Schweizer Rap: «Mit ‹Fick deine Mutter› gewinnt man keine Battles mehr»

Nr. 12 –

Rap kann weit mehr sein als plump und sexistisch. Dafür braucht es aber auch eine anständige Vertretung von Frauen in der Szene.

Wer produziert, wer betreibt die Plattformen, wer lädt zu Battles, wer schreibt letztlich über Rap? Die Rapperinnen La Nefera und KimBo am Virus Bounce Cypher 2019. Foto: Nora Nussbaumer, SRF

«Ist Rap sexistisch und homophob?», fragte das Onlinemusikmagazin «Noisey» 2018 verschiedene Schweizer MundartrapperInnen und veröffentlichte die Statements dazu in einem Video. Die Antwort der sechs befragten Männer: Nein. Die Antwort der zwei Frauen: Ja. Unfreiwillig auf den Punkt brachte es wohl Dope Kid aus Baden, der meinte: «Kein Rapper würde einem anderen Rapper unterstellen, er sei sexistisch. Das ist nun mal unsere Sprache.» Womit er gleich zwei Probleme beim Namen nennt.

Erstens ist es in Teilen der Szene offenbar schwierig, über Sexismus zu sprechen. «Oft haben die Jungs Bedenken, sich bei diesem Thema zu exponieren», sagt der Journalist und Szenekenner Ugur Gültekin. «Sie wollen sich am Thema nicht die Finger verbrennen.» Beim zweiten Problem geht es um die Sprache, und da wird die Sache komplizierter.

Mit der Sprache im Rap kennt sich Heidi Süss aus: Sie promoviert an der Universität Hildesheim unter anderem zu Männlichkeiten in der deutschsprachigen Rapszene. Ihr zufolge ist Rap und insbesondere Battle Rap als einer der Wettkämpfe zu begreifen, über den sich Männlichkeit herausbildet. Das hänge mit einer komplexen Geschichte sozialer Ungleichheit zusammen. «Der sprachliche und kulturelle Tabubruch verhalf schwarzen und anderen marginalisierten Männern wie den Rappern von N. W. A. schon seit jeher zu mehr Sichtbarkeit.» Dass dieser Tabubruch oft sexistisch war und ist, kann in einer sexistischen Gesellschaft, in der wir nach wie vor leben, nicht weiter erstaunen. Was natürlich keine Entschuldigung ist. Vielmehr wünschte man sich, die im Rap eigentlich angelegte Auseinandersetzung mit Herrschaftsverhältnissen würde sich selbstverständlich auch auf die Kämpfe von Frauen ausdehnen.

Spiel mit der Sprache

Es hat also unter anderem mit der Zugehörigkeit zu einer marginalisierten Kultur zu tun, bestimmte Wörter und Sprechweisen immer wieder zu verwenden. «Fick deine Mutter» hat heute nicht mehr den Punch, den der Satz hatte, als ihn zum ersten Mal jemand sagte – er bezieht sich aber auf einen historischen Strang des (Gangster-)Rap. «In der Tradition dieser Hip-Hop-Männlichkeitserzählung stehen auch gegenwärtige Gangster-Rapper, was deren Sexismus nicht entschuldigt, aber zumindest ein wenig verstehbarer macht», sagt Süss, «Stichwort: Authentizität.» Gangster-Rap zu machen, der nicht sexistisch ist, sei somit zwar denkbar, aus Sicht vieler männlicher Rapper womöglich aber schwer einzulösen.

Trotzdem: Irgendwann ist das Tabu so oft gebrochen, dass sich niemand mehr dafür interessiert. Das führt dazu, dass die Empörung ausbleibt. Was so oft gesagt wurde, wird keinen Aufschrei mehr erzeugen – und das wiederum ist womöglich eine Erklärung für immer härtere Zeilen. Zum anderen werden die Texte langweilig: Sexistischer Rap ist oft auch einfach schlechter Rap. Es bleibt die Möglichkeit, technisch zu brillieren. Das sagt auch Süss: «Mit ‹Fick deine Mutter›-Zeilen gewinnt man heutzutage kein Battle-Turnier mehr. Da müssen schon popkulturelle Referenzen, Dreifachreime oder andere sprachliche und körperliche Strategien her.»

Weshalb nicht auch die Sprache inhaltlich kreativer nutzen? Die Berner Rapperin Steff la Cheffe sagt, dass Rap als Kunstform für sie gerade darum spannend sei: «Es geht ja um ein Spiel mit der Sprache. Wenn du auf gewisse Wörter wie etwa ‹Bitch› verzichtest, dann musst du dir etwas Neues ausdenken. Und das kann ein sehr fruchtbarer Prozess sein.»

Seltsame Erwartungshaltung

Der Schweizer Mundart-Rap krankt neben der sexistischen Sprache an einem ganz grundsätzlichen Problem: Frauen sind massiv untervertreten. Am Virus Bounce Cypher etwa, sozusagen der jährlichen Werkschau des Schweizer Rap, standen in gut sieben Stunden gerade mal sieben Frauen am Mikrofon. Dazu kommt eine seltsame Erwartungshaltung an die wenigen Frauen: «Eigentlich ist es wie in allen Männerdomänen», sagt die Zürcher Rapperin KimBo. «Als Frau musst du viel besser sein und auch eine dickere Haut haben, um dich in der Szene behaupten zu können.» Und es geht ja nicht nur darum, wer auf, sondern auch darum, wer hinter der Bühne steht: Wer produziert, wer betreibt die Plattformen, wer lädt zu Battles, wer schreibt letztlich über Rap?

Ein Beispiel dafür ist die Sondernummer «Hat Rap ein Problem?» des «Lyrics»-Magazins, die sich unter anderem dem Thema Sexismus widmet. Nur hat eben auch das «Lyrics» ein Problem: Die Redaktion besteht komplett aus Männern; beim Schwerpunkt zu Sexismus gibt es lediglich ein paar Absätze von den Macherinnen des «Fempop»-Magazins. Während beim Schwerpunkt zu Antisemitismus ein Betroffener auf mehreren Seiten zu Wort kommt, um seine Perspektive zu schildern, fehlt die Sicht einer Frau aus der Rapszene. Wenn, dann wird über Frauen geschrieben, und dann nicht einmal über eine Frau, die rappt, sondern über die Tänzerin Bellydah.

Mehr Support, mehr Nachwuchs

Ist also alles hoffnungslos? Natürlich nicht. Die kommerziellen Erfolge internationaler queerer Rapperinnen wie Mykki Blanco, Young M.A. oder Princess Nokia in den letzten Jahren beweisen, dass man kein hypermaskuliner Gangster-Rapper mehr sein muss, um bei einem grösseren Publikum Anklang zu finden. Ebenso gelingt dies den deutschsprachigen Rapperinnen von SXTN, Haiyti oder Schwesta Ewa. Als Vorbilder dürften sie auch für die Schweiz eine Rolle spielen. Zum Beispiel für Loredana, Rapperin aus Emmenbrücke, die mit ihrem poppigen Trap in der Schweiz wie auch in Deutschland sehr populär ist (mehr als 42 Millionen Views auf Youtube für ihren ersten Song «Sonnenbrille»).

Diese Rapperinnen beziehen sich nicht explizit auf ihr Frausein und nehmen auch kaum je pointiert feministische Positionen ein. Und so sollte das ja eigentlich auch sein: den eigenen Platz in der Rapszene einfach selbstverständlich für sich zu behaupten. Wenn sich SXTN selbst als «Fotzen» bezeichnen, lässt sich das auch als subversive Aneignung eines abwertenden Begriffs lesen.

Bleibt zu hoffen, dass dieser Trend – wie so viele im Hip-Hop – in der Schweiz mit der üblichen Verspätung ebenfalls aufkommt. Anzeichen einer zögerlichen Diskussion finden sich bereits: Auch wenn man sich über die Herangehensweise des «Lyrics»-Magazins aufregt – immerhin gibt es eine Auseinandersetzung mit dem Thema. Steff la Cheffe meint, sie hätte der Szene schon beinahe den Rücken gekehrt, weil sie es nicht mehr ertragen habe, die immer gleichen Kämpfe zu führen. «Aber in letzter Zeit habe ich das Gefühl, dass sich etwas bewegt.»

Für Ugur Gültekin ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es in der Schweiz mehr stilprägende weibliche MCs geben wird. Und: «Es findet in der Szene mittlerweile durchaus eine Diskussion über Sexismus statt – wenn auch nicht immer öffentlich.» KimBo sagt ausserdem, es gebe unter Frauen mittlerweile mehr Support füreinander – das Förderprojekt «Helvetia rockt» leiste da wichtige Arbeit in der Vernetzung und der Nachwuchsförderung.

Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis es normal ist, als junger Rapper die eigene sexistische Sprache, die eigene Männlichkeit zu hinterfragen. Nur wenn Frauen besser vertreten sind, werden Rapperinnen nicht mehr als Erstes nach ihrem Frausein befragt, sondern nach ihren Inhalten, ihrer Kunst. Oder wie Juju es in ihrer neusten Single «Intro» selbstbewusst ausdrückt: «Man wird nicht sagen: ‹Das ist Frauen-Rap auf Deutsch› / Man wird sagen: ‹Dieses Album hat zerstört.›»