Terror in Sri Lanka: Flaggen auf Halbmast

Nr. 17 –

Nach der verheerenden Anschlagsserie mit Hunderten Todesopfern hat die Regierung in Colombo den Notstand ausgerufen. Über die Hintergründe ist bisher wenig bekannt.

«Keiner hat einen so schrecklichen Angriff erwartet», sagt die Journalistin Shanika Sriyananda am Telefon. «Die Leute fürchten sich vor dem, was als Nächstes kommt.» Am Sonntag waren Kirchen, Luxushotels und weitere Ziele in der sri-lankischen Hauptstadt Colombo und anderen Orten des südasiatischen Landes von einer Serie verheerender Bombenanschläge getroffen worden. Mehr als 320 Menschen haben die Detonationen in den Tod gerissen, weitere 500 Personen wurden verletzt (so der Stand bei WOZ-Redaktionsschluss).

Am Dienstag hat Präsident Maithripala Sirisena im ganzen Land den Notstand ausgerufen – um die «öffentliche Ordnung zu wahren» und die Versorgungssicherheit der Menschen zu gewährleisten, wie es in einer Erklärung hiess. Mit der Massnahme erhalten die Behörden mehr Kompetenzen, etwa für Durchsuchungen und Festnahmen.

Die Journalistin Sriyananda ist sich sicher, dass es sich bei den Anschlägen um organisiertes Verbrechen handelt. Ihre Annahme ist inzwischen auch offiziell bestätigt worden: Die Regierung macht die einheimische Islamistengruppe National Thowheeth Jama’ath (NTJ) für die Attentate verantwortlich. Mindestens vierzig Verdächtige seien laut der Polizei inzwischen festgenommen worden. Ob die Gruppe allein agierte und warum Warnungen ausländischer Geheimdienste vor islamistischen Angriffen folgenlos blieben, ist derzeit nicht bekannt. Auch der sogenannte Islamische Staat will die Attentate für sich reklamiert haben.

Tausende spenden Blut

Unter den Opfern der Anschläge befinden sich viele ChristInnen, die gerade den Ostergottesdienst feierten, als die erste Bombe zündete. In den Hotels wiederum waren Menschen beim Osterfrühstück attackiert worden. Neben einheimischen ChristInnen starben auch UrlauberInnen aus mehreren europäischen Ländern und den USA. Nach Angaben des Aussendepartements EDA zählen auch zwei SchweizerInnen sowie ein schweizerisch-sri-lankisches Ehepaar zu den Opfern. Der Inselstaat ist ein beliebtes Urlaubsziel, das bisher als sicher galt. Die Mehrheit der 21 Millionen EinwohnerInnen sind BuddhistInnen. Musliminnen, Hindus und Christen zählen zu den religiösen Minderheiten.

«Es ist das erste Mal, dass ich mich in Sri Lanka als Christ unwohl fühle», sagt Softwareberater Sajit aus Colombo. Seinen vollen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Derzeit kursierten viele Gerüchte über mögliche Täter und deren Motive. «Die Menschen in Sri Lanka wollen wissen, was passiert ist, aber sie wollen auch einfach nur weitermachen», sagt er am Telefon. Für die nächsten Tage habe er Vorkehrungen getroffen, meint Sajit. In der Zeit zwischen den Ausgangssperren habe er Besorgungen gemacht, um den Kühlschrank, seinen Autotank und den Geldbeutel zu füllen. Zu Hause fühle er sich sicher, doch öffentliche Orte wolle er erst einmal meiden.

Gemäss dem Nationalen Bluttransfusionsdienst (NBTS) haben 4000 Personen noch am Sonntag Blut gespendet, mehr als 10 000 weitere registrierten sich in kurzer Zeit als SpenderInnen. Damit ist die Versorgung mit Blutkonserven stabil, auch wenn nicht alle neu Registrierten gleich zu SpenderInnen wurden. Zuvor hatte der NBTS nach Freiwilligen gesucht. «Die Reaktion hat uns nicht überrascht, da wir ähnliche Erfahrungen in der Vergangenheit gemacht haben», sagt Vijith Gunasekera, der Direktor der Organisation. Unterbrochen wurde die Arbeit des Dienstes von Ausgangssperren, nachdem am Montag weitere Sprengsätze gefunden worden waren. Bei der Entschärfung der Bomben explodierte ein Auto.

Ein Schlag für die Tourismusindustrie

All diese Informationen bekamen die Menschen vorerst von Nachrichtenseiten oder aus dem Fernsehen, da soziale Medien gesperrt waren. Trotz der zeitweisen Sperre wurden weltweit Fotos von den verwüsteten Tatorten geteilt. Neben Bildern aus zerborstenen Kirchen auf Twitter waren auf Instagram auch unbestätigte Fotos von einem möglichen Selbstmordattentäter aufgetaucht. Spekulationen, denen man durch die Sperre vorbeugen wollte. Sie wurde per VPN-Software umgangen.

Unter den Folgen des Anschlags wird wohl vor allem der Tourismus leiden. Ausländische Delegierte zogen Reservierungen zurück, viele TouristInnen sind dabei, die Insel zu verlassen. «Unsere Wirtschaft ist von dieser Kette von Anschlägen stark beeinträchtigt», sagt die Journalistin Shanika Sriyananda. Doch nicht nur die Tourismusindustrie wird Zeit brauchen, den Weg zur Normalität zurückzufinden. Der Dienstag wurde von Präsident Maithripala Sirisena zum Trauertag erklärt: Die Flaggen in Colombo wehten auf Halbmast.

«Wir dachten, das Blutvergiessen habe ein Ende, aber die tödlichen Angriffe auf Gläubige wecken erneut Angst», sagt Sriyananda. «In den Jahren des Bürgerkriegs hat nie ein derart massiver Angriff stattgefunden», meint die Autorin, die über den Konflikt in Sri Lanka zwei Bücher geschrieben hat. 2009 war ein 26 Jahre andauernder Bürgerkrieg zu Ende gegangen, in dem die tamilische RebellInnenorganisation LTTE für einen unabhängigen Staat im Norden der Insel gekämpft hatte. Während des Konflikts kamen schätzungsweise 100 000 Menschen ums Leben.