Linné ein Theater gestürmt und dessen Vers «Versklavt nicht von der Heuchler feiger Zunge» an die Wand gesprayt hatten. Das linksliberale Theaterpublikum war empört, blieb aber sitzen.

So weit, so vermeintlich staatstragend. Aber da nimmt das Zusammenspiel zwischen Medien und Rechtsextremen, mit dem sich der Roman befasst, erst Fahrt auf. Brock folgt einer Einladung auf die Burg Zornfried, wo er die neurechte Lebensgemeinschaft, die sich um Storm Linné gebildet hat, von nahem erlebt. Hier treffen Männer die Entscheidungen; die unzähligen Töchter des Burgherrn halten sich im Hintergrund.

Von Gonzo zu Horror

Ganz perplex ist der Erzähler jedes Mal, wenn ihm einer der Linné-Anhänger zum Verriss gratuliert. Als Brock diesen schrieb, sah er sich als Mahner der Zivilgesellschaft. Für Linné hingegen, den Dichtergott der Rechten, war der Verriss das Eintrittsticket in den medialen Mainstream. Doch der Journalist will nicht einsehen, dass alles, was er über Zornfried veröffentlicht, nur wieder den Rechten dient. Umso verbissener sucht er nach einer grossen Story, die sich hinter den Burgmauern verbergen soll, und redet sich ein, dass er den Rechten so einen Schlag versetzen würde.

Als die Journalistenkollegin Jenny Zerwien auftaucht, ist der Wettkampf eröffnet: Sie darf mit dem Burgherrn zum Bogenschiessen, ein Vertrauensbeweis. Brock hingegen wird gefragt, wie lange er noch bleiben wolle. Wirkt der Roman anfangs wie eine Gonzoreportage, die sich zu sehr in Details des journalistischen Alltags versteigt, wird «Zornfried» nach und nach zum Horrormärchen in der Tradition von Edgar Allan Poe. Über die neue Rechte, wie sie im Roman dargestellt wird, kann man lachen: zu jämmerlich, zu exzentrisch, auch zu weltfremd, um gefährlich zu sein. Es sind die JournalistInnen, die Gänsehaut auslösen.

Die Wälder um Zornfried, die sich Brock vor der Ankunft als «Hänsel-und-Gretel-Geisterbahn» ausgemalt hat, entfalten auf den Erzähler keine Wirkung. Dieser bleibt bei seinen Zigarillos und seiner Musik und behauptet, Distanz zu halten. Aber die Rechten scheinen mit ihm zu spielen, ihn zu triezen. Dass Brock die Bücher in der Bibliothek ideengeschichtlich einordnen kann, nützt ihm nichts. Solange ihm die Rechten das Vertrauen verwehren, bleibt sein Berufsego verletzt. Und je länger die Verletzung dauert, desto mehr nimmt er die Ansichten und Riten auf Zornfried als Normalität hin.

Die Selbstlügen der Journalisten

Es sind nicht das Pathos oder gar die Argumente der Rechten, die Brock und Zerwien faszinieren – die beiden JournalistInnen berauschen sich am eigenen Geltungsdrang. Sie seien «die Krieger im Trojanischen Pferd», «die Borkenkäfer unter der Rinde», belehrt Zerwien den Erzähler und versichert sich der angeblichen historischen Bedeutung des Erlebten: «SA und Rotfrontkämpferbund, jubelte sie, Horst Wessel und Rosa Luxemburg, und sie rief das Namenspaar über den Burghof, als kündigte sie eine Traumhochzeit an.» Brock wiederum vergleicht sich mit den Watergate-Reportern und empfindet Genugtuung, als ihn der Burgherr endlich zum Pilzesammeln mitnimmt. Am Ende kommt Brock weiter als Zerwien, obwohl diese in der Anerkennung der Rechten höher steht. Die Gründe: Sexismus und sexuelle Belästigung. Das ist erzählerisch konsequent. Ein völkischer Männerbund nutzt zwar geschickt die Gesetzmässigkeiten der Aufmerksamkeitsökonomie, doch die patriarchalen Verhaltensmuster des rechten Menschenbilds kann er nicht einfach so kalkulierend ablegen.

Da der Roman als groteskes Horrormärchen so gut funktioniert, vergisst man passagenweise, dass «Zornfried» auch ein Diskursexperiment ist. In den Rechte-verstehen-Texten, die in deutschsprachigen Medien erscheinen, haben die Selbstlügen der Verfasser (in der Realität sind es fast nur Männer) keinen Platz. Albigs Roman zeichnet nach, was in den Köpfen jener Journalisten vorgehen könnte, die den völkischen Publizisten Götz Kubitschek als Ökolandwirt oder den AfD-Hetzer Markus Frohnmaier als Zigarrenliebhaber dargestellt haben.

Am Erscheinungstag des Buchs sprach Jörg-Uwe Albig in einem Interview auf Deutschlandfunk Kultur über diesen Typus von Journalisten explizit als überwundenes Phänomen. Leider ist der Geltungsdrang bei vielen noch immer stärker als die Vernunft; leider geben manche Redaktionen Wohlfühlstorys über Rechtsextreme noch immer viel Platz. Damit beweisen sie die Aktualität von Albigs Roman beinahe im Wochentakt.

Jörg-Uwe Albig: Zornfried. Roman. Klett-Cotta-Verlag. Stuttgart 2019. 159 Seiten. 32 Franken