Agenda

Nr. 19 –

Im Thatcher-Prekariat

1996 landete der bis dahin unbekannte britische Fotograf Richard Billingham mit seiner Serie «Ray’s a Laugh» einen Überraschungserfolg. Ungläubig staunend blickte man auf diese unverblümten Fotografien, in denen Billingham seine alkoholkranken, verarmten Eltern in intimen, zum Teil auch entblössenden Porträts zeigte. Margaret Thatchers Wirtschaftspolitik erschien hier übersetzt in Tableaus einer alltäglichen Verwahrlosung, die aber durchaus poetisches Potenzial haben. Dazwischen flog auch mal eine Katze quer durchs Bild.

Gut zwanzig Jahre später hat Billingham aus diesem fotografischen Material, das für ihn ja nicht zuletzt die Geschichte seiner Kindheit erzählt, quasi einen Spielfilm gemacht. Wir sehen, wie sein Vater die Tage abwechselnd schlafend oder saufend verbringt, während die Mutter die Kinder in der Obhut eines nichtsnutzigen Onkels lässt, der ihr dann prompt den Schnapsvorrat wegtrinkt, das Sofa vollkotzt und in einen todesähnlichen Schlaf fällt. Der etwas sperrige Film «Ray & Liz» hat eine hypnotische Langsamkeit, ein bestechendes Gespür für das Absurde und für das plötzliche Hervorbrechen von Gewalt und Chaos aus betäubtem Stillstand. Einzelne ikonische Momente aus der Fotoarbeit werden im Film erneut inszeniert, etwa die bekannte Aufnahme von Billinghams kettenrauchender Mutter, in deren Sommerkleidmuster sich das Puzzle spiegelt, das sie auf dem Wohnzimmertisch ausgelegt hat.

«Ray & Liz»: Jetzt im Kino.

Wohin mit der Stadt?

Für einmal schaut Zürich über den Tellerrand hinaus und will wissen, was uns wohl «Nach Zürich» blüht. Eine Ausstellung im vorläufig auf drei Jahre angelegten neuen Zentrum Architektur Zürich spürt «Kontroversen zur Stadt» nach. Die Schau nennt sich ein «Anarchiv», was signalisieren soll, dass wir es hier keinesfalls mit etwas Statischem zu tun haben, sondern dass jede Ordnung immer nur eine vorläufige und unfertige ist – sogar wenn sie gebaut ist.

Zusätzlich gibts Podien zu einem breiten urbanen Themenspektrum, etwa zu «Welche Gartenstadt?», «Urbanität statt Dichtestress» oder zur Gentrifizierung, die bereits vom Seefeld bis nach Dietikon reichen soll. Wer nicht still sitzend zuhören mag, macht eine Stadtrundfahrt im alten Mirage-Tram zu «Zürichs Meilensteinen». Dazu werden die Parkanlagen am See gezählt, der genossenschaftliche Wohnungsbau, der visionäre Bau der S-Bahn, aber auch gescheiterte Verkehrsprojekte.

«Nach Zürich» in: Zürich Zentrum Architektur, Villa Bellerive, Höschgasse 3, bis 25. August 2019, in der Regel jeweils Mi–So, 14–18 Uhr. www.zaz-bellerive.ch