NDB-Skandal: Umfassende Untersuchung gefordert

Nr. 22 –

Letzte Woche deckte die WOZ auf, dass der Nachrichtendienst des Bundes von der Überwachung politischer Parteien und deren Mitglieder nicht ablässt. Nun nimmt sich die Oberaufsicht der Sache an.

Wer seine Grundrechte wahrnimmt und sich beispielsweise in einer demokratischen Partei engagiert, muss damit rechnen, dass sie oder er vom Nachrichtendienst des Bundes (NDB) registriert oder gar aktiv überwacht wird. Die WOZ berichtete letzte Woche über die Fälle von drei politischen Parteien (AL Bern, Juso Stadt Bern und BastA!), dem Basler Gewerkschaftsbund und dessen Mitgliedern, die in den Datenbanken des NDB registriert sind. Bekannt wurden diese, weil die Betroffenen zuvor entsprechende Einsichtsgesuche gestellt hatten.

Unter bestimmten Voraussetzungen lässt das Gesetz eine Überwachung politischer Tätigkeit zu, nämlich in Fällen von Terrorismus, Gewaltextremismus, Spionagetätigkeit, Waffenhandel, Angriffen auf kritische Infrastrukturen oder «sicherheitspolitisch bedeutsamen Vorgängen» im Ausland. Aber was hat das mit demokratischen Parteien zu tun?

GPDel wird aktiv

Auf die aktuellen Fälle hat die Grüne Partei reagiert. Sie fordert zusammen mit der Organisation grundrechte.ch bei der Oberaufsicht eine umfassende Untersuchung über die offensichtlich politisch motivierten Schnüffeleien des NDB. Ein entsprechendes Gesuch hat Catherine Weber von grundrechte.ch beim Sekretariat der Delegation der Eidgenössischen Geschäftsprüfungskommission (GPDel) deponiert. Grundrechte.ch ruft dazu auf, weitere Einsichtsgesuche zu stellen. Denn nur so werde sichtbar, wie intensiv der NDB rechtswidrig politische Arbeit registriere und aktiv überwache. Wie GPDel-Präsident Claude Janiak (SP) auf Anfrage bestätigt, wird die Kommission in dieser Sache aktiv. Unter seinem Präsidium publizierte die GDPel bereits 2010 einen Bericht über den damaligen Dienst für Analyse und Prävention. Er fiel vernichtend aus.

Verweigerte Auskünfte

Anders als die AL Bern und die Berner Juso werden BastA! und der Basler Gewerkschaftsbund womöglich auch als extremistisch eingestuft und aktiv überwacht. Denn aus manchen der elf NDB-Datenbanken wurden ihnen Auskünfte vorenthalten («Auskunft wird aufgeschoben»), etwa aus der Extremistendatenbank (Integrales Analysesystem Gewaltextremismus). Der NDB bestreitet eine Überwachung.

Angesprochen auf die Berichterstattung der WOZ, rechtfertigte sich der neue Geheimdienstchef Jean-Philippe Gaudin am Samstag in einem «Tages-Anzeiger»-Interview damit, der Geheimdienst dürfe «beispielsweise Informationen sowohl über unbewilligte als auch über bewilligte Kundgebungen bearbeiten, sofern dabei Gewalt ausgeübt oder zur Gewalt aufgerufen worden ist». Wurden diese Voraussetzungen bei den vom NDB registrierten Kundgebungen der erwähnten Parteien erfüllt? Wurde also Gewalt ausgeübt oder zu Gewalt aufgerufen? Das war gemäss Benjamin Stückelberger von der mehrfach fichierten Juso Stadt Bern nicht der Fall. Auch in den Einträgen des NDB ist nirgends die Rede von Gewalt oder Gewaltaufrufen. Das gilt auch für die übrigen in der Datenbank erfassten Kundgebungen.

Folglich war die Registrierung der organisierenden Personen und der Kundgebungen rechtswidrig. Artikel 5 des Nachrichtendienstgesetzes sagt es deutlich: «Er (der NDB) beschafft und bearbeitet keine Informationen über die politische Betätigung und über die Ausübung der Meinungs-, Versammlungs- oder Vereinigungsfreiheit in der Schweiz.» BastA!, AL und Juso sind bislang nicht durch terroristische Aktivitäten, Waffenhandel, Gewaltextremismus oder etwa Spionagetätigkeit aufgefallen. Sie tun, was andere Parteien auch tun: Sie politisieren. Interessant wäre daher auch die Frage, ob beispielsweise die SVP, an deren Rändern sich Rechtsextreme tummeln, ebenfalls in den Datenbanken des Nachrichtendiensts registriert ist.

2008 kam der Fall des Grünen-Politikers Balthasar Glättli ans Licht. Auch er wurde als Organisator einer Demonstration erfasst. Der Eintrag war widerrechtlich, der Geheimdienst musste ihn löschen. Das gilt ebenfalls für den besonders peinlichen Eintrag über die Basler SP-Ständerätin Anita Fetz, die in der kantonalen Aufsichtsbehörde über den Staatsschutz sass. Weil sie in einem kurdischen Vereinslokal an einer Wahlveranstaltung teilnahm, wurde der Geheimdienst aktiv.

Die WOZ fragte abermals beim Nachrichtendienst nach, unter anderem nach der Zahl der in den Datenbanken erfassten Personen. Der Geheimdienst reagierte mit einer Copy-and-Paste-Antwort. Er kopierte einen Teil der Pressemitteilung vom Freitag ins Mail. Auf konkrete Fragen blieb er – wie üblich – die Antworten schuldig.