Lohngleichheit: Der Wille für breite feministische Bündnisse ist da

Nr. 39 –

«Heute heisst es oft, es brauche keinen Feminismus und keine Frauenbewegung mehr.» So begann im Frühling 2011 ein Interview in dieser Zeitung. 2011 war ein feministisches Jubiläumsjahr: vierzig Jahre Frauenstimmrecht, dreissig Jahre Gleichstellungsgesetz, zwanzig Jahre Frauenstreik. Doch das Interesse blieb mager, nur wenige nahmen im Juni an einer Jubiläumsaktion teil. Feministische Anliegen schienen kaum noch zu mobilisieren, die Szene wirkte zersplittert und zerstritten. Die SP debattierte sogar darüber, ihre Frauenorganisation abzuschaffen.

Sieben Jahre später ziehen 20 000 Menschen durch die Berner Altstadt: Frauen, aber auch viele Männer; sehr viele Welsche und Tessinerinnen; Kinderwagen, Rollstühle, vereinzelt Rollatoren; Gewerkschaften, Parteien, Linksradikale, Aktionsgruppen wie die Kitafachfrauen von «Trotzphase» – alle demonstrieren friedlich miteinander. Sie fordern gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, bessere Löhne für «Frauenberufe», aber noch viel mehr: etwa «Teilzeit für alle», globale Solidarität, ein Ende des Schönheitswahns und der Gewalt gegen Frauen. Einige haben grosse Schnecken gebastelt, um zu zeigen, in welchem Tempo es mit der Gleichstellung vorwärtsgeht. Es ist wohl die grösste feministische Demo seit 1991.

In den letzten sieben Jahren hat sich etwas radikal verändert. Vielen gerade jungen Frauen ist bewusst geworden, dass die Behauptung, die Gleichstellung sei erreicht, eine Lüge ist. Der unverhohlene Sexismus von populistischen Politikern und die üblen Attacken, denen politisch aktive Frauen im Internet ausgesetzt sind, haben zur starken Mobilisierung beigetragen. Heute ist wieder der Wille spürbar, breite feministische Bündnisse zu bilden – auch mit solidarischen Männern. Obwohl das nicht immer einfach ist: Als am Ende der Demonstration einige junge Romandes ausgelassen mit nackten Brüsten auf dem Bundesplatz tanzen, zücken einige Genossen sofort die Handys, um zu filmen. Und diese Woche hat der Nationalrat die ohnehin schon schwache Lohngleichheitsvorlage weiter verwässert. Der Frauenstreik findet am 14. Juni 2019 statt.