Auf allen Kanälen: Zwei Schweizen

Nr. 15 –

Die politische Realität im Land wird in den Gebieten von CH Media und Tamedia ganz unterschiedlich beschrieben – zwei Perspektiven als letzter Rest von Medienvielfalt.

Seit letztem Herbst ist die mediale Deutschschweiz zweigeteilt. Der Regionalzeitungsmarkt wird von zwei Konzernen dominiert, deren Namen unpraktischerweise erst noch zum Verwechseln ähnlich klingen: CH Media und Tamedia. Die Gebiete jedoch, die sie beherrschen, sind geografisch säuberlich getrennt. CH Media, die zu gleichen Teilen AZ Medien und der NZZ gehört, beherrscht den Aargau, die Ost- und die Zentralschweiz und dringt bis nach Basel vor. Sie ist also so etwas wie der Verbund der kleineren und mittelgrossen Städte. Ihre Reichweite beträgt rund eine Million LeserInnen.

Tamedia wiederum kontrolliert Zürich und Bern und ist in Basel die stärkste publizistische Kraft, ihrem Selbstverständnis zufolge berichtet sie aus den Metropolen. Ihre Reichweite ist, was die Regionalzeitungen betrifft, mit 1,1  Millionen LeserInnen leicht höher. Zu keinem dieser Verbünde gehört einzig die «Südostschweiz» in Graubünden, doch von einem gallischen Dorf zu sprechen, wäre übertrieben: Der Familie Lebrument fehlt dafür der finanzielle Zaubertrank.

Glaube und Skepsis

Sowohl CH Media wie Tamedia verfolgen publizistisch das gleiche Konzept: Ein gemeinsamer Mantelteil wird mit regionaler Berichterstattung ergänzt. Die NZZ-Gruppe war so klug, mit der «Neuen Zürcher Zeitung» ihren Renommiertitel aus dem Verbund herauszuhalten. Tamedia hingegen hat ihre Marke, den «Tages-Anzeiger», zur Regionalzeitung degradiert, er befindet sich nun auf der gleichen Stufe wie die «Basler Zeitung» oder der «Bund». Die wenigsten LeserInnen dürften täglich Zeitungen aus beiden Verbünden studieren. Vermutlich werden sie eher noch den «Blick» durchblättern oder wieder einmal die NZZ weglegen, genervt ob deren Arroganz. Liest man aber Medien sowohl von CH Media wie von Tamedia, merkt man bald: Die politische Realität im Land wird unterschiedlich beschrieben.

Nirgends zeigte sich das so deutlich wie in der Berichterstattung über das Rahmenabkommen. Glaubt man den Titeln von Tamedia, dann hat der Vertrag mit der EU noch immer Chancen, durchzukommen. Hier durfte Chefunterhändler Roberto Balzaretti in einem Interview sein Abkommen verkaufen. Bei der Lektüre der Zeitungen von CH Media kriegt man allerdings starke Zweifel, dass es im Bundesrat eine Mehrheit finden könnte. Der langjährige Gewerkschaftschef Paul Rechsteiner hat zudem erklärt, warum die vordringliche Herausforderung sowieso die SVP-Initiative gegen die Personenfreizügigkeit darstelle. Waren bei Tamedia die Grünliberalen omnipräsent, kam bei CH Media die meist etwas unterschätzte Bundesratspartei CVP zu Wort, deren Präsident Gerhard Pfister ebenfalls dezidiert gegen das Abkommen in dieser Form ist.

Roger, Milo und Hazel

Vergleicht man die Zeitungen während einer Woche, fällt auf, dass sie sich auch bei den inhaltlichen Zugängen unterscheiden: Die CH-Media-Schweiz kommt stärker thematisch geordnet daher, letzte Woche etwa mit Schwerpunkten zu Postfinance oder künstlicher Intelligenz. Im Tamedia-Reich wiederum bestimmt stärker die Form: mit Reportagen zur Endlagerung des Atommülls oder Recherchen zu den AfD-Parteispenden.

In einem Punkt hingegen haben die Verbünde die gleiche monopolisierende Wirkung: Sie reduzieren das Personal auf einige wenige Berühmtheiten.

CH Media interviewte die neue Bundesrätin Karin Keller-Sutter, die schon im letzten Jahr nicht durch Abwesenheit in den Medien glänzte. Bei Tamedia wiederum wurde der neue «Arena»-Moderator Sandro Brotz porträtiert, der bereits jeden Mittwoch am Fernsehen zu sehen ist. So erreicht die Politik das gleiche Phänomen, wie es auch in anderen Bereichen zu beobachten ist: In den Sportteilen durfte kürzlich die 101. Würdigung von Roger Federer erscheinen, und wenn dem vereinigten Kulturjournalismus nichts mehr einfällt, so fragt er abwechselnd bei Milo Rau oder bei Hazel Brugger nach.

Will man also eine letzte Vorstellung von Medienvielfalt haben und über die Schweizer Politik wenigstens zwei Perspektiven kennen, liest man in Zürich besser auch CH Media oder in Luzern auch Tamedia. Und will man neue Leute kennenlernen, legt man am besten die Zeitung oder das Tablet weg und geht nach draussen.