Steuer-AHV-Deal: Salamitaktik oder der Sprung ins kalte Wasser?

Nr. 15 –

Über die Frage, wie sich der Steuerwettbewerb langfristig stoppen lässt, gibt es in der Linken angesichts der Abstimmung zum Steuer-AHV-Deal verschiedene Meinungen.

Kommt die europäische Steuerharmonisierung, wird das Geschäftsmodell der Schweiz nutzlos. Illustration: Marcel Bamert

Die Vorlage wirkt auf den ersten Blick kompliziert. Im Grunde aber lässt sich der Steuer-AHV-Deal, der am 19. Mai zur Abstimmung kommt, einfach zusammenfassen: Die Schweiz muss auf Druck der OECD ihre Steuerprivilegien für internationale Holdinggesellschaften abschaffen. Damit der Standort für Konzerne, die Anteile an Tochterfirmen im Ausland halten, weiterhin «attraktiv» bleibt, wollen Bundesrat und Parlament die alten Steuerprivilegien durch neue ersetzen. Als sozialer Ausgleich für die erwarteten Steuerausfälle sollen zwei Milliarden Franken in die AHV fliessen.

Dieser Steuer-AHV-Deal ist ein breit abgestützter Kompromiss. Ausgehandelt im Ständerat, getragen von FDP, CVP und grossen Teilen der SP. Doch der Frieden wurde gestört: Eine linke Allianz, politisch angeführt von den Grünen, hat erfolgreich das Referendum gegen den Deal ergriffen – und stellt die grundlegende Frage: Ist der Steuer-AHV-Deal tatsächlich ein erster Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit?

Druck von der AHV nehmen

Klar ist: Der Deal bringt keine grundlegende Abkehr vom bisherigen Schweizer Steuerdumpingmodell. Im Gegenteil: Die neue Steuervorlage soll die Schweiz im internationalen Vergleich noch attraktiver machen. Kurzfristig hätte der Deal zwar Steuerausfälle im Rahmen von rund 2,1 Milliarden Franken zur Folge – das ist lediglich eine halbe Milliarde weniger als bei der gescheiterten Unternehmenssteuerreform III (USR III). Langfristig hofft der Bund aber auf zusätzliche Steuereinnahmen von 1,5 Milliarden durch neu zugezogene Firmen.

Die erwähnte USR III war im Frühjahr 2017 ein erster Versuch von Bundesrat und Parlament, die alten Steuerprivilegien durch neue zu ersetzen. Er scheiterte kläglich an der Urne, nicht zuletzt, weil die bezifferten Steuerausfälle von 2,6 Milliarden Franken den Stimmberechtigten offenbar zu hoch waren. Die Abstimmung war ein Riesenerfolg für die SP, die das Referendum gegen die USR III ergriffen hatte. Und nun also kämpft die SP Seite an Seite mit ihren einstigen GegnerInnen für die neue Steuervorlage.

Die SozialdemokratInnen unterstützen den nun vorliegenden Steuer-AHV-Deal in erster Linie wegen der AHV-Zusatzfinanzierung. Diese wird durch höhere Beiträge von Firmen und Angestellten wie auch vom Bund bezahlt. Das Sozialwerk steht unter grossem finanziellem Druck, die rechte Mehrheit hegt Abbaugelüste. «Wenn du Lohnprozente für die AHV kriegst», sagt die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran, «dann nimm sie und renne.» Badran unterstützt den Steuer-AHV-Deal aber nicht nur wegen der AHV-Zusatzfinanzierung, sie gehört zu jener linken BefürworterInnenfraktion, die auch den Steuerteil des Deals offensiv verteidigt. «Man kann aus so einem erpresserischen System nicht disruptiv aussteigen», sagt sie. «Wir müssen das in Einklang mit der internationalen Gemeinschaft schrittweise tun.» Badrans Argumentation geht, kurz zusammengefasst, so: Die Schweiz müsse nun erst einmal die von der OECD verbotenen Steuerprivilegien abschaffen. Die neu eingeführten Instrumente wie die Patentboxen oder die Abzüge für Forschung und Entwicklung würden hingegen von fast allen europäischen Ländern auch angewendet. Die Schweiz gebe mit dieser Reform also ihren Sonderzug auf. Und weil die OECD sowieso bald mit neuen Reformen nachziehen werde, müsse auch die Schweiz bald neue Reformen beschliessen. Dank der europäischen Harmonisierung drohe dann aber nicht mehr der ungeordnete Wegzug von Konzernen.

Letztlich wollen die linken DealbefürworterInnen, etwas überspitzt formuliert, das aktuelle, massiv unter Druck stehende Steuerdumpingmodell durch neue Steuerdumpinginstrumente ersetzen – ob der Steuerwettbewerb damit langfristig gestoppt wird, ist fraglich.

Kommt dazu, dass der Steuer-AHV-Deal vorsieht, dass die Kantone vom Bund einen höheren Anteil an der direkten Bundessteuer erhalten sollen, um Steuerausfälle zu kompensieren. Die Subvention dürfte den interkantonalen Steuerwettbewerb noch einmal massiv verschärfen. Bereits haben mehrere Kantone Steuersenkungen angekündigt.

Ein Startschuss für mehr Offensive?

Weil sich das internationale Gebaren der Schweiz mit dem Steuer-AHV-Deal nicht ändern wird, kritisiert Alliance Sud, die Denkfabrik Schweizer Entwicklungsorganisationen, den Steuerteil der Vorlage. Alliance Sud setzt sich für eine ersatzlose Abschaffung der alten Privilegien ein. «Mehrjährige Übergangsmassnahmen wird es ohnehin geben – auch bei einem Nein zum Deal», sagt ihr Finanzexperte Dominik Gross. «Wir haben dann also fünf Jahre Zeit, um zu diskutieren, wie wir das Schweizer Steuersystem auf dem heutigen Niveau finanzieren wollen, ohne weiter auf Kosten der weltweit Ärmsten zu leben.»

Die Grünen argumentieren ähnlich: Für Parteipräsidentin Regula Rytz muss sich die Schweiz endlich aus dem schädlichen Geschäftsmodell des interkantonalen und internationalen Steuerdumpings befreien. Wenn der Steuer-AHV-Deal durchkomme, sei der Druck für zehn Jahre weg, sagt sie. «Denn in der OECD wird sich bis dann nichts bewegen. Zehn Jahre reichen aus, um Dutzende Kantone in der Schweiz in eine Tiefsteuer- und Abbauspirale zu bringen, aus der sie nicht mehr herauskommen», so Rytz. Und international habe die Schweiz mit dieser Reform einfach ihr Tiefsteuer- und Gewinnverschiebungsmodell aktualisiert.

Tatsächlich plant die OECD nicht, die neuen Steuerprivilegien anzugreifen, wie ihr Steuerpolitikchef Pascal Saint-Amans kürzlich sagte (siehe WOZ Nr. 12/2019 ). Unter Druck wird die Schweiz wohl erst dann wieder kommen, wenn die OECD Grundsatzreformen konkretisieren kann, beispielsweise über international verbindliche Mindeststeuersätze. Kommt eine solche Harmonisierung, würde die Schweiz mit ihrer Tiefsteuerstrategie auflaufen. «Gewinnverschiebungen würden per se uninteressanter», sagt Gross von Alliance Sud. «Die Schweiz würde dann mit ihrem Geschäftsmodell, das stark auf Anreize für Konzernsteuerflucht setzt, ein Produkt anbieten, das keiner mehr braucht.»

Lehnt die Schweiz den Steuer-AHV-Deal ab, wird sie der OECD in Kürze einen Plan B vorlegen müssen. Der diesbezügliche Vorschlag der Grünen ist stringent: Es brauche sehr eng gefasste Instrumente, um den Konzernen eine Brücke zu bauen. Etwa Abzüge für Forschung, aber nicht für Patente, sagt Rytz. Die Partei schlägt zudem vor, eine allfällige Finanzspritze des Bundes für die Kantone an einen Mindeststeuersatz zu knüpfen. Im Grundsatz fordern die Grünen, dass die Steuervorlage den nationalen und internationalen Steuerwettbewerb nicht weiter ankurbeln darf und den Service public nicht gefährdet.

Die AHV-Zusatzfinanzierung wäre mit einem Nein zum Steuer-AHV-Deal freilich verloren. Doch bei der Altersvorsorge gilt: Die nächste AHV-Reform kommt ohnehin. Und die Mehrheitsverhältnisse in Bern werden sich im Herbst hoffentlich ändern. Man könnte ein Nein zum Steuer-AHV-Deal also auch als erste Chance für eine offensivere linke Politik sehen.